Frist-versäumung – infolge unvollständiger Umsetzung einer anwaltlichen Einzelwei-sung

Aktuell hatte sich der Bundesgerichtshof mit den Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumung zu befassen, die infolge unvollständiger Umsetzung einer anwaltlichen Einzelweisung zur Notierung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfrist im Fristenkalender durch Kanzleipersonal entstanden ist.

Frist-versäumung – infolge unvollständiger Umsetzung einer anwaltlichen Einzelwei-sung

Dem zugrunde lag ein Fall aus Berlin: Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist dem Kläger am 6.01.2020 zugestellt worden. Mit am 6.02.2020 beim Landgericht eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist am 28.03.2020 eingegangen. Mit der Berufungsbegründung hat der Kläger hinsichtlich der versäumten Frist zur Begründung der Berufung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat der Kläger unter Vorlage einer entsprechenden eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten R. seiner Prozessbevollmächtigten im Wesentlichen ausgeführt, die Fristversäumnis beruhe allein auf dem Versehen von R. Das amtsgerichtliche Urteil sei seiner Prozessbevollmächtigten am 6.01.2020 zur Kenntnis gelangt. Diese habe dies in dem ihr mit dem Urteil übersandten Empfangsbekenntnis vermerkt und Urteil und Empfangsbekenntnis sodann ihrer Angestellten R. mit der konkreten Arbeitsanweisung übergeben, sowohl die einmonatige Notfrist zur Einlegung der Berufung als auch die zweimonatige Frist zur Berufungsbegründung zu notieren. R. habe aus Unachtsamkeit heraus die genannten Fristabläufe dann aber nicht vollständig in den Fristenkalender notiert, sondern allein die Berufungsfrist, nicht hingegen die Frist zur Berufungsbegründung. Erst durch eine routinemäßige Wiedervorlage der Akte am 16.03.2020 sei dieses Versäumnis bemerkt worden. R. sei seit 14 Jahren als Rechtsanwaltsfachangestellte tätig, habe sich in den fünfeinhalb Jahren der Zusammenarbeit mit der Prozessbevollmächtigten des Klägers stets als zuverlässig erwiesen und deren mündliche Anweisungen stets befolgt. Das Landgericht Berlin hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen1. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde. Die hiergegen gerichtete statthafte (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO) Rechtsbeschwerde hatte vor dem Bundesgerichtshof keinen Erfolg:

Weiterlesen:
Abtretungsprobleme bei der Vermietung beweglicher Sachen

Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung2, die die Rechtsbeschwerde nicht in Frage stellt, hat der Rechtsanwalt, der einem Angestellten eine Begründungsfrist zur Eintragung in den Fristenkalender – wie hier – lediglich mündlich mitteilt, organisatorische Vorkehrungen dahingehend zu treffen, dass die Eintragung entweder sofort erfolgt oder die mündliche Einzelanweisung nicht in Vergessenheit gerät und die Fristeneintragung unterbleibt. Solche Sicherheitsvorkehrungen hat der Kläger mit seinem Wiedereinsetzungsgesuch – wie vom Landgericht Berlin zutreffend ausgeführt – weder dargelegt noch glaubhaft gemacht.

Die mit der Rechtsbeschwerde nachgeholten Angaben zu in der Kanzlei der vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers bestehenden Anweisungen sind nicht mehr zu berücksichtigen. Nach § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO muss der Antrag auf Wiedereinsetzung die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten. Beruht das Versäumnis – wie im Streitfall – auf dem Versehen eines Büroangestellten, so hat die Partei alle Umstände darzulegen, die ein Organisations- oder sonstiges Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten ausschließen3. Nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist ergänztes Vorbringen ist dabei grundsätzlich nicht mehr zu berücksichtigen4.

Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass es das Landgericht Berlin unterlassen hätte, einen gemäß § 139 ZPO gebotenen Hinweis zu erteilen. Zwar können im Wiedereinsetzungsverfahren erkennbar unklare oder ungenaue Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten ist, über die Frist nach § 234 Abs. 1, § 236 Abs. 2 ZPO hinaus erläutert und vervollständigt werden5. Die Ausführungen des Klägers im Wiedereinsetzungsantrag zu etwaigen Sicherheitsvorkehrungen sind im Streitfall aber nicht unklar oder ungenau; vielmehr fehlt insoweit jeglicher Vortrag. Da die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Organisation des Fristenwesens und deren Darlegung im Rahmen eines Wiedereinsetzungsantrags stellt, bekannt sind und einem Anwalt auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein müssen, erlaubt insoweit fehlender Vortrag den Schluss darauf, dass entsprechende Sicherungsvorkehrungen gefehlt haben6. Ob die nun von der Rechtsbeschwerde vorgetragenen Sicherungsmaßnahmen – wie die Rechtsbeschwerde meint – Teil einer „routinemäßigen Kanzleiorganisation“ darstellen, was „jeder ausgebildeten Kanzleifachangestellten […] schon in der Schule eingebläut“ wird, ist insoweit ohne Bedeutung. Eine zur Nachfrage verpflichtende Vermutung dahingehend, dass ein tatsächlich eingetretenes Versäumnis nicht auf einer grundsätzlich fehlerhaften Organisation des Fristenwesens, sondern allein auf einem individuellen Fehler eines Angestellten beruht, gibt es nicht.

Weiterlesen:
Die versäumte Berufungsbegründungsfrist

Da das Landgericht Berlin den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zu Recht zurückgewiesen hat, ist auch die Verwerfung der Berufung des Klägers als unzulässig wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht zu beanstanden.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15. Februar 2022 – VI ZB 37/20

  1. LG Berlin, Beschluss vom 05.05.2020 – 89 S 1/20[]
  2. vgl. BGH, Beschlüsse vom 07.03.2012 – XII ZB 277/11, NJW-RR 2012, 743 Rn. 11 f.; vom 25.03.2009 – XII ZB 150/08, FamRZ 2009, 1132 Rn.19 ff.[]
  3. BGH, Beschluss vom 25.03.2009 – XII ZB 150/88, FamRZ 2009, 1132 Rn. 23[]
  4. vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 13.07.2017 – IX ZB 110/16, NJW-RR 2017, 1142 Rn. 14; vom 07.03.2012 – XII ZB 277/11, NJW-RR 2012, 743 Rn. 12; MünchKomm-ZPO/Stackmann, 6. Aufl.2020, ZPO § 236 Rn. 14[]
  5. vgl. nur BGH, Beschluss vom 16.10.2018 – VI ZB 68/16, NJW-RR 2019, 502 Rn. 7; BGH, Beschlüsse 7.03.2012 – XII ZB 277/11, NJW-RR 2012, 743 Rn. 12; vom 25.03.2009 – XII ZB 150/08, FamRZ 2009, 1132 Rn. 24[]
  6. vgl. BGH, Beschlüsse vom 25.04.2017 – VI ZB 45/16, NJW-RR 2017, 956 Rn. 9; vom 15.12.2015 – VI ZB 15/15, NJW 2016, 873 Rn. 13; BGH, Beschluss vom 21.05.2019 – II ZB 4/18 Rn. 15[]

Bildnachweis:

Weiterlesen:
Kostenbeschwerde - und der richtige Rechtsmittelführer