MIt der Frage einer Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist hatte sich jetzt der Bundesgerichtshof in einem Fall zu beschäftigen, dem eine nicht beachtete Einzelweisung eines Rechtsanwalts an seine Angestellte zugrunde lag, die Adressierung einer Rechtsmittelschrift an das Rechtsmittelgericht zu korrigieren.

Die Klägerin im entschiedenen Fall hatte die Frist zur Einlegung der Berufung versäumt hat, da die Berufung aufgrund der falschen Adressierung erst nach Ablauf der Berufungsfrist von einem Monat (§ 517 ZPO) bei dem Oberlandesgericht eingegangen war. Der Bundesgerichtshof sah keine Möglichkeit der Wiedereinsetzung:
Die Prüfung der notwendigen Formalien für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist Aufgabe des Rechtsmittelführers. Ihm obliegt es deswegen auch,dafür Sorge zu tragen, dass das Rechtsmittel innerhalb der Rechtsmittelfrist bei dem zuständigen Gericht eingeht1. Entgegen diesen Anforderungen hat der Klägervertreter das Rechtsmittel nicht an das zuständige Oberlandesgericht, sondern an das Landgericht gesandt, weshalb es verspätet bei dem zuständigen Oberlandesgericht eingegangen ist.
Ein Rechtsanwalt darf allerdings grundsätzlich darauf vertrauen, dass seine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Deshalb ist er im Allgemeinen nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern2.
Die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift gehört aber zu den Aufgaben, die der Rechtsanwalt seinem angestellten Büropersonal nicht übertragen darf, ohne das Arbeitsergebnis selbst sorgfältig zu überprüfen3. Die Aufgabe darf in einem so gewichtigen Teil wie der Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts auch gut geschultem und erfahrenem Büropersonal eines Rechtsanwalts nicht eigenverantwortlich überlassen werden. Der Prozessbevollmächtigte einer Partei muss die Rechtsmittelschrift deswegen vor der Unterzeichnung auf die Vollständigkeit, darunter auch auf die richtige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts, überprüfen4.
Auch bei einem so wichtigen Vorgang wie der Anfertigung einer Rechtsmittelschrift darf der Rechtsanwalt aber einer zuverlässigen Büroangestellten eine konkrete Einzelanweisung erteilen, deren Ausführung er grundsätzlich nicht mehr persönlich überprüfen muss5. Wird die Anweisung nur mündlich erteilt, müssen allerdings ausreichende Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass die Erledigung in Vergessenheit gerät6. Auch in diesem Fall genügt die klare und präzise Anweisung, die Erledigung sofort vorzunehmen, insbesondere wenn zudem eine weitere allgemeine Büroanweisung bestand, einen solchen Auftrag stets vor allen anderen auszuführen. Die Gefahr, dass eine solche sofort auszuführende Weisung sogleich vergessen oder aus sonstigen Gründen nicht befolgt wird, macht eine nachträgliche Kontrolle ihrer Ausführung dann nicht erforderlich7.
Solche zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen hat die Klägerin mit ihrem Wiedereinsetzungsgesuch weder dargelegt noch glaubhaft gemacht. Ihre Ausführungen beschränken sich darauf, dass die Büroleiterin mit der Korrektur der fehlerhaften Adressierung beauftragt worden sei. Nach diesem Sachvortrag kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass die Weisung nur mündlich erteilt worden war und die Absicherung ihrer Ausführung zusätzlicher Vorkehrungen bedurfte. Die vorgenannten Sorgfaltsanforderungen galten im vorliegenden Fall erst recht, weil die zunächst erteilte Anweisung, die Berufungsschrift an das Oberlandesgericht zu adressieren, bereits nicht befolgt worden war.
Die mit Schriftsatz vom 14.12.2009 gegenüber dem Berufungsgericht nachgeholten und mit einer eidesstattlichen Versicherung der Büroleiterin versehenen neuen Angaben der Klägerin sind nicht zu berücksichtigen. Nach § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO muss der Antrag auf Wiedereinsetzung die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Wird – wie im vorliegenden Fall – geltend gemacht, dass die Fristversäumnis auf dem Versehen eines Büroangestellten beruht, so hat die Partei alle Umstände darzulegen und glaubhaft zu machen, die ein Organisations- oder sonstiges Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten ausschließen. Dabei können allerdings erkennbar unklare oder ungenaue Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten ist, auch über die Frist nach §§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 ZPO hinaus erläutert oder vervollständigt werden8.
Ein solcher Fall liegt hier indessen nicht vor. Die Angaben im Wiedereinsetzungsgesuch sind – abgesehen von dem genauen Inhalt der erteilten Anweisung – vollständig und klar. Dass darin zusätzliche Sicherungsvorkehrungen nicht angegeben worden sind, lässt für sich genommen noch keine Ergänzungs- oder Erläuterungsbedürftigkeit des Vorbringens erkennen. Wenn der geschilderte Ablauf innerhalb der Kanzleiorganisation der Prozessbevollmächtigten der Klägerin die zu stellenden Sorgfaltsanforderungen nicht vollständig erfüllte, ergibt sich daraus noch nicht, dass dem Berufungsgericht das Vorbringen der Klägerin ergänzungsbedürftig erscheinen musste. Eine Erläuterungs- oder Ergänzungsbedürftigkeit wäre etwa dann erkennbar gewesen, wenn bestimmte durch Anweisung festgelegte Arbeitsroutinen beschrieben wären, aus denen sich sowohl eine sorgfaltsgemäße als auch eine sorgfaltswidrige Ausführung ergeben kann. In diesen Fällen darf das Gericht nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass die sorgfaltswidrige Alternative nicht entkräftet worden sei, und muss auf eine Aufklärung hinwirken9. Es würde aber die Hinweispflicht überspannen, wenn das Berufungsgericht den Antragsteller eines Wiedereinsetzungsgesuchs über Lücken in den von ihm dargelegten Sicherungsvorkehrungen aufzuklären hätte. Das Berufungsgericht kann vielmehr im Zweifel davon ausgehen, dass der Antragsteller seiner aus § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO ergebenden Verpflichtung zur vollständigen Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen auch nachgekommen ist.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 5. Juni 2013 – XII ZB 47/10
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 08.02.2012 – XII ZB 165/11, FamRZ 2012, 623 Rn. 28; vom 15.06.2011 – XII ZB 468/10 FamRZ 2011, 1389 Rn. 8 und BGH Beschluss vom 04.12.1991 – VIII ZB 34/91 – VersR 1992, 1023 f.[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 08.02.2012 – XII ZB 165/11 FamRZ 2012, 623 Rn. 29; vom 21.04.2010 – XII ZB 64/09, FamRZ 2010, 1067 Rn. 11 und vom 09.12.2009 – XII ZB 154/09 – VersR 2011, 89 Rn. 16; BGH Beschluss vom 02.11.1995 – VII ZB 13/95 – VersR 1996, 779[↩]
- BGH, Beschluss vom 08.02.2012 – XII ZB 165/11, FamRZ 2012, 623 Rn. 30; BGH Beschlüsse vom 25.06.1986 – IVa ZB 8/86 – VersR 1986, 1209 und vom 29.04.1982 – I ZB 2/82 – VersR 1982, 769 f.[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 08.02.2012 – XII ZB 165/11, FamRZ 2012, 623 Rn. 30 und vom 01.02.2012 – XII ZB 298/11, FamRZ 2012, 621 Rn. 11; BGH Beschluss vom 08.12.1992 – VI ZB 33/92 – VersR 1993, 1381 f.[↩]
- BGH, Beschluss vom 30.10.2008 – III ZB 54/08, FamRZ 2009, 109 Rn. 9 f.[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 08.02.2012 – XII ZB 165/11, FamRZ 2012, 623 Rn. 31; vom 25.03.2009 – XII ZB 150/08, FamRZ 2009, 1132, Rn.19; vom 19.11.2008 – XII ZB 102/08, FamRZ 2009, 217 Rn. 14 und vom 02.04.2008 – XII ZB 190/07 – FuR 2008, 344 Rn. 12 ff.[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 25.03.2009 – XII ZB 150/08, FamRZ 2009, 1132 Rn.20 und vom 02.04.2008 – XII ZB 189/07, FamRZ 2008, 1338 Rn. 14 f. mwN; BGH Beschluss vom 26.01.2009 – II ZB 6/08, NJW 2009, 1083 Rn.16[↩]
- BGH, Beschluss vom 25.03.2009 – XII ZB 150/08, FamRZ 2009, 1132 Rn. 24; BGH Beschlüsse vom 04.03.2004 – IX ZB 71/03, FamRZ 2004, 1552 und vom 29.01.2002 – VI ZB 28/01 – BGHReport 2002, 434[↩]
- vgl. BGH Beschlüsse vom 04.03.2004 – IX ZB 71/03, FamRZ 2004, 1552 mwN und vom 29.01.2002 – VI ZB 28/01 – BGHReport 2002, 434 und BGH, Beschluss vom 25.03.2009 XII ZB 150/08, FamRZ 2009, 1132 Rn. 25[↩]