Garagenüberbau – und die Nutzung der Garagenzufahrt

Aus der Pflicht des Nachbarn, einen Garagenüberbau zu dulden (§ 912 Abs. 1 BGB), ergibt sich nicht zugleich das Recht des Eigentümers zur Nutzung der (teilweise) auf dem Grundstück des Nachbarn belegenen Garagenzufahrt.

Garagenüberbau – und die Nutzung der Garagenzufahrt

Die Vorschriften über den Überbau in §§ 912 ff. BGB greifen allerdings auch dann ein, wenn – wie hier – eine die Pflicht des Nachbarn zur Duldung des Überbaus klarstellende Grunddienstbarkeit bestellt und in das Grundbuch eingetragen worden ist. Die sich nach § 912 Abs. 1 BGB ergebenden Rechte des Eigentümers, dessen Gebäude die Grenze überschreitet, verkürzen sich nicht deshalb, weil die Eigentümer der benachbarten Grundstücke zur Klarstellung und Vermeidung künftiger Streitigkeiten eine Grunddienstbarkeit bestellt haben.

Die Vorschriften der §§ 912 ff. BGB sind auf den hier vorliegenden Fall, dass der frühere Eigentümer beider Grundstücke mit dem Bau der Garage auf einem derselben die Grenze des anderen überschritten hatte und in der Folge die Grundstücke in das Eigentum verschiedener Personen gelangten, sinngemäß anzuwenden1. Die bei einem Eigengrenzüberbau zunächst ruhenden wechselseitigen Duldungs- und Rentenzahlungspflichten leben mit dem Übergang des Eigentums an den Grundstücken in die Hände verschiedener Eigentümer auf2.

Die Duldungspflicht des Nachbarn nach § 912 Abs. 1 BGB bezieht sich jedoch allein auf den Überbau. Sie schließt nur in diesem Umfang den Anspruch des Nachbarn auf Beseitigung der Besitzstörung durch das fremde Bauwerk (§ 1004 Abs. 1 BGB) und auch den Anspruch auf Herausgabe der überbauten Grundstücksfläche (§ 985 BGB) dadurch aus, dass sie ein Recht zum Besitz nach § 986 BGB an der überbauten Fläche begründet3. Die Pflicht zur Duldung des Bauwerks erstreckt sich zwar auch auf dessen wesentliche Bestandteile i.S.d. §§ 93, 94 BGB. Die Zufahrt zu einem Gebäude ist aber regelmäßig nicht wesentlicher Bestandteil des Bauwerks, sondern des nicht bebauten Teils des Nachbargrundstücks4.

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Ob sich aus den Vorschriften über den Überbau eine weitergehende Duldungspflicht des Nachbarn in Bezug auf die Flächen seines Grundstücks ergibt, die (wie die Zufahrt zu einer Garage) der zweckentsprechenden Nutzung des die Grenze überschreitenden Bauwerks dienen, ist allerdings streitig.

Hierzu wird die Auffassung vertreten, dass die gesetzliche Duldungspflicht sich auch auf die sogenannten Funktionsflächen des die Grenze überschreitenden Bauwerks erstrecke. Der Nachbar habe auch die Nutzung der Teile seines Grundstücks durch den Überbauenden zu dulden, ohne die der Überbau mangels Zugangs funktionslos und damit wertlos würde5. Auch nach dieser Auffassung könnten die Kläger allerdings nicht die grenzüberschreitende Nutzung der bisherigen Zufahrt auf ihrer gesamten Länge verlangen, die Gegenstand der Klage ist, sondern allenfalls eine Duldung einer Fahrt von ihrem eigenen Grundstück zum Garagentor beanspruchen. Das entspräche hier derjenigen (kleineren) Fläche, die erforderlich wäre, um mit einem Kraftfahrzeug vom klägerischen Grundstück kommend in einer Kurve in die Garage einzufahren.

Dem steht die Ansicht gegenüber, dass die Duldungspflicht nach § 912 BGB sich auf die Entziehung der Eigentumsbefugnisse an dem überbauten Grundstücksteil beschränke; zusätzliche Beeinträchtigungen, die über den eigentlichen Überbau hinausgingen (wie die Nutzung von Wegeflächen), von der gesetzlichen Duldungspflicht dagegen nicht umfasst seien6. Die Pflicht zur Duldung einer Verbindung zum öffentlichen Weg könne auch im Fall eines Überbaus nur unter den engen Voraussetzungen des Notwegerechts nach § 917 BGB bestehen7.

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Die zuletzt genannte Auffassung ist richtig.

Das zeigt sich bereits daran, dass der Nachbar eine Zufahrt zu einem verbindungslosen Grundstück, selbst wenn dieses bebaut ist, nur bei Vorliegen eines Notwegerechts nach § 917 BGB gewähren muss. Im Übrigen darf das Nachbargrundstück zu Reparatur- oder Wartungsarbeiten an dem eigenen Gebäude nur unter engen Voraussetzungen betreten werden (vgl. § 24 NachbG NRW)8. Allein der Umstand, dass auch über die Grenze gebaut wurde, rechtfertigt es nicht, den Eigentümer in Bezug auf die Nutzung der von dem Überbau nicht in Anspruch genommenen Teile des Nachbargrundstück besser zu stellen.

Entgegen der Auffassung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts9 ergibt sich auch aus dem Normzweck des § 912 BGB nichts anderes. Die Vorschrift soll die mit der Beseitigung eines Überbaus verbundene Zerschlagung wirtschaftlicher Werte vermeiden, die dadurch entsteht, dass sich der Abbruch eines überbauten Gebäudeteils meist nicht auf diesen beschränken lässt, sondern zu einer Beeinträchtigung und Wertminderung auch des bestehen bleibenden, auf eigenem Grund gebauten Gebäudeteils führt. Zu diesem Zweck stellt § 912 BGB das Interesse an dem Erhalt der Gebäudeeinheit über das Interesse des Nachbarn an der Durchsetzung seiner Eigentumsrechte, sofern der Überbauer nicht grob fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt und der Nachbar dem Überbau nicht sofort widersprochen hat10. Die Vorschrift soll aber nur insoweit Abhilfe schaffen, als es das Ziel des Gebäudeerhalts erfordert11. Um die Garage als einheitliches Gebäude zu erhalten, genügt die auf die Überbaufläche beschränkte Duldungspflicht. Zweck der Duldungspflicht nach § 912 Abs. 1 BGB ist es dagegen nicht, dem Überbauenden unter Inanspruchnahme weiterer Flächen des Grundstücks des Nachbarn eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung des die Grenze überschreitenden Bauwerks zu ermöglichen. Auch insoweit gilt, dass der Eigentümer in Bezug auf Wegerechte an dem Grundstück des Nachbarn durch die Grenzüberschreitung nicht besser stehen kann als er stünde, wenn er das Bauwerk vollständig auf dem eigenen Grundstück errichtet hätte.

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Kein Notwegerecht

Die Voraussetzungen für ein Notwegerecht (§ 917 BGB) liegen ebenfalls nicht vor. Nach § 917 Abs. 1 BGB besteht ein Notwegerecht nur dann, wenn einem Grundstück die zur ordnungsgemäßen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt. Das Grundstück der Kläger liegt aber mit seiner Vorderseite an einem öffentlichen Weg. Die Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen, die für die ordnungsgemäße Benutzung eines Wohngrundstücks in der Regel notwendig ist12, ist damit gewährleistet.

Eine Zufahrt über das Nachbargrundstück, um das Fahrzeug auf dem eigenen Wohngrundstück abstellen zu können, ist dem Eigentümer dagegen aus dem Notwegerecht nach § 917 BGB nicht zuzubilligen13. Ausschlaggebend dafür ist, dass angesichts der Schwere des Eingriffs, den ein Notweg für das Eigentum des Nachbarn bedeutet, an das Fehlen einer für die ordnungsgemäße Benutzung notwendigen Verbindung strenge Anforderungen zu stellen sind und daher Gesichtspunkte der Bequemlichkeit und auch Zweckmäßigkeit nicht die Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks rechtfertigen14.

Kein Wegerecht aus nachbarlichem Gemeinschaftsverhältnis

Auch aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis lässt sich ein Wegerecht nicht herleiten.

Aus dem Rechtsverhältnis zwischen den Grundstücksnachbarn folgt zwar eine Pflicht der Nachbarn zur gegenseitigen Rücksichtnahme, die dazu führen kann, dass die Ausübung gewisser aus dem Eigentum fließender Rechte ganz oder teilweise unzulässig werden kann. Das Rechtsinstitut darf jedoch nicht dazu dienen, die nachbarrechtlichen Regelungen in ihr Gegenteil zu verkehren15.

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So verhielte es sich hier. Die Regelung des Notwegerechts in § 917 BGB stellt eine spezialgesetzliche Ausgestaltung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses dar16, die im Hinblick auf die nicht durch dingliche Rechte oder schuldrechtliche Verträge begründeten Wegerechte eine abschließende Regelung enthält. Sind ihre tatbestandlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, so können sie nicht mithilfe des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses umgangen oder erweitert werden17.

Auf den Umstand, dass die Nachbarn in der Vergangenheit die Zufahrtsfläche auf ihrem Grundstück nicht genutzt haben, kommt es dabei ebenso wenig an wie auf die Frage, ob für die Zukunft eine konkrete Nutzungsabsicht besteht. Nach § 903 BGB brauchen die Nachbarn ihre Nutzung des Grundstücks bzw. den Ausschluss Dritter hiervon nicht zu rechtfertigen18. Es liegt auch kein Verstoß gegen das Schikaneverbot darin, dass die Nachbarn den Garageneigentümern den Zugang zu Fuß zugestehen und lediglich die Zufahrt mit dem Kraftfahrzeug verbieten wollen. Wird ein Wegerecht freiwillig gewährt, so kann dessen Beschränkung auf Fußgänger schon deshalb nicht schikanös sein, weil der Gewährende es jederzeit vollständig widerrufen kann. Im Übrigen stellt jeder Fahrzeugverkehr eine Beeinträchtigung des Grundstückseigentümers dar, an deren Beschränkung bzw. Verhinderung er ein berechtigtes Interesse hat19.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. November 2013 – V ZR 24/13

  1. vgl. BGH, Urteil vom 23.02.1990 – V ZR 231/88, BGHZ 110, 298, 300[]
  2. RGZ 160, 166, 181; 169, 172, 176[]
  3. BGH, Urteil vom 30.04.1958 – V ZR 215/56, BGHZ 27, 204, 206[]
  4. vgl. Soergel/Marly, BGB, 13. Aufl., § 93 Rn. 33; Tersteegen, RNotZ 2006, 433, 435; anders für den Sonderfall einer befestigten Tiefgaragenzufahrt, OLG Rostock, OLGR 2002, 265, 267[]
  5. OLG Brandenburg, Urteil vom 19.01.2005 – 4 U 189/03: Zugang zu einer als Überbau zu duldenden Kelleraußentreppe; diesem folgend: MünchKomm-BGB/Säcker, 6. Aufl., § 912 Rn. 27; BeckOK-BGB/Fritzsche, Edition 28, § 912 Rn. 7[]
  6. RGZ 65, 73, 77; 160, 166, 188; Staudinger/Roth, BGB [2009], § 912 Rn. 39; Soergel/Baur, BGB, 13. Aufl., § 912 Rn. 15[]
  7. RGZ 160, 166, 188[]
  8. Staudinger/Roth, BGB [2009], § 912 Rn. 38, § 909 Rn. 33, § 917 Rn. 54[]
  9. OLG Brandenburg, Urteil vom 19.01.2005 – 4 U 189/03[]
  10. BGH, Urteil vom 19.09.2008 – V ZR 152/07, NJW-RR 2009, 24 Rn. 9; Motive III S. 283 = Mugdan, Materialien, Bd. 3, S. 156[]
  11. Motive III S. 283 = Mugdan, Materialien, Bd. 3, S. 157[]
  12. vgl. BGH, Urteil vom 12.12.2008 – V ZR 106/07, NJW-RR 2009, 515 Rn. 24[]
  13. st. Rspr.: vgl. BGH, Urteil vom 09.11.1979 – V ZR 85/78, BGHZ 75, 315, 318 f.; Urteil vom 12.12.2008 – V ZR 106/07, NJW-RR 2009, 515 Rn.19; Urteil vom 18.10.2013 – V ZR 278/12[]
  14. BGH, Urteil vom 09.11.1979 – V ZR 85/78, BGHZ 75, 315, 319[]
  15. BGH, Urteil vom 29.06.2012 – V ZR 97/11, NJW-RR 2012, 1160, 1161 Rn.20; Urteil vom 21.10.1983 – V ZR 166/82, BGHZ 88, 344, 351 f., jeweils mwN[]
  16. vgl. MünchKomm-BGB/Säcker, 6. Aufl., § 917 Rn. 1, 3[]
  17. BGH, Urteil vom 15.04.1964 – V ZR 134/62, NJW 1964, 1321, 1322; OLG Karlsruhe, DWW 2013, 261, 263; OLG Saarbrücken, OLGR 2006, 580, 581; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1989, 204, 205[]
  18. vgl. BGH, Urteil vom 17.12.1999 – V ZR 144/98, NJW 2000, 1719, 1720[]
  19. BGH, Urteil vom 11.04.2003 – V ZR 323/02, NJW-RR 2003, 1235, 1236 f.[]
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