Ist die anwaltliche Geschäftsgebühr gemäß RVG VV Nr. 2300 tituliert und dem Erkenntnisverfahren ein Mahnverfahren mit gleichen Gegenstandswerten vorausgegangen, ist bei der Kostenfestsetzung die gemäß RVG VV Nr. 3305 entstandene Verfahrensgebühr für die Tätigkeit im Mahnverfahren auf die gemäß RVG VV Nr. 3100 entstandene Verfahrensgebühr in vollem Umfang anzurechnen.

Der Anrechnung der hälftigen Geschäftsgebühr steht nicht entgegen, dass die Anrechnungsvorschrift der Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu RVG VV Nr. 3100 grundsätzlich nur das Innenverhältnis zwischen Mandant und Anwalt betrifft 1. Denn eine Anrechnung hat in den Fällen zu erfolgen, die nunmehr in § 15a Abs. 2 RVG gesetzlich geregelt sind 2. Nachdem die außergerichtliche Geschäftsgebühr voll tituliert worden ist, ist die Anrechnung auch im Verhältnis zu Dritten im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen (jetzt: § 15a Abs. 2 Var. 2 RVG).
Auch die Anrechnungsregeln hinsichtlich der im Mahnverfahren entstandenen Gebühren wirken sich im Verhältnis zu Dritten aus, § 15a Abs. 2 Var. 3 RVG 3.
Diese Form der Anrechnung entspricht im Ergebnis der herrschenden Meinung 4. Überwiegend wird die Berechnung der Gebühren im Falle des nach außergerichtlicher Geschäftsbesorgung zunächst im Mahnverfahren und anschließend im Hauptverfahren in derselben Sache tätigen Rechtsanwalts in der Weise vorgenommen, dass auf die Verfahrensgebühr für die Vertretung des Antragstellers im Mahnverfahren die Geschäftsgebühr gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu RVG VV Nr. 3100 angerechnet wird. Die Verfahrensgebühr für die Vertretung des Antragstellers im Mahnverfahren wird gemäß RVG VV Nr. 3305 in vollem Umfang und nicht – wie die Kläger es beanspruchen – in durch die Anrechnung der Geschäftsgebühr gekürztem Umfang auf die Verfahrensgebühr für die Tätigkeit im streitigen Verfahren angerechnet.
Gegen diese Anrechnungslösung spricht sich Hansens 5 aus. Er meint, auf die Verfahrensgebühr im Hauptverfahren nach RVG VV Nr. 3100 sei gemäß der Anmerkung zu Nr. 3305 RVG VV nur noch die im Mahnverfahren verbleibende Verfahrensgebühr (RVG VV Nr. 3305 – ½ RVG VV Nr. 2300) anzurechnen. Nur diese sei, nachdem in der Reihenfolge des zeitlichen Entstehens angerechnet werde, zur Anrechnung noch vorhanden.
Die herrschende Meinung ist zutreffend. Sie entspricht schon dem Wortlaut der Anrechnungsregelung in RVG VV Nr. 3305. Nach diesem ist die zuvor bezeichnete volle Verfahrensgebühr auf einen nachfolgenden Rechts-streit anzurechnen. Dem Wortlaut kann nicht entnommen werden, dass – im Falle einer zuvor erfolgten Anrechnung – nur die verbleibende Gebühr im nach-folgenden Rechtsstreit anzurechnen ist. § 15a RVG lässt sich vielmehr entnehmen, dass die ursprünglich entstandene Gebühr anzurechnen ist. Mit dieser Norm wird klargestellt, dass jede Gebühr unabhängig von ihrer Anrechnung in vollem Umfang entsteht 6.
Nur mit diesem Verständnis ist gewährleistet, dass der Sinn der Anmerkung zu RVG VV Nr. 3305 auch dann zum Tragen kommt, wenn eine vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr anzurechnen ist. Ansonsten entstünde das vom Gesetzgeber nicht gewollte Ergebnis, dass für die Tätigkeit des nach außergerichtlicher Geschäftsbesorgung zunächst im Mahnverfahren und anschließend im Hauptverfahren tätigen Rechtsanwalts mehr Gebühren festzusetzen wären, als für die Tätigkeit des Anwalts, der nach außergerichtlicher Geschäftsbesorgung direkt das Hauptsacheverfahren betreibt 7.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – VII ZB 116/09
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 02.09.2009 – II ZB 35/07, NJW 2009, 3101 Rn. 8; vom 09.12.2009 – XII ZB 175/07, FamRZ 2010, 456 Rn. 16; vom 11.03.2010 – IX ZB 82/08, AGS 2010, 159 Rn. 6; vom 29.04.2010 – V ZB 38/10, AGS 2010, 263 Rn. 8; und vom 10.08.2010 – VIII ZB 15/10[↩]
- BGH, Beschluss vom 29.04.2010 – V ZB 38/10, aaO[↩]
- vgl. Gerold/Schmidt-Müller-Rabe, RVG, 19. Aufl., § 15a Rn. 23[↩]
- vgl. OLG Köln, AGS 2009, 476; Meyer, JurBüro 2008, 16, 17; Gerold/Schmidt-Müller-Rabe, RVG, 19. Aufl., VV Vorb. 3 Rn. 209 f.; Enders, JurBüro 2005, 243, 244; Bräuer in Festschrift Madert 2006, S. 9, 18 f.; vgl. auch OLG Stuttgart, JurBüro 2008, 526, zur vergleichbaren Lage nach vorangegangenem selbständigen Beweisverfahren[↩]
- Hansens, RVGReport 2009, 81, 84 f.[↩]
- Gerold/Schmidt-Müller-Rabe, RVG, 19. Aufl., Vorb. 3 VV Rn. 210[↩]
- ebenso Gerold/Schmidt-Müller-Rabe, aaO Rn. 211[↩]