Der Kläger verlangt in dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall materiellen Schadensersatz, Schmerzensgeld und die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für die Folgen eines Unfalls. Für die Entscheidung des Bundesgerichtshofs hatte dieser die Frage der gemeinsamen Betriebsstätte näher zu prüfen.

Der Kläger ist bei der Streithelferin, der Betreiberin der Werft, angestellter Schiffbauer. Der Beklagte ist Eigner des Binnenschiffes „MS V. „. Das Schiff lag zur Durchführung verschiedener Arbeiten auf der Werft der Streithelferin als der Beklagte versuchte, die Luke über dem Laderaum mit einem Lukendeckel zu schließen. Dabei verrutschte der Lukendeckel und fiel auf den Kläger, der etwa 3,5 m unterhalb der Lukenöffnung im Innenraum des Schiffes arbeitete. Der Kläger erlitt schwere Verletzungen.
Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs erweist sich die Annahme des Berufungsgerichts als rechtsfehlerhaft, dass dem Beklagten das Haftungsprivileg des § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII zugute komme. Die Revision wendet sich – als ihr günstig – nicht dagegen, dass sich das Berufungsgericht zu den materiellen Haftungsvoraussetzungen gemäß § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. den §§ 249 ff. BGB nicht geäußert hat. Hierzu bestand aus Sicht des Berufungsgerichts auch keine Veranlassung. Sie rügt jedoch mit Recht, dass das Berufungsgericht die Haftungsprivilegierung des Beklagten gemäß § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII bejaht hat.
Zwar ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Haftungsprivilegierung des § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII dem Unternehmer als Schädiger nur dann zugute kommt, wenn er im Zeitpunkt der Schädigung selbst Versicherter der gesetzlichen Unfallversicherung war1. Es hat hierzu aber keine Feststellungen getroffen. Soweit die Revisionserwiderung den Beitragsbescheid für 2009 in der Anlage zur Revisionserwiderungsschrift vorgelegt hat, besagt dieser nichts für die Versicherteneigenschaft im fraglichen Zeitraum des Jahres 2006. Auf die Frage, ob der Bescheid für 2009 in der Revisionsinstanz überhaupt zu berücksichtigen ist, kommt es schon deshalb nicht an.
Der Bundesgerichtshof teilt auch nicht die Auffassung des Berufungsgerichts, dass es zum Unfall bei einer vorübergehenden betrieblichen Tätigkeit der Parteien auf einer gemeinsamen Betriebsstätte gekommen sei. Zwar legt das Berufungsgericht der Prüfung die zutreffende Definition der gemeinsamen Betriebsstätte im Sinne des § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII zugrunde. Es gibt auch zutreffend die Merkmale wieder, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die „gemeinsame“ Betriebsstätte prägend sind.
Doch lässt das Berufungsgericht außer Betracht, dass im Streitfall die Verbindung zwischen den Tätigkeiten als solchen in der konkreten Unfallsituation fehlt, die die „gemeinsame“ Betriebsstätte entscheidend kennzeichnet2. Die Beurteilung, ob in einer Unfallsituation eine „gemeinsame Betriebsstätte“ vorlag, muss sich auf konkrete Arbeitsvorgänge beziehen3. Es kommt darauf an, dass in der konkreten Unfallsituation eine gewisse Verbindung der Tätigkeiten als solchen, die sich als bewusstes Miteinander im Betriebsablauf darstellt und im faktischen Miteinander der Beteiligten aufeinander bezogen, miteinander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet ist, gegeben ist. Der Haftungsausschluss nach § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII ist (nur) im Hinblick auf die zwischen den Tätigen verschiedener Unternehmen bestehende Gefahrengemeinschaft gerechtfertigt4. Er knüpft daran an, dass eine gewisse Verbindung zwischen den Tätigkeiten als solchen in der konkreten Unfallsituation gegeben ist5.
Nach den Umständen des Streitfalls ist bezogen auf den Unfallzeitpunkt ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken des Klägers mit dem Beklagten nicht gegeben. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass der Beklagte versuchte, einen Lukendeckel über die Luke zu fahren, während der Kläger mit dem Einbau des Stahlbodens befasst war. Selbst wenn der Beklagte die Luke im Hinblick auf den einsetzenden Regen verschließen wollte, war der Kläger zur Erbringung seiner Arbeiten darauf weder angewiesen noch hingen die Werkleistungen der übrigen Mitarbeiter der Streithelferin davon ab, dass die Luke geschlossen würde. Es fehlt sowohl das notwendige Miteinander im Arbeitsablauf als auch der wechselseitige Bezug der betrieblichen Aktivitäten. Ein Zusammenwirken der Parteien im konkreten Arbeitsvorgang war zu diesem Zeitpunkt nicht gegeben. Die Tätigkeit des Beklagten war nicht in einem faktischen Miteinander mit der des Klägers aufeinander bezogen, miteinander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet, so dass die für eine „gemeinsame Betriebsstätte“ typische Gefahr bestanden hätte, dass sich die Parteien bei den versicherten Tätigkeiten ablaufbedingt in die Quere kommen konnten6.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts wird die „gemeinsame Betriebsstätte“ nicht durch vertragliche Vereinbarungen und deren Erfüllung begründet. Die vertraglichen oder sonstigen Beziehungen, die zu dem Tätigwerden der Arbeitnehmer verschiedener Unternehmen führen, spielen für die Beurteilung, ob eine gemeinsame Betriebsstätte vorliegt, keine maßgebliche Rolle. Zwar kann die notwendige Arbeitsverknüpfung im Einzelfall auch dann bestehen, wenn die von den Beschäftigten verschiedener Unternehmen vorzunehmenden Maßnahmen sich nicht sachlich ergänzen und unterstützen, die gleichzeitige Ausführung der betreffenden Arbeiten wegen der räumlichen Nähe aber eine Verständigung über den Arbeitsablauf erfordert und hierzu konkrete Absprachen getroffen werden. Das ist etwa dann der Fall, wenn ein zeitliches und örtliches Nebeneinander dieser Tätigkeiten nur bei Einhaltung von besonderen beiderseitigen Vorsichtsmaßnahmen möglich ist und die Beteiligten solche vereinbaren7. Eine solche Verständigung über ein bewusstes Nebeneinander im Arbeitsablauf hat es im Streitfall nach den getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts gerade nicht gegeben. Vielmehr verständigten sich die Streithelferin und der Beklagte über einen sukzessiven Arbeitsablauf. Der Beklagte war in den Ablauf der Werftarbeiten nicht eingebunden, daran beteiligt oder auch nur davon berührt. Eine Gefahr, dass der Kläger bei seinen Tätigkeiten dem Beklagten einen Schaden zufügen könnte, war wegen des fehlenden Miteinanders des Arbeitsablaufs rein theoretischer Natur. Dies reicht nicht aus, um die für eine gemeinsame Betriebsstätte erforderliche typische Gefahrengemeinschaft anzunehmen8.
Das Berufungsurteil war nach alledem aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht erhält damit Gelegenheit, dem Vortrag des Beklagten nachzugehen, dass das Verschieben des Lukendeckels aus seiner Sicht eine Hilfeleistung für die Arbeiter der Streithelferin war. Hätte der Beklagte ausschließlich im Interesse der Streithelferin deren Beschäftigten Hilfe geleistet, wäre zu prüfen, ob er im Zeitpunkt des Unfalls „wie ein Beschäftigter“ der Streithelferin tätig und mithin gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII Versicherter der gesetzlichen Unfallversicherung im Unternehmen der Streithelferin war9. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts kann dies nicht beurteilt und eine daraus etwa folgende Haftungsprivilegierung nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII nicht ausgeschlossen werden.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. Oktober 2011 – VI ZR 248/10
- ständige Rechtsprechung vgl. BGH, Urteile vom 03.07.2001 – VI ZR 198/00, BGHZ 148, 209, 212 f.; vom 16.12.2003 – VI ZR 103/03, BGHZ 157, 213, 216; vom 25.06.2002 – VI ZR 279/01, VersR 2002, 1107; vom 29.10.2002 – VI ZR 283/01, VersR 2003, 70, 71; vom 14.09.2004 – VI ZR 32/04, VersR 2004, 1604, 1605; vom 14.06.2005 – VI ZR 25/04, VersR 2005, 1397, 1398; vom 13.03.2007 – VI ZR 178/05, VersR 2007, 948 Rn. 17 und vom 17.06.2008 – VI ZR 257/06, BGHZ 177, 97 Rn. 11, 17[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 23.01.2001 – VI ZR 70/00, VersR 2001, 372, 373; vom 14.09.2004 – VI ZR 32/04, aaO S. 1604 f.; vom 08.06.2010 – VI ZR 147/09, VersR 2010, 1190 Rn. 14, 16; vom 01.02.2011 – VI ZR 227/09, VersR 2011, 500 Rn. 7 und vom 10.05.2011 – VI ZR 152/10, VersR 2011, 882 Rn. 12[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 01.02.2011 – VI ZR 227/09, aaO Rn. 7 und 9[↩]
- vgl. dazu BGH, Urteil vom 16.12.2003 – VI ZR 103/03, aaO S. 218 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 23.01.2001 – VI ZR 70/00, aaO; vom 14.09.2004 – VI ZR 32/04, aaO; vom 08.06.2010 – VI ZR 147/09, aaO Rn. 14; vom 01.02.2011 – VI ZR 227/09, aaO und vom 10.05.2011 – VI ZR 152/10, aaO[↩]
- vgl. dazu BGH, Urteil vom 16.12.2003 – VI ZR 103/03, aaO S. 217[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 17.06.2008 – VI ZR 257/06, aaO Rn. 19; vom 08.04.2003 – VI ZR 251/02, VersR 2003, 904, 905; vom 13.03.2007 – VI ZR 178/05, aaO Rn. 22 und vom 08.06.2010 – VI ZR 147/09, aaO Rn. 16 und vom 01.02.2011 – VI ZR 227/09, aaO Rn. 10; BGH, Beschluss vom 23.07.2002 – VI ZR 91/02, BGHZ 152, 7, 9[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 08.06.2010 – VI ZR 147/09, aaO[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 23.03.2004 – VI ZR 160/03, VersR 2004, 1045, 1046 f.[↩]