Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in einem heute verkündeten Urteil die unionsrechtlichen Regeln über die gerichtliche Zuständigkeit für Verbraucherverträge für die Fälle präzisiert, in denen Dienstleistungen im Internet angeboten werden. Danach führt die bloße Benutzung einer Website durch den Gewerbetreibenden als solche noch nicht zur Geltung der Zuständigkeitsregeln, die dem Schutz der Verbraucher anderer Mitgliedstaaten dienen.

Nach der Verordnung der Europäischen Union über die gerichtliche Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen1 sind Klagen gegen Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, in der Regel vor den Gerichten dieses Staates zu erheben. Des Weiteren kann nach dieser Verordnung in Streitigkeiten, die einen Vertrag betreffen, die Klage beim Gericht des Ortes erhoben werden, an dem die Verpflichtung aus dem Vertrag erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Liegt hingegen ein Verbrauchervertrag vor, gelten besondere Regeln, die den Verbraucher schützen sollen: Hat der dem Verbraucher gegenüberstehende Gewerbetreibende seine Tätigkeit auf den Mitgliedstaat „ausgerichtet“, in dem der Verbraucher wohnt, kann der Verbraucher eine etwaige Klage beim Gericht des Mitgliedstaats erheben, in dem er selbst wohnt, und umgekehrt auch nur in diesem Staat verklagt werden. In den beiden Rechtsstreitigkeiten, die dem heutigen Urteil des Gerichtshofs zugrunde liegen, geht es um die Frage, ob ein Gewerbetreibender seine Tätigkeit im Sinne der Verordnung auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers „ausrichtet“, wenn er zur Kommunikation mit den Verbrauchern eine Website nutzt.
Dem aktuellen Urteil des Gerichtshof der Europäischen Union lagen zwei Vorabentscheidungsersuchen des österreichischen Obersten Gerichtshofs zugrunde. Im Wege eines solchen Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Europäische Gerichtshof entscheidet dabei nur über die vorgelegte Rechtsfrage, dagegen nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist danach Sache des vorlegenden nationalen Gerichts, über den konkreten Rechtsstreit im Einklang mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs bindet in gleicher Weise auch andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
In dem ersten der beiden Vorabentscheidungsersuchen2 geht es um eine Schiffsreise von Italien nach Asien: Herr Pammer, der in Österreich wohnt, wollte eine Frachtschiffsreise von Triest (Italien) nach Fernost unternehmen. Er buchte eine solche Reise bei der in Deutschland niedergelassenen Reederei Karl Schlüter unter Vermittlung durch eine deutsche Reiseagentur, die auf den Verkauf von Frachtschiffsreisen im Internet spezialisiert ist. Herr Pammer lehnte es jedoch ab, die Reise anzutreten, da seiner Ansicht nach die Bedingungen an Bord nicht der Beschreibung entsprachen, die die Reiseagentur von der Reise gegeben hatte. Er verlangte daher die Rückerstattung des von ihm bereits entrichteten Reisepreises. Da ihm die Reederei Karl Schlüter nur einen Teil dieses Preises erstattete, erhob Herr Pammer Klage bei einem österreichischen Gericht. Die Reederei Karl Schlüter erhob dagegen die Einrede der Unzuständigkeit der österreichischen Gerichte. Sie begründete dies damit, dass sie in Österreich keine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübe.
In dem zweiten Vorabentscheidungsersuchen3 ging es um eine Hotelbuchung: Herr Heller, der in Deutschland wohnt, buchte bei einem in Österreich gelegenen Hotel, dem Hotel Alpenhof, mehrere Zimmer für einen einwöchigen Aufenthalt. Er nahm diese Buchung per eMail unter Verwendung einer E‑Mail-Adresse vor, die auf der von ihm besuchten Website des Hotels angegeben war. Herr Heller bemängelte die Leistungen des Hotels und verließ es ohne Begleichung der Hotelrechnung. Das Hotel verklagte ihn daraufhin bei einem österreichischen Gericht auf Zahlung des Rechnungspreises. Hiergegen erhob Herr Heller eine Unzuständigkeitseinrede mit der Begründung, als in Deutschland wohnhafter Verbraucher könne er nur vor den deutschen Gerichten verklagt werden.
Der mit diesen beiden Rechtsstreitigkeiten befasste österreichische Oberste Gerichtshof hat den Gerichtshof der Europäischen Union um eine Vorabentscheidung über die Frage ersucht, ob darin, dass ein in einem Mitgliedstaat niedergelassenes Unternehmen seine Dienstleistungen über das Internet anbietet, eine „Ausrichtung“ seiner Tätigkeit auch auf andere Mitgliedstaaten liegt. Bei Bejahung dieser Frage kämen den in diesen Staaten wohnhaften Verbrauchern, die die Leistungen des Unternehmens in Anspruch nehmen, im Fall eines Rechtsstreits mit diesem die günstigeren Zuständigkeitsregeln der Verordnung zugute.
In seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof der Europäischen Union nun fest, dass die bloße Nutzung einer Website durch einen Gewerbetreibenden zum Zweck der Tätigung von Geschäften als solche noch nicht bedeutet, dass der Gewerbetreibende seine Tätigkeit auf andere Mitgliedstaaten „ausrichtet“, was zur Anwendung der verbraucherschützenden Zuständigkeitsregeln der Verordnung führen würde. Vielmehr setzt die Anwendung dieser Regeln im Verhältnis zu Verbrauchern anderer Mitgliedstaaten voraus, dass der Gewerbetreibende seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, Geschäftsbeziehungen zu Verbrauchern anderer Mitgliedstaaten herzustellen.
In diesem Zusammenhang nennt der Europäische Gerichtshof verschiedene Anhaltspunkte dafür, dass der Gewerbetreibende Geschäfte mit in anderen Mitgliedstaaten wohnhaften Verbrauchern tätigen wollte. Als solche Anhaltspunkte sind alle offenkundigen Ausdrucksformen des Willens des Gewerbetreibenden anzusehen, Verbraucher anderer Mitgliedstaaten als Kunden zu gewinnen, beispielsweise das Anbieten seiner Dienstleistungen oder Güter in mehreren namentlich benannten Mitgliedstaaten oder Ausgaben des Gewerbetreibenden für Internetreferenzierungsdienste von Suchmaschinenbetreibern, um in anderen Mitgliedstaaten wohnenden Verbrauchern den Zugang zu seiner Website zu erleichtern.
Jedoch können auch Anhaltspunkte, die nicht derart auf der Hand liegen – gegebenenfalls miteinander kombiniert –, das Vorliegen einer Tätigkeit belegen, die auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers „ausgerichtet“ ist. Zu solchen Anhaltspunkten gehören etwa der internationale Charakter der fraglichen Tätigkeit, wie bestimmter touristischer Tätigkeiten, die Angabe von Telefonnummern mit internationaler Vorwahl, die Verwendung eines anderen Domänennamens oberster Stufe als dem des Mitgliedstaats, in dem der Gewerbetreibende niedergelassen ist, z. B. „.de“, oder die Verwendung neutraler Domänennamen oberster Stufe wie „.com“ oder „.eu“, die Wiedergabe von Anfahrtsbeschreibungen von einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten aus zum Ort der Dienstleistung oder die Erwähnung einer internationalen Kundschaft, die sich aus in verschiedenen Mitgliedstaaten wohnhaften Kunden zusammensetzt, insbesondere durch die Wiedergabe von Kundenbewertungen. Auch wenn die fragliche Website den Verbrauchern die Verwendung einer anderen Sprache oder Währung als der im Mitgliedstaat des Gewerbetreibenden üblicherweise verwendeten ermöglicht, kann dies ein Anhaltspunkt für eine grenzüberschreitende Tätigkeit des Gewerbetreibenden sein.
Hingegen gehören zu solchen Anhaltspunkten nicht bereits die Angabe der elektronischen oder geografischen Adresse des Gewerbetreibenden auf der Website oder die seiner Telefonnummer ohne internationale Vorwahl, denn solche Angaben lassen nicht erkennen, ob der Gewerbetreibende seine Tätigkeit auf einen oder mehrere Mitgliedstaaten orientiert.
Der Gerichtshof der Europäischen Union gelangt somit zu dem Ergebnis, dass von dem österreichischen Gericht festzustellen sein wird, ob der Website und der gesamten Tätigkeit der betreffenden Gewerbetreibenden entnommen werden kann, dass diese mit österreichischen Verbrauchern4 oder mit deutschen Verbrauchern in dem Sinne Geschäfte tätigen wollten5, dass sie zu einem Vertragschluss mit diesen Verbrauchern bereit waren.
Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 7. Dezember 2010 – C‑585/08 und C‑144/09 [Peter Pammer /Reederei Karl Schlüter GmbH & Co. KG und Hotel Alpenhof GesmbH /Oliver Heller]
- Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).[↩]
- C‑585/08[↩]
- C‑144/09[↩]
- im Fall der Rechtssache C‑585/08[↩]
- im Fall der Rechtssache C‑144/09[↩]