Gerichtliche Zustellungen ins Postfach

Ein Postfach ist jedenfalls dann eine ähnliche Vorrichtung im Sinne von § 180 Satz 1 ZPO, wenn eine Wohnanschrift desjenigen, dem zugestellt werden soll, unbekannt oder nicht vorhanden ist. Ein Zustellungsvertreter darf nicht bestellt werden, wenn dem Vollstreckungsgericht die Postfachadresse desjenigen, dem zugestellt werden soll, bekannt ist. Dennoch erfolgte Zustellungen an den Zustellungsvertreter sind unwirksam.

Gerichtliche Zustellungen ins Postfach

Anlass für diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs war eine Beschwerde gegen einen Zuschlagsbeschluss in der Zwangsversteigerung, der einem zuvor vom Gericht bestellten Zustellungsvertreter zugestellt worden war:

Nach § 6 Abs. 1 ZVG hat das Vollstreckungsgericht einen Zustellungsvertreter zu bestellen, wenn ihm der Aufenthalt desjenigen, welchem zugestellt werden soll, nicht bekannt ist oder die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung aus sonstigen Gründen (§ 185 ZPO) gegeben sind. So verhielt es sich bereits im Zeitpunkt der Bestellung der Zustellungsvertreterin nicht, weil dem Vollstreckungsgericht – wenn auch einer anderen Abteilung in einem Parallelverfahren – bekannt war, dass der Beteiligte zu 1 ein Postfach unterhielt. Im Übrigen hätte das Vollstreckungsgericht, selbst wenn die Bestellung der Zustellungsvertreterin wirksam gewesen wäre, gemäß § 7 Abs. 1 ZVG von weiteren Zustellungen an diese absehen müssen, nachdem die Akten einen Vermerk über das Postfach des Beteiligten zu 1 enthielten.

die Kenntnis von einem Postfach desjenigen, dem zuzustellen ist, steht nach Sinn und Zweck des § 6 ZVG der Kenntnis von dessen Aufenthalt gleich. Durch die Bestellung eines Zustellungsvertreters sollen Verzögerungen vermieden werden, die infolge einer sonst notwendig werdenden öffentlichen Zustellung von Beschlüssen des Vollstreckungsgerichts entstünden1. Der Vorschrift des § 6 ZVG liegt also die Vorstellung zugrunde, dass nur eine öffentliche Zustellung (§ 185 ZPO) möglich ist, wenn der Aufenthalt desjenigen, dem zugestellt werden soll, unbekannt ist. Dies entsprach den vor dem Inkrafttreten des Zustellungsreformgesetzes vom 25.06.20012 geltenden Zustellungsvorschriften der Zivilprozessordnung, die Zustellungen an eine Postfachadresse nicht erlaubten. Durch das bloße Einlegen von Schriftstücken in einen Briefkasten oder eine ähnliche Einrichtung konnte eine Zustellung nicht bewirkt werden (vgl. § 181 ZPO aF). Eine Ersatzzustellung durch Niederlegung (§ 182 ZPO aF) war nur möglich, wenn der Empfänger an dem Bestimmungsort eine Wohnung hatte3. Auch die erleichterte Zustellung nach § 4 ZVG durch Aufgabe eines Einschreibens zur Post war bei einem Postfach unmöglich, da diese nur durch ein die Aushändigung an den Empfänger oder eine andere berechtigte Person erforderndes sog. „Übergabe“-Einschreiben, nicht aber durch ein sog. „Einwurf“-Einschreiben erfolgen kann4.

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Die Annahme, einer Person, deren Aufenthalt unbekannt sei, könne ein Schriftstück nur im Wege der öffentlichen Zustellung zugestellt werden, ist durch die genannte Reform der Vorschriften über die Zustellung jedoch überholt. Seither ist nämlich eine Ersatzzustellung durch Einlegen des Schriftstücks in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung möglich, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist (§ 180 Satz 1 ZPO). Gedacht hat der Gesetzgeber insoweit zwar primär an Vorrichtungen, die sich in räumlicher Nähe zu der Wohnung oder den Geschäftsräumen des Empfängers befinden5. Mit dem Wortlaut der Vorschrift vereinbar ist aber auch die Annahme, eine ähnliche Vorrichtung könne ein von dem Empfänger eingerichtetes Postfach sein6.

Jedenfalls dann, wenn eine Zustellung unter der Wohnanschrift des Empfängers ausscheidet, weil diese unbekannt oder – wie hier – nicht vorhanden ist, gebieten Sinn und Zweck der Vorschrift, das Einlegen des Schriftstücks in ein Postfach als wirksame Ersatzzustellung anzusehen. Zustellungszweck ist es, dem Adressaten angemessene Gelegenheit zur Kenntnisnahme eines Schriftstücks zu verschaffen und den Zeitpunkt dieser Bekanntgabe zu dokumentieren7. Dabei soll insbesondere die Ersatzzustellung nach § 180 Satz 1 ZPO dem Adressaten einen leichteren und schnelleren Zugang zu der Sendung ermöglichen, als dies insbesondere bei einer Ersatzzustellung durch Niederlegung der Fall ist8. Diesem Anliegen des Gesetzgebers entsprechend ist eine solche Ersatzzustellung auch zuzulassen, wenn zwar kein Wohnort des Empfängers bekannt oder vorhanden, wohl aber eine briefkastenähnliche Vorrichtung zum Postempfang eingerichtet ist. Denn hierdurch wird dem Empfänger die Kenntnisnahme des Schriftstücks in vergleichbar sicherer und einfacher Weise ermöglicht wie bei dem Einlegen in einen Briefkasten; zugleich werden Zustellungsformen vermieden, die den Zugang zu dem Schriftstück deutlich stärker erschweren, insbesondere die öffentliche Zustellung (§ 185 ZPO) oder eine Zustellung nach §§ 6, 7 ZVG.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14. Juni 2012 – V ZB 182/11

  1. vgl. Dassler/Schiffhauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, ZVG, 13. Aufl., § 6 Rn. 1; Steiner/Hagemann, ZVG 9. Aufl., § 6 Rn. 1 u. 6[]
  2. BGBl I S. 1206[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 13.10.1993 – XII ZR 120/92, NJW-RR 1994, 564; BayObLGSt 1962, 222[]
  4. Stöber, ZVG, 19. Aufl., § 4 Anm.02.3; vgl. auch BVerwGE 112, 78[]
  5. vgl. BT-Drucks. 14/4554 S. 21[]
  6. so BFH/NV 2005, 229; 2008, 1860, 1861; vgl. auch BGH, Beschluss vom 21.01.2010 IX ZB 83/06, ZIP 2010, 395, 396 Rn.10 sowie MünchKomm-ZPO/Häublein, 3. Aufl., § 180 Rn. 4[]
  7. BT-Drucks. 14/4554 S. 14[]
  8. aaO, S. 21[]