Gerichtliches Mahnverfahren – und der Verzicht auf einen Einspruch

Der Antragsgegner kann in einem Mahnverfahren schon vor Erlass des Vollstreckungsbescheids durch einseitige Erklärung gegenüber dem Amtsgericht (Mahngericht) auf den Rechtsbehelf des Einspruchs wirksam verzichten.

Gerichtliches Mahnverfahren – und der Verzicht auf einen Einspruch

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hat die Klägerin über eine Forderung in Höhe von 2.200 € nebst Zinsen, die ihren Angaben zufolge auf einem Dienstleistungsvertrag beruht, beim Amtsgericht Aschersleben einen Mahnbescheid erwirkt. Hiergegen hat der Beklagte mit am 31.08.2016 bei Gericht eingegangenem Schreiben Widerspruch eingelegt. Unter dem 17.01.2018 hat der Beklagte einen an das Amtsgericht adressierten Vordruck der Klägerin unterschrieben, mit dem er erklärt hat, seinen Widerspruch gegen den Mahnbescheid zurückzunehmen und auf den Einspruch gegen den noch zu erlassenden Vollstreckungsbescheid zu verzichten. Auf Antrag der Klägerin hat das Amtsgericht Aschersleben sodann am 20.02.2018 einen Vollstreckungsbescheid erlassen. Hiergegen hat der Beklagte mit am 26.02.2018 eingegangenem Schreiben Einspruch eingelegt. Zu dessen Begründung hat er ausgeführt, die Mitarbeiter der Klägerin hätten ihn mehrfach zuhause aufgesucht, damit er den Verzicht unterzeichne. Ein einseitiger Verzicht auf den Einspruch gegen einen Vollstreckungsbescheid vor dessen Erlass sei unwirksam.

Nach Abgabe der Sache hat das Amtsgericht Frankfurt (Oder) den Einspruch des Beklagten durch Urteil als unzulässig verworfen1. Die hiergegen erhobene Berufung des Beklagten hat das Landgericht Frankfurt (Oder) zurückgewiesen2. Die hiergegen gerichtete; vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten blieb vor dem Bundesgerichtshof ohne Erfolg:

Der Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid ist aufgrund der vom Beklagten unter dem 17.01.2018 abgegebenen und an das Amtsgericht -Mahngericht- Aschersleben gerichteten Verzichtserklärung unzulässig.

Ein Rechtsbehelfsverzicht ist anzunehmen, wenn in der Verzichtserklärung klar und eindeutig der Wille zum Ausdruck kommt, die Entscheidung endgültig hinnehmen und nicht anfechten zu wollen3. Inhalt und Tragweite eines gegenüber dem Gericht erklärten Rechtsbehelfsverzichts sind danach zu beurteilen, wie die Verzichtserklärung bei objektiver Betrachtung zu verstehen ist; ein davon abweichender innerer Wille des Handelnden ist unbeachtlich4.

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Gemessen an diesen Grundsätzen kann nicht zweifelhaft sein, dass der Beklagte mit seiner von ihm unterschriebenen und unter Angabe der Geschäftsnummer an das Amtsgericht Aschersleben gerichteten Erklärung vom 17.01.2018, in welcher die Streitparteien mit voller Namensnennung zutreffend bezeichnet sind und die in Fettdruck mit „Widerspruchsrücknahme zum Mahnbescheid“ sowie „Verzicht auf Einspruch gegen den noch zu erlassenden Vollstreckungsbescheid“ überschrieben ist, im Voraus den Verzicht auf das Recht zur Einspruchseinlegung gegen den – dann am 20.02.2018 erlassenen – Vollstreckungsbescheid erklärt hat. Es handelt sich um einen klaren und eindeutigen Rechtsbehelfsverzicht5. Da ein abweichender innerer Wille des Handelnden für die Auslegung einer solchen Erklärung unbeachtlich ist, ist es nicht von Belang, dass der Beklagte, wie die Revision geltend macht, sich über Bedeutung und Tragweite eines Rechtsmittelverzichts nicht im Klaren gewesen sei. Dies gilt insbesondere auch unter Berücksichtigung seines Vorbringens, er habe mangels Gerichtserfahrung die Unwiderruflichkeit und Endgültigkeit des Verzichts nicht zutreffend erfasst – weil er Rentner und nicht juristisch vorgebildet, zum Zeitpunkt der Abgabe der von der Klägerin vorformulierten Erklärung nicht anwaltlich vertreten gewesen und zuvor (mehrfach) von einem Mitarbeiter der Klägerin zuhause an der Haustür aufgesucht worden sei – und er habe eine Erklärung in diesem Sinne, wie die kurz danach erfolgte Einspruchseinlegung zeige, offenbar nicht abgeben wollen.

Die Verzichtserklärung ist wirksam.

Ein gegenüber dem Gericht erklärter Rechtsbehelfsverzicht stellt eine einseitige Prozesshandlung dar. Er ist nicht nach bürgerlichem Recht wegen Willensmängeln anfechtbar6. Ebenso wenig dürfen auf ihn die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen die guten Sitten zur Anwendung gebracht werden7. Ein Rechtsbehelfsverzicht ist auch grundsätzlich nicht widerrufbar8. Das folgt daraus, dass seine Wirksamkeit allein nach den Maßstäben des Verfahrensrechts zu beurteilen ist und dieses eine Vorschrift, die – wie etwa § 290 ZPO für das prozessuale Geständnis unter besonderen Voraussetzungen einen Widerruf zulässt, nicht kennt9. Nach anerkannter Rechtsauffassung kann eine Prozesshandlung im anhängigen Rechtsstreit nur widerrufen werden, wenn ein Restitutionsgrund nach § 580 ZPO vorliegt10. Daneben kann ein Verstoß gegen das – auch im Verfahrensrecht geltende11 – Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) in Betracht kommen12.

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Dies zugrunde gelegt, ist die vom Beklagten abgegebene Verzichtserklärung bindend. So kommt – anders als die Revision meint, welche auf die §§ 312b, 312g und 355 BGB rekurriert – die Zubilligung eines Widerrufsrechts in entsprechender Anwendung bürgerlichrechtlicher Vorschriften nicht in Frage. Ein Restitutionsgrund nach § 580 ZPO kann nach den tatsächlichen, von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht angenommen werden.

Hinreichende Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB sind gleichfalls nicht ersichtlich. Dies gilt insbesondere auch, soweit das Amtsgericht festgestellt hat, es gehöre offenbar zum Geschäftsmodell der Klägerin, Kunden zur Rücknahme eines gegen einen Mahnbescheid erhobenen Widerspruchs und zum Verzicht auf den Einspruch gegen einen noch zu erlassenden Vollstreckungsbescheid zu veranlassen. Ein solches Gebaren ist zwar im Ausgangspunkt bedenklich, begründet aber ohne nähere Darlegung der Umstände, unter denen die Erklärung des Beklagten zustande gekommen ist, allein noch keinen Verstoß gegen die Gebote von Treu und Glauben. Die tatrichterliche Würdigung der Vorinstanzen, der – von der Klägerin bestrittene – Vortrag des Beklagten lasse nicht erkennen, dass auf seinen Willen in rechtlich unzulässiger Weise eingewirkt worden sei, ist frei von Rechtsfehlern.

Der vom Beklagten erklärte Verzicht ist auch im Übrigen wirksam und führt zur Unzulässigkeit des eingelegten Einspruchs.

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Nach der Dispositionsmaxime als tragendem Verfahrensgrundsatz des deutschen Zivilprozessrechts bestimmen die Parteien über Beginn, Umfang und Beendigung des Verfahrens13. Ob gegen einen Vollstreckungsbescheid Einspruch eingelegt oder auf dieses Recht verzichtet wird, unterliegt demgemäß der Dispositionsfreiheit des Antragsgegners als der beschwerten Partei. Eine Vorschrift, welche ihn daran hindert, schon vor Erlass des Vollstreckungsbescheids in einem anhängigen Mahnverfahren gegenüber dem Amtsgericht (Mahngericht) zu erklären, dass er nach Erlass desselben auf die Einlegung eines Einspruchs verzichte, existiert jedenfalls seit Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes vom 27.07.200114 am 1.01.2002 nicht mehr.

Nach § 700 Abs. 1 ZPO steht der Vollstreckungsbescheid einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil gleich. Infolgedessen gilt über die Verweisung in § 346 ZPO, der für den Verzicht auf den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil die Vorschrift über den Verzicht auf die Berufung für entsprechend anwendbar erklärt, die Bestimmung des § 515 ZPO entsprechend15. § 515 ZPO, der regelt, dass die Wirksamkeit des Verzichts auf die Berufung nicht von der Annahme durch den Gegner abhängt, schafft indes nicht die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Rechtsbehelfsverzichts, sondern geht vielmehr als Folge des den Zivilprozess beherrschenden Dispositionsgrundsatzes von der Zulässigkeit desselben aus16. Da die Vorschrift die noch in § 514 ZPO in der bis zum 31.12.2001 gültigen Fassung enthaltene Beschränkung auf „nach Erlass des Urteils erklärte“ Verzichte – entsprechend dem Willen des Gesetzgebers und der (Neu-)Regelung in § 313a Abs. 2 und 3 Hs. 1 ZPO17 – nicht (mehr) enthält18, besteht jedenfalls seit dem 1.01.2002 kein Anhalt mehr, den in einem Mahnverfahren schon vor dem Erlass des Vollstreckungsbescheids vom Antragsgegner gegenüber dem Amtsgericht (Mahngericht) einseitig erklärten Verzicht auf den Rechtsbehelf des Einspruchs für unwirksam zu halten.

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Dem stehen die in der Literatur vorgebrachten Bedenken nicht entgegen. So kann es, da auch ein Vollstreckungsbescheid, der eine materiellrechtlich nicht bestehende Forderung tituliert, einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil gleichsteht19, entgegen der Ansicht der Revision nicht entscheidend darauf ankommen, dass – anders als bei einem Versäumnisurteil – vor Erlass eines Vollstreckungsbescheids eine Schlüssigkeitsprüfung nicht stattfindet20. Im Übrigen trifft der Hinweis des Berufungsgerichts zu, dass auch bei einem nach Erlass des Vollstreckungsbescheids – unzweifelhaft zulässigen – Einspruchsverzicht oder dem schlichten Unterlassen eines Einspruchs eine gerichtliche Schlüssigkeitsprüfung nicht vorangegangen ist. Hieraus ergibt sich, dass dem Argument der Schlüssigkeitsprüfung beim Versäumnisurteil kein entscheidendes wertungsmäßiges Gewicht zukommt.

Des Weiteren ist der vor Erlass des Vollstreckungsbescheids erklärte einseitige Einspruchsverzicht nicht deswegen unwirksam, weil in den §§ 346, 515 ZPO eine Regelung des Verzichts vor Urteilserlass nicht enthalten ist21. Denn das Fehlen einer Regelung vermag die im Zivilprozess bestehende Dispositionsmaxime nicht einzuschränken.

Endlich trägt die Ansicht, welche einem Einspruchsverzicht vor Erlass des Vollstreckungsbescheids die Wirksamkeit mit der Begründung versagt, eine Partei dürfe sich nicht im Vorhinein der Garantien des gerichtsförmigen Verfahrens begeben22, der Dispositionsmaxime nicht hinreichend Rechnung. Diese Maxime wird als prozessuale Seite der Privatautonomie von Art. 2 Abs. 1 GG geschützt und hat möglichst uneingeschränkt auch für Rechtsmittel und Rechtsbehelfe zu gelten23. Zudem steht diese Auffassung nicht mit der mit dem Zivilprozessreformgesetz vom 27.07.2001 (aaO) verbundenen Intention des Gesetzgebers (§ 514 ZPO aF einerseits, § 515 ZPO andererseits) im Einklang.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 1. April 2021 – III ZR 47/20

  1. AG Frankfurt (Oder), Urteil vom 10.08.2018 – 25 C 171/18[]
  2. LG Frankfurt (Oder), Urteil vom 22.01.2020 – 16 S 126/18[]
  3. BGH, Beschlüsse vom 05.09.2006 – VI ZB 65/05, NJW 2006, 3498 Rn. 8; und vom 24.10.2017 – X ARZ 326/17, NJW-RR 2018, 250 Rn. 12[]
  4. vgl. BGH, Beschlüsse vom 25.06.1986 – IVb ZB 75/85, NJW-RR 1986, 1327, 1328; und vom 07.11.1989 – VI ZB 25/89, NJW 1990, 1118[]
  5. vgl. BGH, Beschlüsse vom 07.11.1989, 5.09.2006; und vom 24.10.2017, jew. aaO[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 14.06.1967 – IV ZR 21/66, NJW 1968, 794, 795; Beschlüsse vom 08.05.1985 – IVb ZB 56/84, NJW 1985, 2334 f; vom 07.11.1989 aaO; und vom 16.12.1992 – XII ZB 144/92, JR 1994, 21 f; Toussaint in BeckOK ZPO, § 346 Rn. 4 [Stand: 1.12.2020][]
  7. vgl. RGZ 162, 65, 67 f[]
  8. BGH, Beschluss vom 07.11.1989 aaO; Wulf in BeckOK ZPO, § 515 Rn. 7 [Stand: 1.12.2020][]
  9. BGH, Beschluss vom 08.05.1985 aaO; Wulf aaO Rn. 8[]
  10. z.B. BGH, Urteile vom 14.06.1967 aaO; vom 27.05.1981 – IVb ZR 589/80, BGHZ 80, 389, 394; und vom 08.12.1993 – XII ZR 133/92, NJW-RR 1994, 386, 387; Beschlüsse vom 08.05.1985 aaO, S. 2335; und vom 07.11.1989 aaO, S. 1119[]
  11. vgl. BGH, Urteil vom 20.11.1952 – IV ZR 204/52, LM Nr. 3 zu § 514 ZPO[]
  12. vgl. Wulf aaO Rn. 7[]
  13. vgl. BGH, Urteil vom 13.12.2019 – V ZR 152/18, ZfIR 2020, 338 Rn. 13[]
  14. BGBl. I S. 1887[]
  15. vgl. Olzen in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 700 Rn. 49; Voit in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl., § 700 Rn. 5; Gierl in Saenger, ZPO, 8. Aufl., § 700 Rn. 16; Sommer in Prütting/Gehrlein, ZPO, 12. Aufl., § 700 Rn. 10; Schüler in MünchKomm-ZPO, 6. Aufl., § 700 Rn. 25; Becker in Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, ZPO, 79. Aufl., § 700 Rn. 11; Seibel in Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 700 Rn. 11; Toussaint aaO Rn. 1 und 1.1[]
  16. Lemke in Prütting/Gehrlein, ZPO, 12. Aufl., § 515 Rn. 1; Ball in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl., § 515 Rn. 1[]
  17. vgl. Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drs. 14/4722 S. 85 und 94[]
  18. vgl. BGH, Beschluss vom 24.10.2017 aaO Rn. 14[]
  19. vgl. BGH, Urteil vom 11.07.1983 – II ZR 114/82, NJW 1984, 57[]
  20. zweifelnd Wulf aaO Rn. 2[]
  21. zweifelnd Prütting in MünchKomm-ZPO, 6. Aufl., § 346 Rn. 4[]
  22. vgl. Rimmelspacher in MünchKomm-ZPO, 6. Aufl., § 515 Rn. 2 mwN[]
  23. Beck in Kern/Diehm, ZPO, 2. Aufl., § 515 Rn. 1[]
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