Eine Aussetzung des Rechtsstreits kommt bei der getrennten Geltendmachung von Teilen einer einheitlichen Forderung nicht in Betracht, auch wenn sie auf demselben Klagegrund beruhen.

Eine Aussetzung gemäß § 148 ZPO kommt nicht in Betracht, weil die getrennte Geltendmachung von Teilforderungen aus demselben Klagegrund keine Vorgreiflichkeit bewirkt.
Nach § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei. Die Aussetzung der Verhandlung setzt damit Vorgreiflichkeit der in dem anderen Rechtstreit oder dem Verwaltungsverfahren zu treffenden Entscheidung im Sinne einer (zumindest teilweise) präjudiziellen Bedeutung voraus [1]. Vorgreiflichkeit ist insbesondere gegeben, wenn in einem anderen Rechtsstreit eine Entscheidung ergeht, die für das auszusetzende Verfahren materielle Rechtskraft entfaltet oder Gestaltungsbzw. Interventionswirkung erzeugt [2]. Der Umstand, dass in dem anderen Verfahren über eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, von deren Beantwortung die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ganz oder teilweise abhängt, rechtfertigt die Aussetzung der Verhandlung nicht [3]. Andernfalls würde das aus dem Justizgewährleistungsanspruch folgende grundsätzliche Recht der Prozessparteien auf Entscheidung ihres Rechtsstreits in seinem Kern beeinträchtigt [4]. Eine Aussetzung allein aus Zweckmäßigkeitsgründen sieht das Gesetz nicht vor [5].
Nach diesen Maßstäben war im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Streitfall eine Vorgreiflichkeit nicht gegeben, weil der vorliegende Rechtsstreit und das vor dem Landgericht München – I schwebende Verfahren voneinander abtrennbare Teile einer einheitlichen Forderung betreffen:
Rechnet der Beklagte mit einer in einem anderen Verfahren bereits aufgerechneten Gegenforderung in einem weiteren Prozess erneut auf, so hat das mit der Zweitaufrechnung befasste Gericht soweit es auf die Einwendung ankommt zu prüfen, ob die Gegenforderung (noch) besteht. Das mit der zweiten Aufrechnung befasste Gericht hat selbst sachlich zu untersuchen, ob die mit der Zweitaufrechnung geltend gemachte Gegenforderung besteht oder möglicherweise bereits durch die Erstaufrechnung verbraucht ist. Regelmäßig wird sich die Aussetzung des Zweitprozesses empfehlen, bis dasjenige Verfahren erledigt ist, in dem zuerst aufgerechnet wurde. Mit Rücksicht auf die Rechtskraftwirkung des § 322 Abs. 2 ZPO ist eine Vorgreiflichkeit des anderen Verfahrens gegeben [6].
Vorliegend klagt der Kläger eine Teilforderung vor dem Amtsgericht ein, während er mit dem übrigen Teil der Forderung in dem Verfahren vor dem Landgericht München – I die Aufrechnung erklärt. In dieser Gestaltung ist § 148 ZPO nicht anwendbar.
Eine Aussetzung der Verhandlung nach § 148 ZPO ist bei der getrennten Geltendmachung von Teilansprüchen aus demselben Klagegrund nicht zulässig. Dabei ist es bedeutungslos, in welcher Weise die Teile einer einheitlichen Forderung in verschiedenen Rechtsstreitigkeiten zur Prüfung gestellt werden, etwa im Wege der Klage und Widerklage oder durch Klage einerseits und Aufrechnung andererseits. Der abtrennbare Teil der vorliegend verfolgten Vergütungsforderung ist nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem Landgericht München I. Bei dieser Sachlage sind die Voraussetzungen der Aussetzung mangels einer Rechtskrafterstreckung nicht erfüllt. Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, dass durch die Aufspaltung der Vergütungsforderung auf zwei Prozesse die Gefahr widersprechender Entscheidungen besteht. Reine Zweckmäßigkeitserwägungen rechtfertigen eine Aussetzung jedoch nicht. Der Gefahr widersprechender Entscheidungen kann zudem nicht durch eine Aussetzung zuverlässig begegnet werden, weil die Entscheidung in dem vor dem Landgericht München – I geführten Prozess mangels identischer Streitgegenstände keine Rechtskraftwirkung für den vorliegenden Rechtsstreit erzeugt. Die Richter beider Verfahren sind verpflichtet, den jeweils anhängigen Rechtsstreit selbständig und nach eigener Überzeugung zu entscheiden [7]. Allenfalls käme in Betracht, das Ruhen eines der Verfahren auf gemeinsamen Antrag der Parteien (§ 251 ZPO) anzuordnen [8].
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27. Juni 2019 – IX ZB 5/19
- BGH, Beschluss vom 30.03.2005 – X ZB 26/04, BGHZ 162, 373, 375[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 28.02.2012 – VIII ZB 54/11, NJW-RR 2012, 575 Rn. 6[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 25.01.2006 – IV ZB 36/03, Rn. 2; vom 25.11.2013 NotZ (Brfg) 11/13, WM 2014, 810 Rn. 13[↩]
- BGH, Beschluss vom 25.11.2013, aaO[↩]
- BGH, Urteil vom 21.02.1983 – VIII ZR 4/82, NJW 1983, 2496 unter – II 2 a[↩]
- BGH, Versäumnisurteil vom 08.01.2004 – III ZR 401/02, WM 2004, 2324, 2325[↩]
- RG, Warn Rspr.1908 Nr. 400; OLG Köln, NJW 1958, 106; OLG Nürnberg, MDR 1963, 507; OLG Köln, MDR 1983, 848; OLG München, MDR 1996, 197; OLG Frankfurt, OLGR 1999, 39; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 148 Rn. 25; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl., § 148 Rn. 5a; HkZPO/Wöstmann, 8. Aufl., § 148 Rn. 4; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 77. Aufl., § 148 Rn. 26 „Teilforderung“; Prütting/Gehrlein/Dörr, ZPO, 10. Aufl., § 148 Rn. 11; aA KGR Berlin 2009, 957[↩]
- OLG München, aaO[↩]