§ 74b ZVG ist auch anwendbar, wenn das Grundstück mit mehreren gleichrangigen Grundschulden belastet ist und einer dieser Gläubiger Meistbietender bleibt; die Höhe seines nach dieser Bestimmung maßgeblichen Ausfallbetrags errechnet sich aus der Differenz zwischen dem Nominalwert seiner Grundschuld und dem auf ihn entfallenden Anteil an dem bereinigten Erlös1.

Sowohl das Beschwerdegericht als auch die Rechtsbeschwerde gehen zutreffend davon aus, dass die Voraussetzungen für einen
Einem Antrag auf Versagung des Zuschlags gemäß § 74a Abs. 1 Satz 1 ZVG wegen Nichterreichens der 7/10-Grenze steht nicht entgegen, dass der Antragsteller selbst die Zwangsversteigerung betreibt2. Allerdings findet § 74b ZVG zufolge § 74a ZVG unter bestimmten Voraussetzungen keine Anwendung. Erstens muss das Meistgebot – wie hier – von einem zur Befriedigung aus dem Grundstück Berechtigten abgegeben worden sein. Zweitens muss das Gebot (unter Einschluss des Kapitalwerts der bestehen bleibenden Rechte) zusammen mit dem Betrag, mit dem der Meistbietende bei der Verteilung des Erlöses ausfallen würde, 7/10 des Grundstückswertes erreichen, und drittens muss dieser Betrag im Rang unmittelbar hinter dem letzten Betrag stehen, der durch das Gebot noch gedeckt ist. Sämtliche Voraussetzungen sind erfüllt.
§ 74b ZVG regelt auch das Verhältnis zwischen gleichrangigen Gläubigern. Zwar soll die Norm einer vereinzelt vertretenen Ansicht zufolge nur auf nachrangige Rechte anwendbar sein3. Im Gegensatz dazu hat der Bundesgerichtshof bereits in seinem Urteil vom 14. Oktober 19664 den entscheidenden Anwendungsbereich der Vorschrift gerade in der Regelung des Verhältnisses zwischen gleichrangigen Gläubigern gesehen; dies steht im Einklang mit der ganz überwiegenden Ansicht5 ?)); Jonas/Pohle, Zwangsvollstreckungsnotrecht, 16. Aufl., § 74b ZVG Anm. 1 aE; Steffen in Löhnig, ZVG, § 74b ZVG Rn. 4; SteinerStorz, ZVG, 9. Aufl., § 74b ZVG Rn. 3, 9; Stöber, ZVG, 19. Aufl., § 74b Rn. 1)). An dieser Auffassung hält der Bundesgerichtshof fest. Sie entspricht dem Wortlaut des § 74b ZVG, der nicht zwischen gleich- und nachrangigen Rechten unterscheidet. Insbesondere lässt sich der dritten Voraussetzung, nach der der Ausfallbetrag im Rang unmittelbar hinter dem letzten noch gedeckten Betrag stehen muss, keine Beschränkung auf nachrangige Rechte entnehmen. Denn auch gleichrangige Rechte stehen (nebeneinander) unmittelbar hinter dem letzten noch gedeckten Betrag. Soweit der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 14.10.1966 ausgeführt hat, unmittelbar hinter dem letzten Betrag, der durch das Gebot noch gedeckt sei, stehe nicht der ganze Ausfallbetrag des meistbietenden Gläubigers, sondern nur ein Bruchteil hiervon, da der andere Bruchteil den nicht bietenden gleichrangigen Gläubigern zustehe6, ist dies missverständlich; der Bundesgerichtshof hält daran nicht fest. Die dritte Voraussetzung des § 74b ZVG ist deshalb gegeben.
Im Ergebnis zutreffend sieht das Beschwerdegericht auch die zweite Voraussetzung des § 74b ZVG als erfüllt an. Unter Hinzurechnung des Ausfallbetrags der Beteiligten zu 3 ist die 7/10-Grenze erreicht. Allerdings ist umstritten, wie der Ausfall eines gleichrangigen Gläubigers im Sinne von § 74b ZVG zu ermitteln ist.
Der Bundesgerichtshof hat bislang nur entschieden, dass jedenfalls der Ausfall der anderen gleichrangigen Gläubiger nicht hinzugerechnet werden darf7. Dem lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem der Ausfall des meistbietenden Gläubigers nicht genügte, um die 7/10-Grenze zu erreichen; der Zuschlag war aus diesem Grund zu versagen. Anders liegen die Dinge hier. Der Ausfall der meistbietenden Gläubigerin übersteigt für sich genommen die 7/10-Grenze um ein Vielfaches, ohne dass es auf die Höhe der Forderungen der weiteren gleichrangigen Gläubigerin ankäme.
Vereinzelt wird die Auffassung vertreten, nur der Anteil des Meistbietenden an der Differenz zwischen dem tatsächlichen Meistgebot und einem fiktiven Gebot in Höhe der 7/10-Grenze sei maßgeblich. Weil der Differenzbetrag den gleichrangigen Gläubigern jeweils ihren Bruchteilen entsprechend zustehe, müsse der Meistbietende als logische Folge stets die 7/10-Grenze ausbieten, um einen Zuschlag in dem ersten Termin zu erreichen. Dies lasse sich aus teleologischen Erwägungen rechtfertigen. § 74b ZVG sei eine reine Gläubigerschutzvorschrift; der Schuldner werde durch § 114a ZVG geschützt. Es sei ungerecht, dass der nicht bietende Gläubiger ein Unterschreiten der 7/10-Grenze schon im ersten Termin hinnehmen müsse, obwohl er an dem Ausfallbetrag des Meistbietenden nicht partizipiere; § 74b ZVG könne sogar dazu führen, dass ein gleichrangiger Gläubiger vollständig ausfalle8. Danach wäre der Zuschlag zu versagen. Dagegen meint das Landgericht Berlin9, maßgeblich sei die auf die meistbietende Gläubigerin entfallende Quote an ihrer Deckungslücke, die sich aus dem Wert ihrer dinglichen Forderung nach Abzug ihrer Zuteilung aus der Verteilungsmasse ergebe. Die ganz überwiegende Ansicht sieht nicht nur eine Quote, sondern die gesamte Deckungslücke des Meistbietenden als maßgeblich an10. Danach betrüge der Ausfallbetrag im entschiedenen Fall 160 Mio. € und läge weit über der 7/10-Grenze.
Der Bundesgerichtshof teilt die zuletzt genannte Auffassung. Maßgeblich ist bei der Grundschuld die Differenz zwischen ihrem Nominalwert (Kapital nebst Zinsen und anderen Nebenleistungen11) und dem auf den Meistbietenden entfallenden Anteil an dem bereinigten Erlös. Für eine einschränkende Auslegung bietet der Wortlaut der Norm keine Anhaltspunkte. Die Gesetzesbegründung ist unergiebig. Mit der Regelung der §§ 74a und 74b ZVG sollten Schuldner, Grundstückseigentümer und schlechterrangig dinglich Berechtigte vor einer Verschleuderung von Immobilien geschützt werden12. Zu gleichrangigen Gläubigern äußert sich die Begründung nicht. Die zuerst genannte Auffassung lässt sich durch teleologische Erwägungen nicht rechtfertigen. Sie führt nämlich dazu, dass § 74b ZVG der Sache nach keinen Anwendungsbereich hat. Denn bei nachrangigen Rechten ist die Vorschrift bedeutungslos. Einen über eine Klarstellung hinausgehenden Regelungsgehalt kann sie nur bei gleichrangigen Rechten entfalten. Wenn nämlich „die 7/10-Grenze durch das Recht des Meistbietenden geht“ und weitere Gläubiger nachrangig sind, ist neben dem Meistbietenden kein anderer nach § 74a ZVG Antragsberechtigter vorhanden13. Schließlich darf die Auslegung der Norm nicht alleine von dem Schutz des nicht mitbietenden Gläubigers geleitet werden. §§ 74a und 74b ZVG dienen zwar vornehmlich, aber nicht ausschließlich dem Schutz der Gläubiger; auch der Schuldner wird durch die Einhaltung der 7/10-Grenze mittelbar geschützt14. Denn der Meistbietende gilt in Höhe des Ausfallbetrags gemäß § 114a ZVG materiellrechtlich – also auch hinsichtlich seiner persönlichen Forderung – als befriedigt; er muss sich so behandeln lassen, als hätte er ein Gebot abgegeben, das 7/10 des Grundstückswerts erreicht15. Dabei sind Zwischenrechte – wie das der Beteiligten zu 1 – nicht zu berücksichtigen (§ 114a Satz 2 ZVG). Für den Vorteil, die 7/10-Grenze nicht ausbieten zu müssen, muss der meistbietende Gläubiger die Erfüllung seiner persönlichen Forderung in Höhe der Differenz zwischen dem Meistgebot und der 7/10-Grenze hinnehmen. Dies erklärt zugleich, warum die Ansicht des Beschwerdegerichts nicht zutrifft, wonach bei mehreren gleichrangigen Gläubigern (nur) die auf den Meistbietenden entfallende Quote an seiner Deckungslücke maßgeblich ist.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 2. Februar 2012 – V ZB 159/11
- Ergänzung zu BGH, Urteil vom 14.10.1966 – V ZR 206/63, BGHZ 46, 107 ff.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 14.10.1966 – V ZR 206/63, BGHZ 46, 107, 109 f. mwN[↩]
- so jedenfalls im Ergebnis Alff, ZfIR 2011, 274, 277; Beyer, Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins 1932, 255 f. zu der Vorgängernorm des § 2 der Zwangsversteigerungs-Notverordnung vom 26.05.1933[↩]
- BGH, Urteil vom 14.10.1966 – V ZR 206/63, BGHZ 46, 107, 110[↩]
- Böttcher, ZVG, 5. Aufl., § 74b Rn. 1; Eickmann, Zwangsversteigerungs- und Zwangsverwaltungsrecht, 2. Aufl., § 17 III 2; Hintzen in Dassler/Schiffbauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, ZVG, 13. Aufl., § 74b ZVG Rn. 1; Jaeckel/Güthe, ZVG, 7. Aufl., § 83 Rn. 13 unter Anm. 10 d[↩]
- BGH, aaO, S. 111[↩]
- BGH, aaO, S. 110[↩]
- Alff, aaO, 276; Beyer, aaO, 256; im Ergebnis wohl auch Hornung, Rpfleger 1979, 365, 367[↩]
- LG Berlin, Beschluss vom 23.05.2011 – 82 T 202/11[↩]
- davon gehen ausweislich der jeweiligen Zahlenbeispiele aus: Eickmann, aaO, § 17 III 2; Hintzen, aaO, § 74b ZVG Rn. 8 ff. Beispiel 3; Jonas/Pohle, aaO, § 74b ZVG Anm. 2 d; Korintenberg/Wenz, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, 6. Aufl., zu § 2 der ZwangsversteigerungsNotverordnung vom 26.05.1933, Anm. 3, S. 396; Steffen in Löhnig, ZVG, § 74b ZVG Rn. 4 Beispiel 2; SteinerStorz, aaO, § 74b ZVG Rn. 16[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 27.02.2004 – IXa ZB 135/03, BGHZ 158, 159, 161[↩]
- BT-Drucks. I/3668, S. 16[↩]
- BGH, aaO, S. 110; Stöber, aaO, § 74b Rn.1.2[↩]
- Eickmann, aaO, § 17 III 1; Hintzen, aaO, § 74a Rn. 1[↩]
- BGH, Urteil vom 13.11.1986 – IX ZR 26/86, BGHZ 99, 110, 113 f.[↩]