Grenzüberschreitender Versendungskauf

Bei einem grenzüberschreitenden Versendungskauf in das Ausland erfolgt die für einen Eigentumsübergang nach deutschem Recht erforderliche Besitzverschaffung am Kaufgegenstand in aller Regel erst mit dessen Ablieferung am Bestimmungsort. Wird der nach deutschem Recht im Inland eingeleitete Erwerbstatbestand bis zum Grenzübertritt nicht mehr vollendet, beurteilt sich die Frage, ob und zu welchem Zeitpunkt das Eigentum am Kaufgegenstand übergeht, gemäß Art. 43 Abs. 1 EGBGB nach dem dann für das Recht des Lageortes zuständigen ausländischen Sachrecht. Das gilt auch für die Voraussetzungen, unter denen Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten kraft guten Glaubens möglich ist.

Grenzüberschreitender Versendungskauf

Anlass für diese Entscheidung des Bundesgerichts war ein von Deutschland nach Frankreich verkauftes Kraftfahrzeug. In dem Kaufvertrag hatten die Parteien zwar die (vollständige) Geltung deutschen Rechts vereinbart, dabei aber (wie auch das in der Vorinstanz tätige OLG Jena) Art. 43 EGBGB übersehen, dessen Anwendbarkeit nicht zur Disposition der Parteien steht und der auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen ist1. Art. 43 EGBGB führt hier dazu, dass ein Eigentumserwerb der Klägerin nach Maßgabe der Bestimmungen des französischen Rechts zu klären gewesen wäre. Gleiches gilt für einen anschließenden Eigentumserwerb des französischen Abnehmers der Klägerin, den das Berufungsgericht – nach seinem Standpunkt folgerichtig – nicht mehr geprüft hat.

Das OLG Jena hat in seinem Berufungsurteil den erkannten Schadensersatzanspruch auf §§ 985, 989 BGB und damit auf deutsches Sachrecht gestützt. Dies begegnet nach Ansicht des BGH keinen rechtlichen Bedenken. Zwar handelt es sich sowohl bei der Ausfuhr des streitigen Fahrzeugs nach Frankreich wie auch bei seiner erneuten Einfuhr zum Zwecke der Nachbesserung um grenzüberschreitende Sachverhalte, die die deutsche wie die französische Sachenrechtsordnung berühren. Jedoch unterliegen die auf Eigentum gestützten Herausgabeansprüche des (vermeintlichen) Eigentümers ebenso wie die aus dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis kommenden Folgeansprüche wegen Unmöglichkeit einer Herausgabe dem in Art. 43 Abs. 1 EGBGB geregelten Sachstatut und damit dem Recht des Staates, in dem sich die Sache befindet2. Das ist hier das deutsche Recht als das Recht des Ortes, an dem sich das herauszugebende Fahrzeug bei der anderweitigen Veräußerung durch die Beklagte befunden hat.

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Ob der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch begründet ist, hängt davon ab, ob die Klägerin selbst oder ihr französischer Abnehmer im Zeitpunkt der Weiterveräußerung Eigentümer des Fahrzeugs war und dieses Eigentum durch die Weiterveräußerung des Fahrzeugs verloren hat.

Ob die Klägerin das Eigentum am Fahrzeug von seinem Verkäufer, der Fa.DBD, erworben hat, ist indessen nach Ansicht des BGH nicht nach deutschem Recht zu beurteilen. Denn ein solcher Erwerb hätte nach deutschem Recht nicht im Inland stattgefunden, weil die DBD der Klägerin vor Grenzübertritt weder den Besitz noch eine zum Eigentumserwerb erforderliche besitzgleiche Position am Fahrzeug im Sinne von §§ 929 ff. BGB eingeräumt hat. Der zwischen der DBD und der Klägerin geschlossene Kaufvertrag ist vielmehr in der Weise ausgeführt worden, dass der Klägerin das Fahrzeug erst an deren Sitz in Frankreich durch den von der DBD eingesetzten Frachtführer ausgehändigt worden ist. Da die für einen Eigentumsübergang nach deutschem Sachenrecht erforderliche Besitzverschaffung bei einem Versendungskauf in aller Regel erst mit Ablieferung der Sache am Bestimmungsort erfolgt3 und kein Anhalt besteht, dass es sich vorliegend anders verhalten hat, ist nach deutschem Recht der im Inland eingeleitete Erwerbstatbestand bis zum Grenzübertritt nicht mehr vollendet worden. Ob und zu welchem Zeitpunkt anschließend das Eigentum am Fahrzeug auf die Klägerin übergegangen ist, beurteilt sich deshalb gemäß Art. 43 Abs. 1 EGBGB nach französischem Recht als dem für das Recht des Lageortes zuständigen Sachrecht4. Dieses knüpft ebenfalls an das Recht des Lageortes an5 und nimmt so die Verweisung auf.

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Den Statutenwechsel in das französische Sachrecht, wie er auch in Art. 43 Abs. 2 EGBGB zum Ausdruck kommt, hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt und dementsprechend nicht den Inhalt derjenigen Rechtsnormen gemäß § 293 ZPO ermittelt, nach denen im französischen Recht ein Eigentumserwerb erfolgt. Ebenso wenig hat das Berufungsgericht beachtet, dass das Sachstatut des Lageortes die Möglichkeiten und Voraussetzungen für einen Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten kraft guten Glaubens bestimmt6. Es hat deshalb bei seiner Beurteilung außer Betracht gelassen, dass sich ungeachtet des für den Kaufvertrag maßgeblichen Vertragsstatuts ein im Inland noch nicht vollendeter Eigentumserwerb mit Grenzübertritt nach Frankreich nach Maßgabe des französischen Rechts vollzieht, das in diesem Fall auch Art und Umfang des Schutzes eines gutgläubigen Besitzers bei einem Erwerb vom Nichtberechtigten regelt7.

Das OLG Jena hätte sich mithin in seinem Berufungsurteil, so der BGH, zur Bejahung eines gutgläubigen Eigentumserwerbs durch die Klägerin nicht auf die §§ 929 ff. BGB und hierbei insbesondere auch nicht auf § 366 HGB stützen dürfen. Diese Bestimmung enthält sachlich eine Erweiterung des in den §§ 932 ff. BGB geregelten Verkehrsschutzes und bestimmt damit zugleich die Voraussetzungen eines Eigentumsübergangs in Fällen, in denen nach dem Willen des Gesetzgebers die bürgerlich-rechtlichen Gutglaubensvorschriften wegen der bestehenden Bedürfnisse des Handelsverkehrs nach einer gewissen Reibungslosigkeit der Geschäftsabwicklung bereits bei einem guten Glauben an die Verfügungsbefugnis des Veräußerers zur Anwendung kommen sollen8. Die Vorschrift hätte daher nur angewandt werden dürfen, wenn Art. 43 Abs. 1 EGBGB zu einer – hier aber nicht gegebenen – Anwendbarkeit inländischen Rechts geführt hätte.

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Einen Übergang des Eigentums am Fahrzeug auf die Klägerin hätte das Berufungsgericht daher am Maßstab des französischen Rechts beurteilen müssen. Dazu bedarf es gemäß § 293 ZPO weiterer tatrichterlicher Ermittlungen zur französischen Rechtspraxis, wie sie insbesondere in der Rechtsprechung der französischen Gerichte ihren Ausdruck gefunden hat9. Dasselbe gilt für die Frage, ob zumindest der französische Abnehmer der Klägerin von dieser (gutgläubig) das Eigentum an dem Fahrzeug erlangt hat.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 10. Juni 2009 – VIII ZR 108/07

  1. BGHZ 177, 237, Tz. 8; 136, 380, 386, jeweils m.w.N.[]
  2. BGH, Urteil vom 25. September 1997 – II ZR 113/96, NJW 1998, 1321, unter II 1 a; MünchKommBGB/Wendehorst, 4. Aufl., Art. 43 EGBGB Rdnr. 96, 100; Bamberger/Roth/Spickhoff, BGB, 2. Aufl., Art. 43 EGBGB Rdnr. 8, jeweils m.w.N.[]
  3. Palandt/Weidenkaff, BGB, 68. Aufl., § 447 Rdnr. 14[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 30. Januar 1980 – VIII ZR 197/78, WM 1980, 410, unter II 2; RGZ 103, 30, 31; KG, NJW 1988, 341 f.; Palandt/Thorn, aaO, Art. 43 EGBGB (IPR) Rdnr. 7; Erman/Hohloch, BGB, 12. Aufl., Art. 43 EGBGB Rdnr. 23 m.w.N.[]
  5. Hübner/Constantinesco, Einführung in das französische Recht, 4. Aufl., § 30, 2 b bb[]
  6. BGHZ 100, 321, 324; BGH, Urteil vom 29. Mai 2000 – II ZR 334/98, NJW-RR 2000, 1583, unter II 1, III 2; Erman/Hohloch, aaO, Art. 43 EGBGB Rdnr. 12; Staudinger/Stoll, BGB (1996), IntSachenR Rdnr. 300; MünchKommBGB/Wendehorst, aaO, Art. 43 Rdnr. 80; Palandt/Thorn, aaO, Art. 43 EGBGB (IPR) Rdnr. 3, jeweils m.w.N.[]
  7. Sonnenberger/Dammann, Französisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl., Rdnr. IX 41 m.w.N.[]
  8. vgl. MünchKommHGB/Welter, 2. Aufl., § 366 Rdnr. 22 f.; Ensthaler/Weber, GK-HGB, 7. Aufl., § 366 Rdnr. 1[]
  9. vgl. BGH, Urteile vom 30. Januar 2001 – XI ZR 357/99, WM 2001, 502, unter II 2 b aa; vom 23. Juni 2003 – II ZR 305/01, NJW 2003, 2685, unter II 2 a[]
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