Grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage – und die Verletzung der Rechtschutzgarantie

Die Verkennung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage (hier: wann Rückforderungsansprüche wegen beim Abschluss von Verbraucherdarlehen zu Unrecht gezahlter Bearbeitungsentgelte verjähren) verletzt die grundgesetzgleiche Rechtschutzgarantie des Klägers aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

Grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage – und die Verletzung der Rechtschutzgarantie

Das angegriffene Urteil des Landgerichts verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, weil es die Revision mit der Begründung nicht zugelassen hat, die Rechtsprechung zum Beginn der Verjährung des Anspruchs auf Rückerstattung eines unberechtigt erhobenen Darlehensbearbeitungsentgelts sei gefestigt, und es die maßgebliche Vorschrift des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO dadurch in unhaltbarer Weise gehandhabt hat1.

Wird in einem Urteil von der gesetzlich vorgesehenen Pflicht zur Zulassung der Revision kein Gebrauch gemacht, so verstößt dies dann gegen die Gewährleistung des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn sich die Entscheidung insoweit als objektiv willkürlich erweist und den Zugang zur nächsten Instanz daher unzumutbar erschwert2. Hierfür genügt die fehlerhafte Handhabung der maßgeblichen Zulassungsvorschriften nicht3. Willkürlich ist ein Richterspruch vielmehr nur, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht4. Der Annahme einer willkürlichen Entscheidung steht es entgegen, wenn sich das Gericht mit der Rechtslage eingehend auseinandergesetzt hat und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt5.

Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt die Nichtzulassung der Revision im angegriffenen Urteil des Landgerichts Bonn vom 24.06.2014 nicht. Die Annahme des Landgerichts, es liege kein Revisionszulassungsgrund vor, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung habe noch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich sei, weil in Bezug auf die entscheidungserhebliche Rechtsfrage des Beginns der Verjährung des Anspruchs auf Rückerstattung eines unberechtigt erhobenen Bearbeitungsentgelts eine gefestigte Rechtsprechung vorliege, ist – bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Landgerichts Bonn – nicht haltbar.

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Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO kommt einer Rechtssache nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Fortentwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Klärungsbedürftig sind solche Rechtsfragen, deren Beantwortung zweifelhaft ist oder zu denen unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und die noch nicht oder nicht hinreichend höchstrichterlich geklärt sind6.

Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert dann eine Entscheidung des Revisionsgerichts im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO, wenn die anzufechtende Entscheidung von der Entscheidung eines höher- oder gleichrangigen Gerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung in diesem Sinne liegt nur vor, wenn die anzufechtende Entscheidung dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung. Erforderlich ist weiter, dass über den Einzelfall hinaus ein allgemeines Interesse an einer korrigierenden Entscheidung des Revisionsgerichts besteht7.

Diese Voraussetzungen lagen hinsichtlich der Rechtsfrage des Verjährungsbeginns für den Anspruch auf Rückerstattung eines rechtsgrundlos erhobenen Bearbeitungsentgelts zum Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidung des Landgerichts Bonn vom 24.06.2014 offenkundig vor. Die Rechtssache hatte grundsätzliche Bedeutung und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderte eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Die Frage, ob die von den Beschwerdeführern (in ihrer Klageschrift zum Amtsgericht) erklärte Aufrechnung ihres auf Rückerstattung des Bearbeitungsentgelts gerichteten Anspruchs gegen die noch nicht fälligen Darlehensraten für die Monate August 2014 bis April 2015 wirksam war, hing nach der insofern maßgeblichen fachgerichtlichen Beurteilung des Landgerichts Bonn8 entscheidungserheblich davon ab, ob beziehungsweise wann der Rückerstattungsanspruch der Beschwerdeführer verjährte. Dies hing wiederum davon ab, wann die Verjährungsfrist des § 195 BGB begann.

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Die Frage nach dem Beginn der Verjährungsfrist war eine klärungsbedürftige Rechtsfrage, weil im Juni 2014 in der obergerichtlichen Rechtsprechung wie auch in der Literatur hierzu unterschiedliche Ansichten vertreten wurden. Ein Teil der ordentlichen Gerichte nahm eine strikt am Wortlaut von § 199 Abs. 1 BGB orientierte Auslegung vor und lehnte es ab, den Beginn der Verjährungsfrist aufgrund der Unzumutbarkeit der Klageerhebung wegen unsicherer oder zweifelhafter Rechtslage beziehungsweise einer entgegenstehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung hinauszuschieben9. Andere Berufungsgerichte und Stimmen in der Literatur nahmen dagegen an, dass der Verjährungsbeginn für Ansprüche auf Rückerstattung unberechtigter Bearbeitungsentgelte wegen der unsicheren und zweifelhaften Rechtslage hinsichtlich der Wirksamkeit zugrundeliegender AGB-Klauseln bis zu entsprechenden einhelligen obergerichtlichen Entscheidungen im Jahr 2011, das heißt insbesondere bis zum Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 13.10.201110, hinausgeschoben worden sei11 beziehungsweise die Verjährungsfrist vom 02.02.2008 bis mindestens 2011 gehemmt gewesen sei12. Die Beschwerdeführer hatten auf diese Rechtsansicht im Berufungsverfahren ausdrücklich hingewiesen. Die Frage des Verjährungsbeginns für Ansprüche auf Rückforderung von Bearbeitungsentgelten war zum Zeitpunkt der Entscheidung des Landgerichts Bonn im Juni 2014 auch noch nicht höchstrichterlich geklärt. Diese Klärung erfolgte erst mit Urteilen des Bundesgerichtshofs vom 28.10.201413.

Zudem hatte der Bundesgerichtshof mit Pressemitteilung Nr. 89/2014, veröffentlicht am 4.06.2014, bekanntgegeben, sich in einer für den 28.10.2014 anberaumten mündlichen Verhandlung voraussichtlich mit der Frage des Verjährungsbeginns für Rückerstattungsansprüche bei unwirksamen Bearbeitungsentgelten zu befassen, wozu eine Vielzahl weiterer Verfahren beim Bundesgerichtshof und den Instanzgerichten anhängig sei. Die Pressemitteilung schilderte auch die dem Ausgangsverfahren dieser Verfassungsbeschwerde ähnlichen Sachverhalte der zur Verhandlung anstehenden Revisionsverfahren. Nach dieser Ankündigung musste es sich geradezu aufdrängen, dass es sich hier um eine klärungsbedürftige, gerade nicht im Rahmen gefestigter Rechtsprechung einheitlich beantwortete Rechtsfrage handelte.

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Die Rechtsfrage war auch klärungsfähig. Das setzt die Revisibilität des anzuwendenden Rechts voraus14, die im Hinblick auf § 199 Abs. 1 BGB gegeben ist.

Die Frage nach dem Beginn der Verjährungsfrist für einen Anspruch auf Rückerstattung eines Bearbeitungsentgelts stellte sich – was die Vielzahl anhängiger, ähnlich gelagerter Verfahren zeigt, auf die der Bundesgerichtshof in seiner Pressemitteilung vom 04.06.2014 hingewiesen hatte – in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle und berührte deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Fortentwicklung und Handhabung des Rechts. Eine Entscheidung des Revisionsgerichts wirkte angesichts des „Massenphänomens“ unberechtigt erhobener Bearbeitungsentgelte für Darlehen und der gegen eine Rückforderung erhobenen Einrede der Verjährung wie ein „Musterprozess“15 und hatte eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung für die Allgemeinheit.

Die Annahme des Landgerichts Bonn vom 24.06.2014, die Rechtsprechung zur Frage nach dem Beginn der Verjährung eines Anspruchs auf Rückerstattung eines Bearbeitungsentgelts für Darlehensverträge sei gefestigt, war zum damaligen Zeitpunkt nicht nur einfach-rechtlich fehlerhaft. Sie war willkürlich und führte zu einer unzumutbaren Verkürzung des Rechtswegs für die Beschwerdeführer. Angesichts der unterschiedlichen Auffassungen anderer Berufungsgerichte und der Ankündigung des Bundesgerichtshofs, sich am 28.10.2014 mit der Frage des Verjährungsbeginns für den Anspruch auf Rückerstattung unberechtigt erhobener Bearbeitungsentgelte zu befassen, war die Annahme, hierzu bestehe bereits eine gefestigte Rechtsprechung, nicht mehr vertretbar. Das Landgericht hat die Rechtsprechung anderer (gleichrangiger) Gerichte zum Verjährungsbeginn für Ansprüche auf Rückerstattung unberechtigt erhobener Bearbeitungsentgelte und die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 04.06.2014 nicht beachtet und ist damit ohne Auseinandersetzung mit der maßgeblichen Sach- beziehungsweise Rechtslage zu der schlechterdings nicht mehr nachvollziehbaren Einschätzung gelangt, die Rechtsprechung zur Rechtsfrage des Beginns der Verjährung von Ansprüchen auf Rückerstattung unberechtigt erhobener Kreditbearbeitungsentgelte sei gefestigt. § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO wurde insoweit in völlig verfehlter und willkürlicher Weise angewandt.

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Die Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Rechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG anzunehmen, weil die Verletzung dieses grundrechtsgleichen Rechts vorliegend besonderes Gewicht hat16. Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung beziehungsweise eine Verletzung eines grundrechtsgleichen Rechts, wenn sie auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten beziehungsweise grundrechtsgleichen Rechten hindeutet oder auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht beziehungsweise grundrechtsgleiches Recht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich beziehungsweise grundrechtsgleich geschützten Interessen beruht16.

Die fehlende Berücksichtigung der unterschiedlichen obergerichtlichen Rechtsprechung zum Beginn der Verjährung von Ansprüchen auf Rückerstattung von Kreditbearbeitungsentgelten und der Ankündigung des Bundesgerichtshofs, sich voraussichtlich mit dieser in einer Vielzahl von Fällen relevanten Rechtsfrage zu beschäftigen, obgleich die Beschwerdeführer sogar auf die Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung hingewiesen hatten und der Stand der Rechtsprechung sowie die Verhandlungsankündigung des Bundesgerichtshofs durch eine relativ oberflächliche Recherche ohne Weiteres hätte ermittelt werden können, deutet auf einen solchen geradezu leichtfertigen Umgang mit den grundrechtsgleich geschützten Interessen gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG hin. Die dadurch bedingte Entscheidung, die Revision nicht zuzulassen, ist vor diesem Hintergrund nicht nur als einfaches Versehen bei der Anwendung von § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO einzuordnen, sondern als grobe Verkennung des Schutzumfangs von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

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Es ist auch nicht mit hinreichender Deutlichkeit abzusehen, dass die Beschwerdeführer auch im Fall der Zurückverweisung des Verfahrens an das Berufungsgericht mit ihrer Klage im Ergebnis keinen Erfolg haben werden, so dass ihnen durch das Urteil des Landgerichts Bonn vom 24.04.2014 trotz der Verletzung ihres Anspruchs auf den gesetzlichen Richter kein besonders schwerer Nachteil im Sinne von § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG entstehen würde17. Denn das Landgericht Bonn hat die Wirksamkeit der von den Beschwerdeführern in ihrer Klageschrift zum Amtsgericht Bonn erklärten Aufrechnung bislang nicht unabhängig von der inzwischen höchstrichterlich in anderer Weise entschiedenen Frage der Verjährung des Anspruchs auf Rückerstattung des unberechtigt erhobenen Bearbeitungsentgelts geprüft. Die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind Sache der Fachgerichte18, die vom Bundesverfassungsgericht lediglich im Nachgang auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts hin geprüft werden können.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 4. Mai 2015 – 2 BvR 2053 – /14

  1. vgl. zur Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG: BVerfGK 2, 202, 204; 19, 364, 366 f.; BVerfG, Beschluss vom 26.06.2012 – 2 BvR 1013/11; BVerfG, Beschluss vom 23.04.2014 – 1 BvR 2851/13[]
  2. vgl. BVerfGE 42, 237, 241; 67, 90, 94 f.; 87, 282, 284 f.; 125, 104, 136 f.[]
  3. vgl. BVerfGE 67, 90, 95; 87, 282, 284 f.; BVerfGK 2, 202, 204[]
  4. vgl. BVerfGE 4, 1, 7; 80, 48, 51[]
  5. vgl. BVerfGE 89, 1, 13 f.; 96, 189, 203[]
  6. vgl. BVerfGK 11, 420, 431; BGHZ 154, 288, 291; 159, 135, 137; BGH, Beschluss vom 08.02.2010 – II ZR 54/09, NJW-RR 2010, S. 1047, 1047[]
  7. vgl. BGHZ 154, 288, 292 ff.[]
  8. vgl. BVerfGK 11, 420, 431[]
  9. vgl. LG Mönchengladbach, Urteil vom 04.09.2013 – 2 S 48/13 22 ff.; vom 04.09.2013 – 2 S 55/1319 ff.; vom 20.11.2013 – 2 S 77/13 31 ff.; vom 04.06.2014 – 2 S 115/13 35 ff.; vgl. auch OLG Brandenburg, Urteil vom 11.12 2013 – 4 U 83/13 89 ff.; LG Braunschweig, Urteil vom 05.03.2014 – 2 S 405/13, BeckRS 2014, 06199; LG Düsseldorf, Teilurteil vom 11.09.2013 – 23 S 391/12 61 ff.; zu den Stimmen in der Literatur vgl. BGH, Urteil vom 28.10.2014 – XI ZR 348/13, NJW 2014, S. 3713, 3716 m.w.N.[]
  10. OLG Celle, Beschluss vom 13.10.2011 – 3 W 86/11 8 ff.[]
  11. vgl. LG Stuttgart, Urteil vom 23.10.2013 – 13 S 65/13 30 ff.; vom 05.02.2014 – 13 S 126/13 29 ff.; zu den Stimmen in der Literatur vgl. BGH, Urteil vom 28.10.2014 – XI ZR 348/13, NJW 2014, S. 3713, 3716 m.w.N.[]
  12. vgl. LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 27.01.2014 – 6 S 3714/13 27 ff.[]
  13. BGH, Urteile vom 28.10.2014 – XI ZR 348/13, NJW 2014, S. 3713; und XI ZR 17/14[]
  14. vgl. Ball, in: Musielak, ZPO, 12. Aufl.2015, § 543 Rn. 5a[]
  15. vgl. BGHZ 152, 182, 191[]
  16. vgl. BVerfGE 90, 22, 25[][]
  17. vgl. BVerfGE 90, 22, 25 f.[]
  18. vgl. BVerfGE 18, 85, 92 f.[]
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Nichtzulassungsbeschwerde gegen Zurückweisungsbeschlüsse