Gutachtenannordnungen im Insolvenzeröffnungsverfahren

Gegen die Anordnung des Insolvenzgerichts, ein Sachverständigengutachten darüber zu erheben, in welchem Staat sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners befindet, ist in der Regel die sofortige Beschwere nicht statthaft.

Gutachtenannordnungen im Insolvenzeröffnungsverfahren

Gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft, wenn sie durch das Beschwerdegericht zugelassen worden ist. Dies gilt aber nur, wenn die angefochtene Entscheidung grundsätzlich der Anfechtung unterliegt; ist die Entscheidung unanfechtbar, ändert sich hieran durch die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht nichts1. Eine nach dem Gesetz unanfechtbare Entscheidung kann nicht mit Hilfe einer Zulassung der Anfechtung unterworfen werden2.

Die Beschwerde ist nicht statthaft. Denn gemäß § 6 Abs. 1 InsO unterliegen Entscheidungen des Insolvenzgerichts nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen die Insolvenzordnung die sofortige Beschwerde vorsieht. Das Rechtsmittel des Schuldners richtet sich gegen die Bestellung des Sachverständigen sowie die ihm eingeräumten Befugnisse und damit gegen Maßnahmen des Insolvenzgerichts im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht nach § 5 InsO. Für die Entscheidung über den Insolvenzantrag lediglich vorbereitende richterliche Anordnungen sieht die Insolvenzordnung kein Rechtsmittel vor; sie sind im allgemeinen nicht beschwerdefähig3.

Der erkennende Bundesgerichtshof hat allerdings entschieden, dass eine sofortige Beschwerde analog § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO statthaft sein kann, wenn das Insolvenzgericht im Eröffnungsverfahren eine Maßnahme anordnet, die von vornherein außerhalb seiner gesetzlichen Befugnisse liegt und in den grundrechtlich geschützten Bereich des Schuldners eingreift4. Die Voraussetzungen einer solchen Ausnahme liegen im Streitfall jedoch nicht vor.

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Die Anordnung eines Sachverständigengutachtens im Eröffnungsverfahren zur Beurteilung der Voraussetzungen der Verfahrenseröffnung liegt nicht generell außerhalb der Befugnisse des Insolvenzgerichts. Soweit der Auftrag allgemein gehalten ist und den Sachverständigen nicht zu Maßnahmen ermächtigt, die in Grundrechte des Schuldners eingreifen, gilt dies auch dann, wenn die Pflicht zur Amtsermittlung des § 5 InsO noch nicht eingreift, weil kein zulässiger Eröffnungsantrag vorliegt5.

Auch die weitergehenden Ermächtigungen des Sachverständigen liegen nicht von vornherein außerhalb der gesetzlichen Befugnisse des Insolvenzgerichts, das im Wege der Amtsermittlung tätig geworden ist.

Maßnahmen der Amtsermittlung gehören wegen § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO zu den Befugnissen des angegangenen Gerichts zur Klärung seiner internationalen Zuständigkeit. Da Art. 3 EuInsVO nur die internationale Zuständigkeit für ein Hauptinsolvenzverfahren festlegt und nicht das Verfahrensrecht des angerufenen Gerichts regelt, bestimmt sich das Verfahrensrecht nach dem Recht des angerufenen Gerichts6. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO hat das deutsche Gericht alle Umstände zu ermitteln, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind, wobei diese Ermittlungspflicht von Amts wegen erst einsetzt, wenn der Verfahrensstand Anlass hierzu bietet7. Hierbei besteht ein gewisser Beurteilungsspielraum des Gerichts; es muss aufgrund gerichtsbekannter Umstände oder der Angaben der Verfahrensbeteiligten zu Ermittlungen veranlasst werden8. Aus diesem Grund muss ein Antragsteller, um die Prüfung der örtlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nach § 3 InsO zu ermöglichen und somit seinen Antrag zulässig zu machen, alle die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts begründenden Tatsachen angeben; erst dann ermittelt das Gericht, sofern erforderlich, nach § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO die seine Zuständigkeit begründenden Umstände von Amts wegen9. Entsprechendes gilt für die internationale Zuständigkeit10. Ob das angegangene Gericht sich aufgrund der Bewertung der Umstände des Einzelfalls nach den vorgenannten Grundsätzen zu Maßnahmen der Amtsermittlung und damit zu einem Übergang vom Zulassungs- in das Eröffnungsverfahren veranlasst sehen durfte, unterliegt bereits im Allgemeinen keinem Rechtsmittel11 und ist für die Frage, ob diese Maßnahmen von vornherein außerhalb seiner gesetzlichen Befugnisse liegen, ohne Belang.

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Auch die hinsichtlich des Sachverständigen im Übrigen getroffenen Anordnungen liegen nicht von vornherein außerhalb der gesetzlichen Befugnisse des angegangenen Gerichts. Denn gemäß § 20 Abs. 1 InsO hat der Schuldner dem Insolvenzgericht die Auskünfte zu erteilen, die zur Entscheidung über den Antrag erforderlich sind, und es insoweit auch zu unterstützen, wobei § 97, § 98, § 101 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 InsO entsprechend gelten. Die Auskunftspflicht umfasst auch die Vorlage von Belegen und sonstigen Unterlagen12. Das Insolvenzgericht kann dem Schuldner aufgeben, diese Pflichten unmittelbar gegenüber dem Sachverständigen zu erfüllen13. Der Sachverständige hat in diesem Fall keine Befugnisse, die über die gemäß § 4 InsO iVm §§ 402 ff ZPO normierten Befugnisse hinausgehen14. Auch die dem Sachverständigen eingeräumte Berechtigung, Auskünfte über die Verhältnisse, die für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit von Bedeutung sind, bei Dritten einzuholen, ist durch die gemäß § 4 InsO in Verbindung mit §§ 402 ff ZPO normierten Befugnisse grundsätzlich gedeckt.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19. Juli 2012 – IX ZB 6/12

  1. BGH, Beschluss vom 16.03.2000 – IX ZB 2/00, BGHZ 144, 78, 81 ff; vom 28.10.2008 – V ZB 109/08, NJW-RR 2009, 209 Rn. 3; vom 25.06.2009 – IX ZB 161/08, NJW 2009, 3653 Rn. 5[]
  2. Hk-ZPO/Kayser, 4. Aufl., § 574 Rn. 11[]
  3. BGH, Beschluss vom 04.03.2004 – IX ZB 133/03, BGHZ 158, 212, 214; vom 14.07.2011 – IX ZB 207/10, ZInsO 2011, 1499 Rn. 7[]
  4. BGH, Beschluss vom 04.03.2004, aaO S. 214 ff; vom 24.09.2009 – IX ZB 38/08, ZIP 2009, 2068 Rn. 9; vom 14.07.2011, aaO[]
  5. vgl. BGH, Beschluss vom 14.07.2011, aaO[]
  6. BGH, Beschluss vom 01.12.2011 – IX ZB 232/10, WM 2012, 142 Rn. 10; Kemper, in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2010, Art. 3 EuInsVO Rn. 17[]
  7. BGH, Beschluss vom 01.12.2011, aaO Rn. 11; HK-InsO/Kirchhof, 6. Aufl., § 5 Rn. 8[]
  8. BGH, Beschluss vom 01.12.2011, aaO Rn. 11[]
  9. BGH, Beschluss vom 01.12.2011, aaO Rn. 12[]
  10. BGH, Beschluss vom 01.12.2011, aaO[]
  11. vgl. BGH, Beschluss vom 04.03.2004, aaO S. 214[]
  12. BGH, Beschluss vom 17.02.2005 – IX ZB 62/04, BGHZ 162, 187, 198; vom 19.01.2006 – IX ZB 14/03, ZInsO 2006, 264 f[]
  13. Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 20 Rn.19; MünchKomm-InsO/Schmahl, aaO § 20 Rn. 58; HK-InsO/Kirchhof, aaO § 5 Rn. 13 und § 20 Rn. 4; HmbKomm-InsO/Schröder, 4. Aufl., § 20 Rn. 7[]
  14. vgl. BGH, Beschluss vom 04.03.2004, aaO S. 217[]
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