Hemmung der Verjährungshemmung und Identität des Streitgegenstandes

Die Regelungen zur Hemmung, die Ablaufhemmung und der erneute Beginn der Verjährung gelten auch für Ansprüche, die aus demselben Grunde wahlweise neben dem Anspruch oder an seiner Stelle gegeben sind, § 213 BGB. Eine solche Hemmung der Verjährung nach § 213 BGB setzt nicht die Identität des Streitgegenstands voraus. Erforderlich ist aber, dass der Anspruchsgrund im Kern identisch ist. Ein bloßer wirtschaftlicher oder funktioneller Zusammenhang genügt nicht.

Hemmung der Verjährungshemmung und Identität des Streitgegenstandes

Streitgegenstand ist der als Rechtsschutzbegehren oder Rechtsfolgen-behauptung verstandene, eigenständige prozessuale Anspruch, der durch den Klageantrag, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt (Anspruchsgrund), aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet, bestimmt wird. Zum Streitgegenstand zählen dabei alle Tatsachen, die bei einer natürlichen; vom Standpunkt der Parteien ausgehenden, den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtungsweise zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den der Kläger zur Stützung seines Rechtsschutzbegehrens unterbreitet hat1. Der Streitgegenstand wird ausschließlich vom Kläger mit seinem Klagebegehren bestimmt. Das Vorbringen des Beklagten oder Verteidigungsvorbringen des Klägers gegenüber Beklagtenvortrag verändert den vom Kläger mit seinem Antrag und seinem Klagevorbringen festgelegten Streitgegenstand nicht2.

Eine materiell rechtskräftige Entscheidung (§ 322 ZPO)) über einen Streitgegenstand steht einer erneuten gerichtlichen Geltendmachung entgegen. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn das Gericht über den ihm unterbreiteten Sachverhalt nicht unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkte entschieden hat3. Da der Streitgegenstand aber nicht allein durch den zur Entscheidung gestellten Antrag (Klageziel) bestimmt wird, genügt die Einheitlichkeit des Klageziels mehrerer Verfahren nicht, um einen einheitlichen Streitgegenstand anzunehmen. Vielmehr muss auch der Klagegrund identisch sein4. Präjudizielle Rechtsverhältnisse und Vorfragen werden nur dann iSv. § 322 ZPO rechtskräftig festgestellt, wenn sie selbst Streitgegenstand waren. Es genügt nicht, dass über sie als bloße Vorfragen zu entscheiden war5.

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Etwas anderes folgt auch nicht aus § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG. Nach dieser Norm hat das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden. Dies gilt aber nur so weit, wie ein bestimmter Anspruch streitgegenständlich ist. Der vom Kläger bestimmte Streitgegenstand darf vom Gericht weder erweitert noch verändert werden (§ 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO)6. Beschränkt der Kläger zulässig seinen Streitgegenstand (und nicht nur seine Rechtsfolgebehauptung)7, so ist das Gericht hieran gebunden.

Eine Hemmung der Verjährung durch Rechtsverfolgung iSv. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB tritt nur für Ansprüche ein, die streitgegenständlich sind8.

§ 213 BGB erstreckt die Hemmungswirkung nach § 203 ff. BGB auf Ansprüche „die aus demselben Grunde wahlweise neben dem Anspruch oder an seiner Stelle gegeben sind“. Die mit der Schuldrechtsreform neu eingeführte Norm verallgemeinert einen Gedanken, der vorher lediglich im Bereich des Kaufvertrags- und Werkvertragsrechts Anwendung fand (§ 477 Abs. 3 BGB aF, § 639 Abs. 1 BGB aF; vgl. BT-Drs. 14/6040 S. 91; jurisPK-BGB/Lakkis 6. Aufl. § 213 Rn. 1)). Der Gesetzgeber der Schuldrechtsreform wollte den Gläubiger, „der ein bestimmtes Interesse mit einem bestimmten Anspruch verfolgt“ davor schützen, „dass inzwischen andere Ansprüche auf dasselbe Interesse verjähren, die von vornherein wahlweise neben dem geltend gemachten Anspruch gegeben sind oder auf die er stattdessen übergehen kann“. Der Gläubiger sollte nicht gezwungen werden, insoweit gesonderte Hilfsanträge zu stellen9.

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Tatbestandliche Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 213 BGB ist zunächst, dass der Anspruch „aus demselben Grunde“ gegeben ist.

Gemeint ist damit der durch das Anspruchsziel geprägte Sachverhalt10, nicht der Streitgegenstand im prozessualen Sinn. Dies ergibt sich aus systematischen Erwägungen: Für Ansprüche, die im Vorprozess streitgegenständlich waren, tritt eine Hemmung der Verjährung bereits nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB ein. Würde man eine Identität des Streitgegenstands verlangen, wäre § 213 BGB überflüssig11. Die Norm erstreckt die Hemmung im Sinne einer „Wirkungserstreckung“12 auf bestimmte weitere Ansprüche, die nicht unmittelbar Streitgegenstand waren. Dabei genügt aber nicht, dass die Ansprüche irgendwie wirtschaftlich zusammenhängen. Ebenso wenig ist ausreichend, dass die Ansprüche gegen denselben Schuldner gerichtet sind; dies ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung. Vielmehr müssen sie sich aus demselben Lebenssachverhalt ergeben, der Anspruchsgrund muss mindestens „im Kern identisch“ sein13. Durch das Tatbestandsmerkmal wird die Wirkungserstreckung auf Ansprüche beschränkt, die in einem ähnlichen Verhältnis zueinander stehen wie die Gewährleistungsansprüche des § 477 Abs. 1 BGB aF oder die Ansprüche des § 638 BGB aF14. Dies macht auch der Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens deutlich: Nach dem ursprünglichen Gesetzesentwurf15 sollte § 213 BGB folgenden Wortlaut haben: „Die Hemmung und der erneute Beginn der Verjährung gelten auch für Ansprüche, die neben dem Anspruch oder an seiner Stelle gegeben sind.“ Dieser Wortlaut ließ die Deutung zu, dass ein Zusammenhang im Anspruchsgrund nicht Voraussetzung für die Anwendung der Norm sein sollte. Der Bundesrat hat die Auffassung vertreten, aus dieser Formulierung werde weder das nach der Gesetzesbegründung16 erforderliche Wahlverhältnis zwischen den Ansprüchen noch die Tatsache deutlich, dass die Ansprüche auf das gleiche Interesse gerichtet sein müssen17. Die Bundesregierung hat diese Bedenken aufgegriffen; mit der jetzigen Gesetzesfassung sollten diese den Anwendungsbereich der Norm einschränkenden Tatbestandsvoraussetzungen – die sich früher bereits aus der systematischen Stellung des § 477 Abs. 3 BGB aF ergaben – klargestellt werden18.

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Von einem derart beschränkten Anwendungsbereich der Norm geht auch die Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte aus. So werden beispielsweise Nacherfüllungs- und Gewährleistungsrechte, die auf demselben Mangel beruhen, als aus demselben Grund gegeben angesehen19. Ebenso wird dies für eine Vorschussklage zur Mängelbeseitigung und einen Schadensersatzanspruch nach § 635 BGB aF angenommen20 oder im Verhältnis zwischen einem Erfüllungsanspruch und dem Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung21. Abgelehnt wurde hingegen eine Anwendung des § 213 BGB auf das Verhältnis zwischen einem abstrakten Schuldversprechen einerseits und einem Darlehensvertrag andererseits22, da die Ansprüche nur erfüllungsmäßig funktionell miteinander verknüpft seien.

Ausgehend davon ist der Grund der vom Kläger in beiden Verfahren verfolgten Ansprüche nicht derselbe, er ist auch nicht im Kern identisch. Zwar hat der Kläger vor dem Landgericht Heidelberg ebenso einen Zahlungsanspruch auf Gewinnbeteiligung für das Jahr 2001 geltend gemacht wie nunmehr (in niedrigerer Höhe) im arbeitsgerichtlichen Verfahren. Auch beruhen beide Ansprüche auf der Arbeit des Klägers in der Kanzlei im Jahr 2001. Der Rechtsgrund unterscheidet sich jedoch deutlich. Die Förderung eines gemeinsamen Zwecks in der durch den Gesellschaftsvertrag bestimmten Weise (§ 705 BGB)) ist etwas grundlegend anderes als die Leistung abhängiger, fremdbestimmter Arbeit. Der Anspruch aus einem Arbeitsvertrag auf Gewinnbeteiligung, der nur kraft besonderer Vereinbarung neben dem Anspruch auf eine arbeitsvertragliche Grundvergütung besteht, unterscheidet sich nach Modell und Inhalt grundlegend vom gesetzlichen Anspruch eines Gesellschafters auf einen bestimmten Anteil des Gewinns einer BGB-Gesellschaft nach §§ 721, 722 BGB. Der Schuldner, gegenüber dem einer dieser Ansprüche gerichtlich geltend gemacht wird, muss nicht damit rechnen, dass nach dem rechtskräftigen Abschluss eines Rechtsstreits und nach Ablauf der Verjährungsfrist ein Anspruch aus einer völlig anderen Vertragsbeziehung durchgesetzt werden kann. Es fehlt ihm gegenüber an einer hinreichenden „Warnung“ durch das erste Klageverfahren, die seine Schutzbedürftigkeit im Hinblick auf die Verjährung entfallen lässt23.

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Die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche stehen auch nicht in elektiver oder alternativer Konkurrenz. Es fehlt ein Nebeneinander mehrerer inhaltlich verschiedener, sich gegenseitig ausschließender Rechte, unter denen der Berechtigte auswählen kann24, bzw. die dadurch entstehen können, dass das andere Recht ausfällt.

§ 213 BGB soll insoweit dem Gläubiger Hilfsanträge bei seinem ersten Vorgehen ersparen. Die Bestimmung nimmt sich der Situation an, die sich ergibt, wenn der Gläubiger mehreres verlangen kann, das eine Begehren aber das andere – oder die anderen – ausschließt25. Ein solches Wahlrecht stand und steht dem Kläger in der vorliegenden Situation weder gesetzlich26 noch vertraglich zur Verfügung. Auch ist kein Anspruch an die Stelle eines anderen Anspruchs getreten, etwa ein gesetzlicher Anspruch an die Stelle eines unwirksamen Vertrags wie der Bereicherungsanspruch beim nichtigen Werkvertrag27. Ob dem Kläger für das Jahr 2001 ein arbeitsvertraglicher Gewinnbeteiligungsanspruch oder ein Anteil am Gewinn einer Gesellschaft zusteht, hängt vielmehr ausschließlich davon ab, ob die Tätigkeit, die er im Jahr 2001 erbracht hat, noch auf arbeitsvertraglicher Grundlage erfolgt ist, oder ob der Arbeitsvertrag (gegebenenfalls konkludent) durch Eingehung einer BGB-Gesellschaft mit dem Beklagten abgelöst wurde. Der Kläger konnte also nicht wählen, ob er den einen oder anderen Anspruch geltend macht, sondern die objektive Vertragslage ist maßgebend. Er konnte sich nur dafür entscheiden, welche Rechtsauffassung er zu dieser Frage vertritt und ob er – wie erfolgt – lediglich einen der beiden Ansprüche zum Streitgegenstand eines Prozesses macht oder (gegebenenfalls in einem Hilfsverhältnis) beide Ansprüche. Dass sich die beiden Ansprüche – jedenfalls in der vorliegenden Situation – logisch ausschließen, betrifft lediglich die zu beantwortende Vorfrage, ob noch ein Arbeitsverhältnis im Jahr 2001 bestand, begründet aber kein Wahlrecht iSd. § 213 BGB. Auch ergibt sich nicht ohne Weiteres ein arbeitsvertraglicher Gewinnbeteiligungsanspruch, wenn kein Gesellschaftsvertrag zustande gekommen ist; vielmehr bedarf es insoweit einer besonderen Vereinbarung, die im Arbeitsverhältnis keineswegs selbstverständlich ist. Es kommt nicht darauf an, dass diese Vereinbarung zwischen den Parteien von Anfang an unstreitig war.

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. September 2013 – 10 AZR 454/12

  1. BAG 15.05.2013 – 7 AZR 665/11, Rn. 23; 11.10.2011 – 3 AZR 795/09, Rn. 17 mwN; BGH 8.05.2007 – XI ZR 278/06 -; vgl. auch zum identischen Streitgegenstandsbegriff im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren: BAG 5.03.2013 – 1 ABR 75/11, Rn. 13[]
  2. BGH 23.07.2008 – XII ZR 158/06, Rn.20[]
  3. BAG 11.10.2011 – 3 AZR 795/09 – aaO[]
  4. BAG 14.12 2010 – 1 ABR 19/10, Rn. 37, BAGE 136, 302[]
  5. BAG 20.12 2012 – 2 AZR 867/11, Rn. 23 mwN; zu einer Fallgestaltung, in der der in einem Vorprozess entschiedene Streitgegenstand als Vorfrage Bindungswirkung für einen Folgeprozess hat: BAG 25.04.2007 – 10 AZR 586/06, Rn. 16[]
  6. vgl. beispielhaft bei einem Unterlassungsantrag: BGH 3.04.2003 – I ZR 1/01 – BGHZ 154, 342[]
  7. vgl. dazu Zöller/Vollkommer 29. Aufl. Einl. Rn. 84[]
  8. BGH 8.05.2007 – XI ZR 278/06, Rn. 15[]
  9. BT-Drs. 14/6040 S. 121[]
  10. Erman/J. Schmidt-Räntsch 13. Aufl. § 213 Rn. 3[]
  11. jurisPK-BGB/Lakkis § 213 Rn. 2[]
  12. Erman/J. Schmidt-Räntsch § 213 Rn. 1; MünchKomm-BGB/Grothe 6. Aufl. § 213 Rn. 1[]
  13. Bamberger/Roth/Henrich 3. Aufl. § 213 Rn. 2; MünchKomm-BGB/Grothe § 213 Rn. 3; Palandt/Ellenberger § 213 Rn. 2[]
  14. Erman/J. Schmidt-Räntsch § 213 Rn. 3[]
  15. BT-Drs. 14/6040 S. 5[]
  16. BT-Drs. 14/6040 S. 121 f.[]
  17. BT-Drs. 14/6857 S. 10[]
  18. BT-Drs. 14/6857 S. 46[]
  19. BGH 8.12 2009 – XI ZR 181/08, Rn. 49; KG Berlin 9.02.2010 – 6 U 204/08, Rn. 57[]
  20. OLG Celle 17.01.2013 – 16 U 94/11, Rn. 59 ff.[]
  21. OLG Hamm 25.02.2010 – 22 U 89/09, Rn. 47 ff.[]
  22. OLG Frankfurt 11.07.2007 – 23 U 7/07[]
  23. vgl. zu diesem Gedanken: BT-Drs. 14/6040 S. 121; jurisPK-BGB/Lakkis § 213 Rn. 1[]
  24. jurisPK-BGB/Lakkis § 213 Rn. 5[]
  25. Staudinger/Peters/Jacoby (2009) § 213 Rn. 6[]
  26. vgl. dazu OLG Frankfurt 15.04.2008 – 8 U 238/06, Rn. 39[]
  27. vgl. noch zur alten Rechtslage: BGH 18.07.2000 – X ZR 62/98, zu II 2 a der Gründe[]
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