Insolvenzanfechtung bei gezahlten Sozialversicherungsbeiträgen

Mit der Frage der (fehlenden) Kenntnis des beklagten Sozialversicherungsträgers vom Vorsatz des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen, und insoweit im Rahmen der Gesamtschau im Einzelfall zu beurteilenden Beweisanzeichen hatte sich das Oberlandesgericht Hamm zu befassen:

Insolvenzanfechtung bei gezahlten Sozialversicherungsbeiträgen

Gegenüber einem institutionellen Gläubiger deutet allerdings, wie der Bundesgerichtshof formuliert hat, die Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, die typischerweise nur dann nicht bei Fälligkeit ausgeglichen werden, wenn die erforderlichen Geldmittel hierfür nicht vorhanden sind, in der Regel auf die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens hin1. Gleichwohl rechtfertigen die Umstände des vorliegend vom Oberlandesgericht Hamm entschiedenen Falles insgesamt nicht diesen Schluss:

Der Sachvortrag des Insolvenzverwalters zu der Liquiditätslage der Schuldnerin und der Kenntnis der Krankenkasse (als Einzugsstelle der Sozialversicherungsbeiträge) beschränkt sich im Kern auf den Umstand, dass diese über eine Dauer von fast 3 Jahren die der Krankenkasse geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge verspätet und zum Teil erst auf Vollstreckungsankündigung gezahlt hat.

Zwar bildet grundsätzlich die Nichtbegleichung von Sozialversicherungsbeiträgen infolge ihrer Strafbewehrtheit (§ 266 a StGB) ein Beweisanzeichen, das den Schluss auf einen Zahlungseinstellung gestatten kann2. Hier fehlt es jedoch bereits an der Strafbewehrtheit, weil die Beitragsforderungen sämtlich Pauschalabgaben aus geringfügiger Beschäftigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV waren, die ausschließlich vom Arbeitgeber zu tragen waren (§§ 249 b SGB V, 172 Abs. 3 SGB IV); die schlichte Vorenthaltung von Arbeitgeberbeiträgen ist nicht strafbar3.

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In Fällen einer verspäteten Zahlung wird zudem angenommen, dass erst eine mindestens halbjährige Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen eine Zahlungseinstellung umfassend glaubhaft macht4. Eine solche Gestaltung ist vorliegend nicht gegeben. Der Insolvenzverwalter trägt bereits für den hier maßgeblichen Zeitraum nicht vor, dass derartige hohe Rückstände aufgelaufen sind und dass Zahlungen bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens überhaupt nicht geleistet worden sind. Vielmehr betrafen die Rückstände fällige Beiträge für ein bis drei Monate und Zeiträume zwischen knapp einem und knapp drei Monaten. Zwar kann auch die mehrmonatige Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen auf eine Zahlungseinstellung hindeuten5, dann müssen aber weitere Beweisanzeichen hinzukommen6. Daran fehlt es hier. Entgegen der Ansicht des Insolvenzverwalters lässt sich für seine Auffassung nichts aus dem Beschluss des BGH vom 13.06.20067 herleiten; dort bestanden gerade rückständige Sozialversicherungsbeiträge für einen Zeitraum von 6 Monaten. Hier hat die Schuldnerin demgegenüber innerhalb von Zeiträumen zwischen knapp einem Monat und knapp drei Monaten die alten Rückstände vollständig nebst Mahngebühren und Säumniszuschlägen bezahlt.

Zudem kann insoweit durchaus von einer regelmäßigen Übung der Schuldnerin ausgegangen werden, dass Zahlungen erst aufgrund von Mahnungen und Vollstreckungsandrohungen erfolgt sind und diese Umstände deshalb im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung angesichts der kontinuierlichen Fortführung des Geschäftsbetriebes als Beweisanzeichen an Bedeutung verlieren8.

Die verspätet gezahlten Beiträge genügen auch der Höhe nach nicht für die Feststellung von Zahlungseinstellung oder – drohender – Zahlungsunfähigkeit und Kenntnis der Krankenkasse9. In allen vom Insolvenzverwalter angeführten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs waren die Beträge wesentlich höher und /oder das Verhältnis zwischen Rückständen und Gesamtverbindlichkeiten für den Anfechtungsgegner erkennbar. Entgegen der Ansicht des Insolvenzverwalters kommt es insoweit zudem nicht auf einen Vergleich mit den Personalkosten an, sondern maßgeblich ist der Zuschnitt des gesamten Geschäftsbetriebes der Schuldnerin und der Umfang der gesamten Verbindlichkeiten10. Ob angesichts dessen, insbesondere der aus den vom Insolvenzverwalter selbst vorgelegten GuV ersichtlichen Jahresumsätze von knapp 1 Mio. € und Gesamtverbindlichkeiten der Schuldnerin von über 1 Mio. € in den Jahren 2007 bis 2009, das Beweisanzeichen der verzögerten Zahlungen und deren Höhe auch als schwerwiegend anzusehen ist, kann dahinstehen. Jedenfalls kannte die Krankenkasse diese Umstände, wie im Termin vor dem Oberlandesgericht erörtert, nicht.

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Auch aus der vorgelegten Insolvenztabelle ergibt sich mangels Angabe von Fälligkeitszeitpunkten nichts für den hier nach § 140 I InsO maßgeblichen Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen; insbesondere ist nicht ersichtlich, dass Zahlungen bis zur Insolvenzeröffnung unbeglichen blieben.

Ferner wurde hier auch nicht die Rechtsprechung unzutreffend außer Acht gelassen, dass ein Beweisanzeichen bestehen kann, wenn die Schuldnerin infolge der ständigen verspäteten Begleichung der Forderungen der Krankenkasse einen Forderungsrückstand vor sich hergeschoben hat und demzufolge ersichtlich am Rande des finanzwirtschaftlichen Abgrunds operierte11. Zwar können die sich immer wieder erneuernden Forderungsrückstände der Bewertung entgegenstehen, dass kein wesentlicher Teil der Verbindlichkeiten betroffen war und es sich um lediglich geringfügige Liquiditätslücken handelte12. Hier ergibt sich aber aus den zuvor genannten Aspekten, dass die Schuldnerin die Rückstände immer wieder in einem Zeitraum von 28 Tagen bis maximal 89 Tagen getilgt hat, auch wenn dann bereit ein bis zwei nachfolgende Monatsbeiträge zur Zahlung fällig waren. Es war für die Krankenkasse nicht ersichtlich, dass die Schuldnerin am Rande des wirtschaftlichen Abgrundes operiert hätte. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau von den vom Insolvenzverwalter angeführten Fällen, die den Urteilen des BGH zugrunde lagen; dort waren die Rückstände erheblich höher.

Das Beweisanzeichen der Inkongruenz greift hier jedenfalls deshalb nicht durch, weil nach den Ausführungen oben aus der Sicht der Krankenkasse im Zeitpunkt der Zahlungen kein Anlass gegeben war, die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin anzunehmen13.

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Für die Krankenkasse ergaben sich nach vorstehenden Ausführungen insgesamt keine ausreichend tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass sich die Schuldnerin in existentiellen wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand. In diesem Zusammenhang ist, wie ausgeführt, zu berücksichtigen, dass sich für die Krankenkasse gegenüber der Schuldnerin wenig Erkenntnismöglichkeiten ergaben. Es ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass die Krankenkasse abgesehen von dem Zahlungsverhalten der Schuldnerin ihr gegenüber überhaupt Kenntnisse oder Erkenntnismöglichkeiten zu anderen nicht oder verspätet beglichenen Verbindlichkeiten hatte, die eine Beurteilung erst ermöglicht hätten; der Insolvenzverwalter hat vielmehr ausdrücklich erklärt, dazu nicht vorzutragen.

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 19. August 2014 – 27 U 25/14

  1. BGH NJW 2009, 1202, 1204[]
  2. BGH, NZI 2014, 23, Rn. 13[]
  3. vgl. den Wortlaut des § 266 a Abs. 1 StGB; ferner Perron in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 266 a, Rn. 4 mwN[]
  4. BGH, a.a.O.; NZI 2013, 932, Rn. 12; NZI 2003, 542, Rn.19; NZI 2002, 91, 93[]
  5. vgl. z. B. BGH, NZI 2002, 91, 93: Beitragsrückstand von 4 Monaten[]
  6. vgl. BGH, a.a.O.[]
  7. NZI 2006, 591[]
  8. vgl. OLG Düsseldorf, ZInsO 2011, 434[]
  9. zw.07.374, 80 € und 10.208, 05 € monatlich bis zu rd. 30.000 € über einen Zeitraum von bis zu drei Monaten[]
  10. vgl. BGH, NZI 2014, 23, Rn. 14[]
  11. vgl. BGH, NZI 2013, 932, Rn. 13 m. w. N.; Eilenberger, in: MünchKomm-InsO, 3. Aufl., § 17 Rn. 30[]
  12. vgl. BGH, NZI 2003, 322; NZI 2010, Rn. 43; NZI 2013, 932, Rn. 13[]
  13. vgl. dazu BGH, NZI 2014, 68, 69, Rn. 12 m.w.N.[]
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