Aktuell hatte sich der Bundesgerichtshof mit der Frage des Widerrufs einer auf den Abschluss eines an einem Messestand geschlossenen Kaufvertrags gerichteten Willenserklärung zu befassen:

Anlass hierfür bot der Streit um den Kauf einer Einbauküche auf der „Messe Rosenheim“: Die Händlerin vertreibt gewerblich unter anderem Einbauküchen. Der Messebesucher ist Verbraucher. Am 20.04.2015 schlossen die Parteien auf der alle zwei Jahre stattfindenden „Messe Rosenheim“ an einem Stand der Händlerin einen schriftlichen Kaufvertrag über eine Einbauküche (Modell „P. „) zum Gesamtpreis von 10.595, 20 €. Eine Widerrufsbelehrung enthält der Kaufvertrag nicht. Noch am 20.04.2015 widerrief der Käufer seine auf den Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung. Mit der Klage begehrt der Käufer die Feststellung, dass er die auf den Abschluss des Kaufvertrags vom 20.04.2015 gerichtete Willenserklärung wirksam widerrufen habe und der Händlerin deshalb keine Ansprüche aus dem Vertrag zustünden.
Die Klage hat in den Vorinstanzen vor dem Landgericht Traunstein1 und dem Oberlandesgericht München2 keinen Erfolg gehabt, da dem Käufer ein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB nicht zustehe. Und auch der Bundesgerichtshof verneinte das Vorliegen eines Widerrufsrechts des Messebesuchers:
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, der zu beurteilen hatte, ob ein Messestand, den ein Unternehmer auf der „Grünen Woche 2015“ in Berlin zu Verkaufszwecken betrieb, als beweglicher Gewerberaum im Sinne des § 312b Abs. 2 Satz 1 BGB anzusehen ist, hat dem Gerichtshof der Europäischen Union unter anderem die Frage zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV vorgelegt, ob es sich bei einem nur wenige Tage im Jahr zum Verkauf genutzten Messestand um einen beweglichen Gewerberaum im Sinne von Art. 2 Nr. 9 Buchst. b der Richtlinie 2011/83/EU handelt3. Im Hinblick hierauf hat der hier VIII. Zivilsenat das vorliegende Verfahren mit Beschluss vom 18.10.2017 gemäß § 148 ZPO analog bis zur Entscheidung des Unionsgerichtshofs ausgesetzt und nunmehr entschieden, dass dem Messebesucher wegen seines an dem Messestand geschlossenen Kaufvertrages ein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1, § 355 BGB, nicht zusteht. Denn der Vertrag ist gemäß der Vorschrift des § 312b Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB nicht, wie es § 312g Abs. 1 BGB verlangt, außerhalb der Geschäftsräume des Handlers geschlossen worden.
Nach § 312g Abs. 1 BGB steht dem Verbraucher bei mit einem Unternehmer außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB zu. Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge sind nach § 312b Abs. 1 Nr. 1 BGB Verträge, die bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist. Geschäftsräume im Sinne der vorgenannten Bestimmung sind nach der Legaldefinition des § 312b Abs. 2 Satz 1 BGB unbewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit dauerhaft ausübt, und bewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt.
Die Gesetzesformulierung in § 312b Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB ist die nahezu wortgleiche Umsetzung4 von Art. 2 Nr. 8 und Nr. 9 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (im Folgenden: Verbraucherrechterichtlinie). Das Tatbestandmerkmal in § 312b Abs. 2 Satz 1 BGB „bewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt“ übernimmt dabei dem Willen des Gesetzgebers folgend, die Verbraucherrechterichtlinie vollständig umzusetzen die Begrifflichkeit, die der Unionsgesetzgeber in Art. 2 Nr. 9 Buchst. b der Richtlinie vorgegeben hat.
Der damit zur verbindlichen Auslegung von Unionsrecht allein berufene Gerichtshof der Europäischen Union hat die ihm vom I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 13.07.20175 vorgelegten Fragen mit Urteil vom 07.08.20186 wie folgt im Leitsatz seiner Entscheidung beantwortet:
Art. 2 Nr. 9 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates ist dahin auszulegen, dass ein Messestand eines Unternehmens wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, an dem der Unternehmer seine Tätigkeiten an wenigen Tagen im Jahr ausübt, unter den Begriff „Geschäftsräume“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, wenn in Anbetracht aller tatsächlichen Umstände rund um diese Tätigkeiten und insbesondere des Erscheinungsbilds des Messestandes sowie der vor Ort selbst verbreiteten Informationen ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Verbraucher vernünftigerweise damit rechnen konnte, dass der betreffende Unternehmer dort seine Tätigkeiten ausübt und ihn anspricht, um einen Vertrag zu schließen, was vom nationalen Gericht zu prüfen ist.
Zu dieser Auffassung ist der Unionsgerichtshof vor allem mit Blick auf die von ihm zuvor erörterten Ziele der Verbraucherrechterichtlinie, insbesondere deren Erwägungsgrund 21 gelangt. Dort wird ausgeführt, dass der Verbraucher außerhalb von Geschäftsräumen des Unternehmers möglicherweise psychisch unter Druck steht oder einem Überraschungsmoment ausgesetzt ist7. Darüber hinaus hat sich der Unionsgerichtshof maßgeblich auf den Erwägungsgrund 22 der genannten Richtlinie gestützt. Mit dem dort verwendeten Begriff „Geschäftsräume“ werde auf Örtlichkeiten abgezielt, an denen für einen Verbraucher der Umstand, dass er zu kommerziellen Zwecken angesprochen wird, kein Überraschungsmoment darstellt8. Zudem hat der Unionsgerichtshof darauf hingewiesen, dass „Marktund Messestände“ nach dem Erwägungsgrund 22 der Verbraucherrechterichtlinie als Geschäftsräume zu behandeln sind, wenn sie diese Bedingung erfüllen9.
Anknüpfend hieran hat der Unionsgerichtshof ausgeführt, dass für die Beantwortung der Frage, ob ein Messestand in einem bestimmten Fall unter den Begriff „Geschäftsräume“ im Sinne des Art. 2 Nr. 9 der Richtlinie 2011/83 zu subsumieren ist, insbesondere „das konkrete Erscheinungsbild dieses Standes aus Sicht der Öffentlichkeit zu berücksichtigen [ist] und genauer, ob er sich in den Augen eines Durchschnittsverbrauchers als einen Ort darstellt, an dem der Unternehmer, der ihn innehat, seine Tätigkeiten, einschließlich saisonaler, für gewöhnlich ausübt, so dass ein solcher Verbraucher vernünftigerweise damit rechnen kann, dass, wenn er sich dorthin begibt, zu kommerziellen Zwecken angesprochen wird“10.
An dieses Auslegungsergebnis, das in Bezug auf die Vorschrift des § 312b Abs. 2 Nr. 1 BGB bereits im Vorfeld der Entscheidung des Unionsgerichtshofs mit ähnlicher Begründung vertreten wurde11, sind die nationalen Gerichte gebunden.
Legt man vorstehende rechtliche Maßstäbe an den Streitfall an, handelt es sich, wie das Berufungsgericht auf der Grundlage der von ihm getroffenen, von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen zutreffend erkannt hat, bei dem von der Händlerin im April des Jahres 2015 auf der „Messe Rosenheim“ betriebenen Messestand um einen „beweglichen Gewerberaum, an dem der Unternehmer seine Geschäfte für gewöhnlich ausübt“, so dass dem Käufer ein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB nicht zusteht, weil der Kaufvertrag vom 20.04.2015 nicht außerhalb eines Geschäftsraums geschlossen wurde.
Um diese Wertung rechtsfehlerfrei treffen zu können, waren im vorliegenden Fall weitere tatsächliche Feststellungen, insbesondere zum konkreten Erscheinungsbild des Messestands der Händlerin, nicht erforderlich:
Zutreffend hat das Oberlandesgericht München in seinem Berufungsurteil bei seiner Würdigung maßgeblich zum einen auf den für den durchschnittlichen Verbraucher erkennbaren Charakter der „Messe Rosenheim“ und zum anderen auf das im Messekontext zu beurteilende konkrete Angebot der Händlerin abgestellt, das zum Abschluss des Kaufvertrags über die Einbauküche geführt hat.
So hat das OLG München festgestellt, dass es sich bei der „Messe Rosenheim“ im Jahr 2015 um eine klassische Verkaufsmesse handelte, bei der das interessierte Publikum in 14 Ausstellungshallen mit 19 unterschiedlichen Branchen und deren Kaufangeboten in Kontakt treten konnte. Angesichts des offensichtlichen Verkaufscharakters der Messe und der breit gefächerten, teils auch hochwertige Gegenstände umfassenden Produktpalette, die in einem „bunten Mix“ verschiedener Branchen über sämtliche Hallen verteilt präsentiert worden sei, habe das Angebot der Händlerin zum Kauf der hier in Rede stehenden Einbauküche für den Käufer nicht überraschend sein können, so dass von einer Überrumpelung nicht gesprochen werden könne. Diese Wertung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die Würdigung des OLG München, eine Überrumpelung des Käufers ergebe sich vorliegend auch nicht aus dem Umstand, dass auf der Messe neben Unternehmern, die einen Vertragsabschluss auf der Messe erzielen wollten, auch Aussteller vertreten gewesen seien, die einen Messestand primär oder ausschließlich zu Informationszwecken unterhalten hätten, ist revisionsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Anders könnte es sich in Bezug auf den Messestand der Händlerin nur darstellen, wenn dieser wie etwa die von der Berufungsbegründung des Käufers hierfür (neben anderen) exemplarisch benannten Stände der Agentur für Arbeit, der AOK, des ArbeiterSamariterBunds oder von Handwerkern, die ihr Berufsbild vorstellen wollten nach außen das Erscheinungsbild eines reinen Informationsoder Werbestands vermittelt hätte, an dem, entgegen dem einen anderen Eindruck vermittelnden generellen Verkaufscharakter der Messe, Verkäufe nicht getätigt würden. Dies hat das Berufungsgericht indes nicht festgestellt. Übergangenen Sachvortrag hierzu zeigt die Revision nicht auf. Wenn der Messestand der Händlerin als Informationsstand ausgestaltet gewesen wäre oder die Mitarbeiter der Händlerin einen solchen Eindruck vermittelt hätten, wäre zu erwarten gewesen, dass der Käufer, der bei anderen Messeständen auf diese Umstände abgestellt hat, dies auch vorgetragen hätte. Angesichts dessen schließt es der Bundesgerichtshof aus, dass das Berufungsgericht nach einer etwaigen Zurückverweisung der Sache durch den Bundesgerichtshof hinsichtlich des konkreten Erscheinungsbildes des Messestands der Händlerin andere, für das Rechtsbegehren des Käufers günstigere Feststellungen treffen könnte.
Auch der Einwand, bei dem Kauf einer Einbauküche sei regelmäßig ein Aufmaß notwendig, so dass ein angemessen aufmerksamer Verbraucher nicht habe damit rechnen müssen, an dem Messestand der Händlerin sogleich mit einem Kaufangebot konfrontiert zu werden, rechtfertigt eine andere Beurteilung nicht. Denn maßgeblich ist, ob ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Verbraucher angesichts der ihm erkennbaren Gesamtumstände vernünftigerweise damit rechnen konnte, dass der betreffende Unternehmer an dem Messestand eine Verkaufstätigkeit ausübt und ihn möglicherweise zu kommerziellen Zwecken ansprechen wird, um einen Vertrag zu schließen. Diese Frage ist unabhängig davon zu beurteilen, ob im Hinblick auf den im Einzelfall in Rede stehenden Kaufgegenstand weitere Maßnahmen erforderlich sind, wie etwa ein Aufmaß nach den örtlichen Gegebenheiten beim Verbraucher zu nehmen, um die vertragsgemäße Leistung ordnungsgemäß erbringen zu können.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 10. April 2019 – VIII ZR 82/17
- LG Traunstein, Urteil vom 25.07.2016 7 O 2383/15[↩]
- OLG München, Urteil vom 15.03.2017 3 U 3561/16[↩]
- BGH, Beschluss vom 13.07.2017 – I ZR 135/16, WRP 2017, 1091[↩]
- BT-Drs. 17/12637, Seite 1 f., 49[↩]
- BGH, Beschluss vom 13.07.2017 – I ZR 135/16, aaO[↩]
- EuGH, Urteil vom 07.08.2018 C485/17, WRP 2018, 1183[↩]
- EuGH, Urteil vom 07.08.2018 C485/17, aaO Rn. 33[↩]
- EuGH, Urteil vom 07.08.2018 – C-485/17, aaO Rn. 38[↩]
- EuGH, Urteil vom 07.08.2018 C485/17, aaO Rn. 41[↩]
- EuGH, Urteil vom 07.08.2018 C485/17, aaO Rn. 43[↩]
- OLG Karlsruhe, NJW-RR 2017, 46; MünchKomm-BGB/Wendehorst, 8. Aufl., § 312b Rn. 11 ff.; 22; aA Erman/Koch, BGB, 15. Aufl., § 312b Rn. 30; Klocke, EuZW 2016, 411, 414; Glöckner, BauR 2014, 411, 419; Strobl, NJW 2015, 721, 722; wohl auch Palandt/Grüneberg, BGB, 78. Aufl., § 312b Rn. 2[↩]