Auch wenn eine Änderung des Klageantrags in der Berufungsinstanz nicht den Beschränkungen des § 533 ZPO unterliegt, weil sie gemäß § 264 Nr. 2 und 3 ZPO nicht als Klageänderung anzusehen ist, ist dazu gehaltener neuer Tatsachenvortrag in der Berufungsinstanz nur unter den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Die Zulassung setzt voraus, dass der Vortrag im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden ist, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.

So sah der Bundesgerichtshof im hier entschiedenen Fall die Zahlungsklage wie zuvor bereits das Oberlandesgericht Oldenburg1 als unbegründet an; das Oberlandesgericht Oldenburg hatte angenommen, durch das erstinstanzliche Urteil sei unbestritten ein falscher Vollstreckungstitel geschaffen worden. Die ursprüngliche Klägerin (Insolvenzschuldnerin) habe es schuldhaft versäumt, hinreichend umfassend wahrheitsgemäß vorzutragen. Ein solcher wahrheitsgemäßer Vortrag hätte zwingend die nach ihrer Behauptung bereits am 28.02.2018 – nach Rechtshängigkeit der Klage, aber vor der letzten mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug – vorgenommene Abtretung der Schadensersatzforderung an ihren Haftpflichtversicherer umfasst.
Die Behauptungen des Insolvenzverwalters zur Regulierung und zur Abtretung der Schadensersatzforderung sowie dazu, die Haftpflichtversicherung sei der Verkehrshaftpflichtdversicherer der ursprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin), habe die Beklagte zulässig mit Nichtwissen bestritten. Es sei nicht widersprüchlich, dass die Beklagte die ihr außergerichtlich übermittelte Abtretungserklärung vorlege und zugleich deren Wirksamkeit bestreite. Die bestrittenen Behauptungen des Insolvenzverwalters seien gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO als verspätet zurückzuweisen. Es handele sich bei den Behauptungen nicht um Verteidigungsmittel der Auftragnehmerin, sondern um Angriffsmittel des Insolvenzverwalters. Der Vortrag, man habe eine gerichtlich verfolgte Forderung während des laufenden Verfahrens an einen Dritten abgetreten, gehöre zum unerlässlichen wahrheitsgemäßen Parteivortrag der ursprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin). Etwaige Versäumnisse habe sich der Insolvenzverwalter als Rechtsnachfolger zurechnen zu lassen.
Das Bestreiten der aufgezeigten Behauptungen des Insolvenzverwalters zum Forderungsübergang sei nicht im Hinblick auf § 265 ZPO unerheblich. Die Umstellung der Klage in der vom Insolvenzverwalter vorgenommenen Weise sei prozessual rechtlich zulässig. Ob aber tatsächlich ein Forderungsübergang gerade auf die Haftpflichtversicherung – und beispielsweise nicht auf einen anderen Versicherer oder Rückversicherer – stattgefunden habe, sei nach materiellem Recht zu beurteilen. Für die Auftragnehmerinseite sei es von Bedeutung, dass sie an den richtigen Abtretungsempfänger leiste. Anderenfalls müsse sie ihre doppelte Inanspruchnahme befürchten.
Der Insolvenzverwalter habe nicht dargelegt, dass der neue Tatsachenvortrag zum Verkehrshaftpflichtversicherer der ursprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin), zur Regulierung des Schadens und zur Abtretung der streitgegenständlichen Schadensersatzforderung im ersten Rechtszug nicht gehalten worden sei, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruhe.
Der Hinweis des Insolvenzverwalters, eine Klageabweisung widerspreche dem von den gesetzlichen Vorschriften verfolgten Zweck der Prozessökonomie, gebe keine Veranlassung, den neuen Prozessvortrag zuzulassen. Das Spannungsverhältnis zwischen den prozessualen Wahrheitspflichten und der Prozessökonomie sei zu Gunsten der Wahrheitspflichten gesetzlich entschieden.
Diese Ausführungen des Oberlandesgerichts Oldenburg hielten der rechtlichen Nachprüfung durch den Bundesgerichtshof stand:
Das Oberlandesgericht Oldenburg ist mit Recht davon ausgegangen, dass die vom Insolvenzverwalter vorgenommene Änderung des Klageantrags dahingehend, dass die Beklagte zur Zahlung an die Haftpflichtversicherung verurteilt werden solle, zulässig ist.
Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass Änderung und Erweiterung einer Klage selbstständige prozessuale Angriffe darstellen, die von den Angriffsmitteln im Sinne von §§ 296, 530, 531 ZPO zu unterscheiden sind und deshalb nicht den in diesen Bestimmungen genannten Voraussetzungen über die Zurückweisung oder Zulassung verspäteter Angriffsmittel unterliegen2. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Klageänderung oder Klageerweiterung richten sich stattdessen nach den §§ 263, 264, 533 ZPO3.
Handelt es sich um eine Antragsanpassung, die, wie die Umstellung des Klageantrags auf Leistung an den Abtretungsempfänger, den Bestimmungen des § 264 Nr. 2 oder 3 ZPO unterfällt, ist sie schon kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung nicht als eine Klageänderung anzusehen. Auf eine solche Modifizierung des Klageantrags finden daher diejenigen Vorschriften, die die Zulässigkeit einer Klageänderung regeln, keine Anwendung. Dies gilt nicht nur für § 263 ZPO, sondern ebenso für § 533 ZPO, weil § 264 ZPO gemäß § 525 Satz 1 ZPO auch auf das Berufungsverfahren anzuwenden ist4.
Danach ist die vom Insolvenzverwalter in der Berufungsinstanz vorgenommene Umstellung des Klageantrags auf Leistung an die Haftpflichtversicherung unabhängig von den Voraussetzungen des § 533 ZPO zulässig. Die Zulässigkeit der Änderung des Klageantrags hängt demnach weder davon ab, dass der Gegner einwilligt oder das Gericht sie für sachdienlich hält, noch setzt sie voraus, dass sie auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Oberlandesgericht Oldenburg bei seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat.
Das Oberlandesgericht Oldenburg ist ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klage mit ihrem zulässigerweise in der Berufungsinstanz geänderten Klageantrag abzuweisen ist.
Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen den Ausgangspunkt der Beurteilung des Oberlandesgerichts Oldenburg, wonach der Insolvenzverwalter für den von ihm behaupteten Forderungsübergang von der ursprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin) auf die Haftpflichtversicherung und für seine Behauptung, dass die Haftpflichtversicherung Verkehrshaftpflichtversicherer der ur- sprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin) sei, darlegungs- und beweispflichtig ist.
Im Zivilrecht ist als Beweislastprinzip der Grundsatz anerkannt, dass jede Partei, die den Eintritt einer Rechtsfolge geltend macht, die Voraussetzungen des ihr günstigen Rechtssatzes zu beweisen hat. Den Anspruchsteller trifft die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen, der Gegner muss den Beweis für rechtshemmende, rechtshindernde oder rechtsvernichtende Tatsachen erbringen5. Danach muss derjenige, der eine Forderung geltend macht, die er durch Abtretung erworben hat, den Abschluss eines entsprechenden Abtretungsvertrags beweisen6. Macht der Gegner die Unwirksamkeit der Abtretung aufgrund rechtshindernder Einwendungen geltend, muss der Gegner die erforderlichen Tatsachen beweisen7.
Im Streitfall, in dem der Insolvenzverwalter eine auf einen Dritten – die Haftpflichtversicherung – übergegangene Forderung einklagt, trägt der Insolvenzverwalter die Darlegungs- und Beweislast für den Abschluss des Abtretungsvertrags, weil es sich dabei um eine anspruchsbegründende Tatsache für eine Klage auf Leistung an einen Dritten handelt. Gleiches gilt für die Voraussetzungen der vom Insolvenzverwalter alternativ geltend gemachten Legalzession auf die Haftpflichtversicherung nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG.
Insoweit wird ohne Erfolg geltend gemacht, das Oberlandesgericht Oldenburg habe den im Berufungsverfahren gehaltenen Vortrag des Insolvenzverwalters zum Übergang des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs auf die Haftpflichtversicherung und zu deren Eigenschaft als Haftpflichtversicherer der ursprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin) nicht gemäß § 531 Abs. 2 ZPO als verspätet zurückweisen dürfen.
Unterliegt eine Änderung des Klageantrags in der Berufungsinstanz nicht den Beschränkungen des § 533 ZPO, ist das Oberlandesgericht Oldenburg nicht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 1 ZPO an die von dem erstinstanzlichen Gericht zu dem ursprünglichen Klageantrag getroffenen Feststellungen gebunden, sondern darf auf den gesamten erstinstanzlichen Sachvortrag zurückgreifen8. Neuer Tatsachenvortrag in der Berufungsinstanz ist jedoch, auch soweit er zur Begründung einer unter § 264 Nr. 2 und 3 ZPO fallenden Änderung des Klageantrags dient, nur unter den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen9. In diesem Zusammenhang ist gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO zu prüfen, ob neuer Vortrag der Partei im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden ist, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit beruht10.
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das Oberlandesgericht Oldenburg mit Recht geprüft, ob die ursprüngliche Klägerin (Insolvenzschuldnerin) im Hinblick darauf der Vorwurf der Nachlässigkeit trifft, dass sie zum erst vom Insolvenzverwalter zweitinstanzlich behaupteten Übergang der Klageforderung auf die Haftpflichtversicherung erstinstanzlich nichts vorgetragen hat. Dies hat das Oberlandesgericht Oldenburg ohne Rechtsfehler bejaht. Der ursprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin) waren sowohl ihre kurz nach Rechtshängigkeit der Klage erklärte Abtretung als auch die Regulierung ihres Schadens durch die Haftpflichtversicherung bekannt. Die Bedeutung dieser Umstände für den Ausgang des Rechtsstreits bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht waren ihr ebenfalls bekannt oder hätten ihr bekannt sein müssen.
Nach den vom Oberlandesgericht Oldenburg rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass die Haftpflichtversicherung Inha- berin der mit der Klage geltend gemachten Forderung geworden ist.
Aus diesem Grund war das Oberlandesgericht Oldenburg entgegen der Ansicht der Revision auch nicht gehalten, eine der ursprünglichen Klägerin (Insolvenzschuldnerin) erteilte Inkassovollmacht der Haftpflichtversicherung in Betracht zu ziehen. Auch eine Inkassovollmacht hätte vorausgesetzt, dass die Haftpflichtversicherung Anspruchsinhaberin geworden ist. Dies hat das Oberlandesgericht Oldenburg jedoch nicht feststellen können, weil es das entsprechende zweitinstanzliche Vorbringen des Insolvenzverwalters ohne Rechtsfehler als präkludiert angesehen hat.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. Dezember 2022 – I ZR 135/21
- OLG Oldenburg, Urteil vom 11.08.2021 – 4 U 3719[↩]
- BGH, Urteil vom 23.04.1986 – VIII ZR 93/85, NJW 1986, 2257 23]; Urteil vom 15.01.2001 – II ZR 48/99, NJW 2001, 1210 15]; Beschluss vom 20.09.2016 – VIII ZR 247/15, NJW 2017, 491 18]; Urteil vom 21.03.2018 – VIII ZR 68/17, BGHZ 218, 139 67][↩]
- BGH, NJW 2017, 491 18][↩]
- BGH, Urteil vom 19.03.2004 – V ZR 104/03, BGHZ 158, 295 25]; vgl. auch BGH, Urteil vom 15.12.2016 – I ZR 63/15, BGHZ 213, 179 17][↩]
- BGH, Urteil vom 14.01.1991 – II ZR 190/89, BGHZ 113, 222 16] mwN[↩]
- BGH, Urteil vom 13.01.1983 – III ZR 88/81, NJW 1983, 2018 21][↩]
- BGH, NJW 1983, 2018 23][↩]
- BGHZ 158, 295 32]; BGH, Urteil vom 08.12.2005 – VII ZR 191/04, NJW-RR 2006, 390 19][↩]
- BGH, NJW-RR 2006, 390 19]; BGH, Urteil vom 14.05.2009 – I ZR 98/06, BGHZ 181, 98 18] – Tripp-Trapp-Stuhl[↩]
- BGH, NJW-RR 2006, 390 19][↩]
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