Klagerücknahme wegen bereits laufendem Insolvenzverfahren – und die Kosten

Ein Schuldner ist prozessrechtlich nicht verpflichtet, seine Gläubiger von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu informieren, um unzulässige Klagen gegen ihn zu verhindern. Erfährt ein Gläubiger erst nach der Klageerhebung, dass kurz vor Rechtshängigkeit das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet wurde, rechtfertigt dies bei einer Klagerücknahme in der Regel keine Kostenentscheidung zu Gunsten des Klägers gemäß § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO.

Klagerücknahme wegen bereits laufendem Insolvenzverfahren – und die Kosten

Nimmt der Kläger die Klage zurück, da bereits vor Rechtshängigkeit das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten eröffnet wurde, ist der Beklagte nicht befugt, einen Kostenantrag zu stellen. Die Prozessführungsbefugnis für den Kostenantrag steht in diesem Fall allein dem Insolvenzverwalter zu. 

Ein Kostenantrag des Klägers gemäß § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO (wegen Wegfalls des Klageanlasses vor Rechtshängigkeit) ist bei einer Insolvenzeröffnung vor Rechtshängigkeit hingegen zulässig. Denn der Kläger ist für einen möglichen Kostenerstattungsanspruch gegen den Beklagten in diesem Fall kein Insolvenzgläubiger, sondern Neugläubiger.

Die Klage ist durch Zustellung an den Beklagten rechtshängig geworden. Der Umstand, dass bereits vorher das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten eröffnet worden war, ändert daran nichts1. Die Rechtshängigkeit ist mit der Klagerücknahme entfallen. Mithin ist der Anwendungsbereich für eine Kostenentscheidung gemäß § 269 Abs. 3 ZPO eröffnet.

Ein möglicher Kostenerstattungsanspruch des Beklagten, der während des laufenden Insolvenzverfahrens entstanden ist, gehört gemäß § 35 Abs. 1 InsO als Neuerwerb zur Insolvenzmasse. Es handelt sich bei einem solchen Kostenerstattungsanspruch nicht um eine zweckgebundene (unpfändbare) Forderung, die nicht in die Insolvenzmasse fallen würde2. Da ein möglicher Kostenerstattungsanspruch des Beklagten zur Insolvenzmasse gehört, ist der Beklagte im Kostenfestsetzungsverfahren vor dem Landgericht nicht berechtigt, einen Kostenantrag zu stellen. Denn die Prozessführungsbefugnis für einen solchen Kostenantrag liegt allein beim Insolvenzverwalter, auch wenn der sich jedoch am Verfahren nicht beteiligt hat. Der gleichwohl vom Beklagten selbst gestellte Kostenantrag ist mithin unbeachtlich; auf die sofortige Beschwerde des Klägers ist die erstinstanzliche Kostenentscheidung aufzuheben.3

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Insoweit bleibt es dem Insolvenzverwalter unbenommen, selbst einen eigenen Kostenantrag für die Insolvenzmasse zu stellen.

Dagegen ist der Antrag des Klägers, dem Beklagten die Kosten des Verfahrens vor dem Landgericht aufzuerlegen, zulässig. Für eine Verteidigung gegen diesen Antrag ist der Beklagte prozessführungsbefugt. Für die Verteidigung gegen den Kostenantrag des Klägers liegt die Prozessführungsbefugnis nicht beim Insolvenzverwalter. Denn der Kläger ist für einen Kostenerstattungsanspruch im vorliegenden Verfahren Neugläubiger im Sinne der Vorschriften des Insolvenzrechts, weil der Rechtsstreit gegen den Schuldner erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begonnen hat4. Während Forderungen des Schuldners, die er während des Verfahrens erlangt, gemäß § 35 Abs. 1 zur Insolvenzmasse gehören, gibt es keine korrespondierende Vorschrift für Forderungen von Neugläubigern, die sich gegen den Schuldner richten und erst nach Eröffnung des Verfahrens entstehen. Eine Kostenerstattungsforderung des Klägers gegen den beklagten Insolvenzschuldner aus dem Verfahren vor dem Landgericht wäre weder eine Insolvenzforderung, die zur Tabelle angemeldet werden könnte, noch eine Masseforderung gemäß § 55 Abs. 1 Ziff. 1 InsO. (Dies wird von Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg5 übersehen; auf die vom Oberlandesgericht Hamburg erörterte Frage, ob „prozessökonomische Gründe“ in einem Fall der vorliegenden Art einen Kostenantrag des Klägers rechtfertigen könnten, kommt es mithin nicht an.) Der Umstand, dass der Kläger eine Kostenentscheidung zu seinen Gunsten vor Abschluss des Insolvenzverfahrens kaum im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen könnte, spielt für die Zulässigkeit des Antrags keine Rolle.

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Der Antrag des Klägers, dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, ist in dem hier beschriebenen Fall jedoch nicht begründet. Denn die Voraussetzungen für eine Entscheidung gemäß § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO liegen nicht vor.

Allerdings ist der Anwendungsbereich dieser Vorschrift grundsätzlich eröffnet. Denn der Anlass für die Klage ist im Sinne von § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO vor Rechtshängigkeit weggefallen. Der Begriff „Anlass zur Einreichung der Klage“ ist ebenso zu verstehen wie der Begriff der „Erledigung“ in § 91 a Abs. 1 ZPO. Eine „Erledigung“ gemäß § 91 a Abs. 1 ZPO tritt insbesondere dann ein, wenn durch ein bestimmtes Ereignis eine ursprünglich zulässige Klage nachträglich unzulässig wird. Dementsprechend ist auch der Wegfall des Klageanlasses in § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO in gleicher Weise zu verstehen. Vorliegend war die Klage in der Hauptsache unzulässig, weil bereits vor Klageerhebung das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten eröffnet worden war. Daher ist die Klageveranlassung vor Rechtshängigkeit entfallen6. Nach dem Wortlaut des Gesetzes spielt es für eine Anwendung von § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO keine Rolle, ob der Klageanlass zwischen der Einreichung der Klage und der Rechtshängigkeit weggefallen ist, oder bereits vor Einreichung der Klage,7. Die Frage des Zeitpunkts, zu welchem der Klageanlass weggefallen ist, kann lediglich für die Ermessensausübung bei der Kostenentscheidung eine Rolle spielen.

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Die Ausübung des billigen Ermessens gemäß § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO führt zu dem Ergebnis, dass kein Anlass besteht, die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens dem Beklagten aufzuerlegen. Dies ergibt sich bereits aus einer entsprechenden Anwendung der zu § 91 a Abs. 1 ZPO entwickelten Grundsätze. Wenn die Parteien – nach Rechtshängigkeit – ein Verfahren übereinstimmend für erledigt erklären, führt die Ermessenausübung in aller Regel dazu, dass bei einer von Anfang an unzulässigen Klage die Kosten der Kläger zu tragen hat. Dieser Gesichtspunkt steht auch im Rahmen von § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO einer Auferlegung der Kosten auf den Beklagten entgegen. Es gibt keine Gesichtspunkte, die vorliegend zu einer abweichenden Ermessensausübung führen könnten. Gesichtspunkte gemäß § 93 ZPO (sofortiges Anerkenntnis), die im Rahmen von § 91 a Abs. 1 ZPO regelmäßig berücksichtigt werden, spielen vorliegend keine Rolle. Bei einer unzulässigen Klage kann es für die Kostenentscheidung auch keine Rolle spielen, ob die Klage – ihre Zulässigkeit unterstellt – begründet gewesen wäre. Schließlich sind – jedenfalls im Rahmen der vorliegenden Kostenentscheidung – auch keine materiell-rechtlichen Gesichtspunkte für eine Entscheidung zugunsten des Klägers erkennbar. Es gibt keine Verpflichtung eines Schuldners, von sich aus sämtlichen Gläubigern die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mitzuteilen, um unzulässige Klagen zu verhindern. Es ist Sache des jeweiligen Klägers und seines Anwalts, sich vor Klageerhebung über die Voraussetzungen der Zulässigkeit der Klage, auch über die Frage der Prozessführungsbefugnis bei einem möglichen Insolvenzverfahren, zu informieren.

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Vorsorglich weist das Oberlandesgericht Karlsruhe zu möglichen Auswirkungen dieser Entscheidung auf Folgendes hin:

Das Oberlandesgericht hat mit der Beschwerdeentscheidung lediglich über den Antrag des Klägers, dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, entschieden. Über einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch der Gegenseite hat das Oberlandesgericht keine Entscheidung getroffen, da der Kostenantrag des Beklagten unzulässig ist. Mithin wird der Insolvenzverwalter durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht gehindert, gegebenenfalls einen Kostenantrag zu stellen, über welchen das Landgericht dann neu zu entscheiden hat.

Das Oberlandesgericht hat in der Sache nur über einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch des Klägers entschieden. Über einen möglichen materiellen Kostenerstattungsanspruch, der sich beispielsweise aus vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien ergeben könnte, hat das Oberlandesgericht keine Entscheidung getroffen.8.

Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 18. Juni 2020 – 9 W 19/20

  1. vgl. BGH, NJW-RR 2009, 567, Rdnr. 7[]
  2. BGH a.a.O., NJW-RR 2009, 567, 568. 569, Rdnr. 18 ff.[]
  3. Vgl. BGH, NJW-RR 2009, 566, 568, Rdnr. 15 ff.; die fehlende Prozessführungsbefugnis des Beklagten für diesen Antrag ist in der – früheren – Entscheidung des OLG Karlsruhe in NJW-RR 2007, 1166, nicht berücksichtigt.[]
  4. vgl. Sinz in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 15. Aufl.2019, § 38 InsO Rdnr. 49 mit Rechtsprechungsnachweisen[]
  5. OLG Hamburg, NZI 2019, 190[]
  6. ebenso Ghassemi-Tabar/Delaveaux, NZM 2011, 537 und OLG Hamburg a.a.O.; anders – ohne Begründung – Zöller/Greger, Zivilprozessordnung, 33. Aufl.2020, § 269 ZPO Rdnr. 18 c[]
  7. vgl. OLG Karlsruhe – 10. Zivilsenat, Beschluss vom 17.01.2020 – 10 W 9/19, zitiert nach Juris[]
  8. Vgl. zur Unterscheidung zwischen prozessualem Kostenerstattungsanspruch und einem möglichen materiell-rechtlichen Anspruch: Sinz in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 15. Aufl.2019, § 38 InsO Rdnr. 49[]
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