Die hyperbare Sauerstofftherapie (Druckkammerbehandlung) zur Behandlung einer aseptischen Knochennekrose (hier Morbus Ahlbäck) ist eine etablierte alternative Methode, die sich „in der Praxis ebenso erfolgsversprechend bewährt“ hat wie die schulmedizinisch anerkannte Behandlung dieser Erkrankung. Dies begründet einen Leistungsanspruch gem. § 4 (6) Satz 2 1. Alt. MB/KK.

In dem hier vorliegenden Fall des Oberlandesgerichts Stuttgart erhält der Kläger die Heilbehandlungskosten erstattet. Bei dem an beiden Kniegelenken des Klägers diagnostizierten Morbus Ahlbäck handelt es sich um eine Erkrankung, für die die Beklagte Versicherungsschutz gemäß § 1 (1) Satz 1 MB/KK bietet.
Außer Streit ist dabei, dass es sich um einen Versicherungsfall handelt, den § 1 (2) MB/KK als die Heilbehandlung beschreibt, die „medizinische notwendig“ ist. Dass die Erkrankung behandlungsbedürftig, eine Heilbehandlung also „medizinisch notwendig“ ist, steht dabei außer Frage.
Die vom Kläger konkret gewählte Behandlungsmethode der hyperbaren Sauerstofftherapie ist angesichts ihres Verbreitungsgrades und ihres Therapieansatzes (siehe hierzu unten Ziffer 4. b. aa. und bb.) jedenfalls vertretbar. Dies genügt, um sie als eine „medizinisch notwendige“ Heilbehandlung anzusehen1.
Die vom Kläger gewählte Behandlungsmethode fällt auch in den Leistungsumfang, die die Beklagte dem Kläger vertraglich versprochen hat. § 4 (6) Satz 1 MB/KK definiert den Umfang der Leistungspflicht der Beklagten dahingehend, dass die Kosten für Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu erstatten sind, die von der Schulmedizin überwiegend anerkannt sind. Zu diesen gehört die hyperbare Sauerstofftherapie nicht, wie der Sachverständige Prof. Dr. W. bestätigte.
§ 4 (6) Satz 2 MB/KK erweitert den Umfang der Leistungspflicht dahingehend, dass die Kosten auch für Behandlungsmethoden erstattet werden, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder die angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden zur Verfügung stehen.
Die letztgenannte Alternative – dass nämlich schulmedizinische Methoden nicht zur Verfügung stehen – ist zu verneinen. Die vom Sachverständigen Prof. Dr. W. angeführte Behandlungsmethode der retrograden Anbohrung ist eine schuldmedizinische Methode, die bei Morbus Ahlbäck – auch bei Patienten vor Vollendung des 60. Lebensjahres – angewandt und für wirksam erachtet wird.
Die hiergegen gerichteten Angriffe des Klägers, insbesondere dass die retrograde Anbohrung bei Patienten seiner Altersklasse nicht bzw. nicht dauerhaft die Krankheit beseitige oder lindere, geht fehl.Sie haben ihren gemeinsamen Ausgangspunkt in der Erwägung, dass die retrograd ausgeführten Bohrungen die Bildung von Knorpelgewebe anregen solle, das jedoch mit zunehmendem Alter des Patienten in immer schlechterer Qualität und abnehmender Quantität erzeugt werde, überdies regelmäßig nur in der Form von Faserknorpel, der gegenüber dem ursprünglichen hyalinen Knorpelgewebe von vornherein mindere Qualität aufweise.
Diese Erwägung ist nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. W., denen sich das Oberlandesgericht Stuttgart anschließt, bereits deshalb fasch, weil die Osteonekrosen, unter denen der Kläger gelitten hat, in keinem der beiden Kniegelenke die Gelenkknorpel nennenswert in Mitleidenschaft gezogen hatten. Damit brauchte eine als Vergleichstherapie zu der vom Kläger gewählten hyperbaren Sauerstofftherapie heranzuziehende schulmedizinische Behandlungsform eine Bildung dauerhaft belastbaren Knorpelmaterials nicht zu leisten, sondern hätte sich darauf beschränken können, die nekrotischen Knochengebiete wieder zu vitalisieren. Dem trug bereits das erstinstanzlich erstellte schriftliche Gutachten Rechnung, indem es als schulmedizinische Behandlungsalternative die retrograde Anbohrung darstellte, die – anders als die Pridie-Bohrung – weder das Knorpelmaterial durchbohrt noch auf die Bildung von Knorpelgewebe abzielt. Wie der Sachverständige unter überzeugender Bezugnahme auf das Erfahrungswissen der Orthopädie weiter ausführte, verspreche die vorgeschlagene retrograde Anbohrung bei Patienten bis zum Alter von rund 60 Jahren gute Heilungserfolge.
Damit kann der Kläger den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch nicht auf diese Alternative der versicherten ärztlichen Heilbehandlungen stützen.
Die Kostenerstattungspflicht der Beklagten ergibt sich jedoch aus der Alternative der nicht-schulmedizinischen Behandlungsmethoden, die sich „in der Praxis ebenso erfolgversprechend bewährt“ haben. Dies ist bei der vorliegend angewandten hyperbaren Sauerstofftherapie der Fall.
Eine in der Praxis ebenso erfolgversprechende Bewährung liegt dann vor, wenn im Grundsatz die in Betracht genommene Methode der alternativen Medizin in ihrer Wirksamkeit – wenigstens im Großen und Ganzen – einer ebenfalls zu Gebote stehenden Methode der Schulmedizin gleichkommt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sie über eine Erfolgsdokumentation verfügen muss, die der Schulmedizin vergleichbar ist. Eine Methode der etablierten Richtungen der alternativen Medizin ist vielmehr bereits dann als gleichwertig anzusehen, wenn sie sich aufgrund neutraler, der Erfolgsdefinition dieser Richtung Rechnung tragender Tests als nicht untauglich erwiesen hat2. Für diese Feststellung genügt allerdings weder die Anerkennung der alternativen Behandlungsmethode nur im Kreis ihrer Anhänger noch (allein) der Behandlungserfolg im Einzelfall des Klägers.
Dass die hyperbare Sauerstofftherapie zu den etablierten Verfahren der alternativen Medizin gehört, ergibt sich zur Überzeugung des Senats bereits daraus, dass sie – wie der Sachverständige Prof. Dr. W. überzeugend ausführte – seit nunmehr 50 Jahren auch zur Behandlung von Osteonekrosen, zu denen auch der Morbus Ahlbäck gehört, eingesetzt wird. Hierfür spricht auch ihr Verbreitungsgrad. Der Senat ermittelte durch eigene – durch den Sachverständigen bestätigte – Internetrecherchen rund 20 Druckkammerzentren im gesamten Bundesgebiet, die auch Knochennekrosen behandeln.
Die Anhänger der hyperbaren Sauerstofftherapie begründen ihren Therapieansatz mit der nachvollziehbaren Erwägung, durch eine Sauerstoffanreicherung des Blutes, die nur im hyperbaren Raum erzielt werden kann, die Sauerstoffversorgung des nekrotischen Knochengewebes zu verbessern und wieder nachhaltig in Gang zu bringen. Sie bleiben jedoch bislang eine Erklärung schuldig, weshalb die relativ kurz andauernde Sauerstoffanreicherung durch den auf den gesamten Körper einwirkenden Überdruck eine dauerhafte Verbesserung der Durchblutung des nekrotischen Knochengebietes bewirken soll. Diese Lücke in der Erklärung des therapeutischen Wirkungsmechanismus spricht jedoch nicht entscheidend gegen diese Behandlungsmethode, weil die Ursachen des Morbus Ahlbäck unbekannt sind und sich ein Dauererfolg der kurzfristig wirkenden übermäßigen Sauerstoffanreicherung aus der unbekannten Krankheitsursache erklären könnte.
Jedenfalls teilt der Therapieansatz der hyperbaren Sauerstoffbehandlung mit der schulmedizinischen Behandlungsmethode die Erwägung, dass die Erkrankung des Knochengewebes auf einer mangelnden Durchblutung und damit unzureichenden Sauerstoffversorgung beruht, die wieder normalisiert werden muss, um einen Heilerfolg herbeizuführen. Damit kann eine generelle Untauglichkeit der hyperbaren Sauerstofftherapie nicht bereits aus grundsätzlichen Erwägungen abgeleitet werden.
Die vom Kläger angeführte Reumont-Studie aus dem Jahr 2004 mag zwar an methodischen Schwächen leiden, wie der Sachverständige Prof. Dr. W. nachvollziehbar ausgeführt hat. Dies hat jedoch lediglich zur Folge, dass mit ihr eine evidenzbasierte Wirksamkeit nach wissenschaftlichen Methoden nicht nachgewiesen werden kann, was jedoch für die Annahme einer der Schulmedizin in der Praxis gleichwertigen Methode der alternativen Medizin auch nicht erforderlich ist. Wollte man solches fordern, so würde der Versicherungsschutz für bewährte Behandlungsmethoden der alternativen Medizin ausgehöhlt. Denn jede wissenschaftlich nachgewiesene Wirksamkeit einer Behandlungsform führt – jedenfalls auf längere Sicht – zu einer Anerkennung durch die Schulmedizin und wird hierdurch zu deren Bestandteil. Eine Leistungspflicht der Beklagten für in der Praxis bewährte nicht-schulmedizinische Behandlungsformen bestünde dann nur noch in der schmalen Zone, in denen Behandlungsmethoden der alternativen Medizin kurz vor der Übernahme durch die Schulmedizin stünden. Eine solche Beschränkung der Leistungspflicht widerspräche dem maßgeblichen Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers über die Auslegung von § 4 (6) Satz 2, 1. Altern. MB/KK.
Vor diesem Hintergrund ist die Reumont-Studie bedeutsam, weil sie trotz ihrer methodischen Schwächen auf der Basis eines statistisch aussagefähigen Fallaufkommens weit vor Beginn der Erkrankung des Klägers einen positiven Zusammenhang zwischen der Behandlung von Morbus Ahlbäck durch hyperbare Sauerstofftherapie und einem Heilungserfolg aufzuzeigen vermochte.
Bekräftigt wird dieser positive Zusammenhang durch die vom Kläger angeführte Studie der University of South-Florida, Tampa. Der Sachverständige Prof. Dr. W. bestätigte, dass es sich bei dieser Studie um eine qualitativ gute Arbeit von wissenschaftlichem Rang handelt, die in einem anerkannten Fachorgan publiziert wurde. Dass sie Knochennekrosen im Bereich des Femur-Kopfes betrifft, macht ihre Ergebnisse zwar nicht zwingend übertragbar auf den Morbus Ahlbäck, der nur den Kniegelenksbereich des Oberschenkelknochens betrifft. Dennoch liegt solches nach den Ausführungen des Sachverständigen näher, als die Übertragung von Studienergebnissen, die die Regeneration defekten Knorpelgewebes unter Anwendung der hyperbaren Sauerstofftherapie betreffen.
In der Gesamtbetrachtung der beachtlichen Verbreitung der hyperbaren Sauerstofftherapie, ihrer Anwendung über Jahrzehnte hinweg und der genannten Studienergebnisse hat der Senat keinen Zweifel daran, dass die hyperbare Sauerstofftherapie schon seit längerem eine der schulmedizinischen Behandlungsform gleichwertige alternativ-medizinische Therapie des Morbus Ahlbäck darstellt und deshalb eine Leistungspflicht gem. § 4 (6) Satz 2, 1. Altern. MB/KK auch bereits im Zeitpunkt der Behandlungen begründete.
Gegen die Höhe der geltend gemachten Behandlungskosten hat die Beklagte keine Einwendungen erhoben; solche sind auch sonst nicht ersichtlich.
Der Anspruch des Klägers auf Erstattung der geltend gemachten Therapiekosten scheitert nicht daran, dass das DCS als eine juristische Person in der Rechtsform einer GmbH organisiert ist. Der Kläger legt dar, dass in dieser GmbH insgesamt sieben Ärzte zusammengeschlossen sind. Ihre Leitung obliegt Dr. K., der approbierter Arzt in S. ist, wie sich aus der Homepage von DCS und Dr. K. ersehen lässt. Demnach besteht kein Zweifel daran, dass das DCS tatsächlich von mindestens einem approbierten Arzt geleitet wird. Damit sind die Voraussetzungen einer Behandlung durch einen „niedergelassenen Arzt“ erfüllt3.
Ob ein berechtigter Mitarbeiter dem Kläger telefonisch zugesagt hat, die Beklagte würde die Kosten für die hyperbare Sauerstofftherapie erstatten, kann dahinstehen, nachdem die Beklagte jedenfalls bedingungsgemäß hierfür einzutreten hat.
Da die Beklagte zu Unrecht die Erstattung der vom Kläger verauslagten Kosten für die erfolgte Behandlung durch das DCS verweigert hat und dadurch mit der Erfüllung ihrer Leistungspflichten in Verzug geraten war, hat sie dem Kläger auch die von diesem aufgewandten vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Form nicht anrechenbarer anwaltlicher Geschäftsgebühren gem. §§ 280 Abs. 2, 286 BGB zu ersetzen. Die Höhe der geltend gemachten Aufwendungen ist nicht zu beanstanden.
Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 22. September 2011 – 7 U 39/11