Die Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung, die den Kläger wegen missbräuchlicher oder mutwilliger Prozessführung verurteilt, dem Beklagten über die Erstattung der Prozesskosten hinaus einen pauschalierten Betrag zum Ersatz nicht näher bezifferter Nachteile zu bezahlen, widerspricht nicht dem ordre public.

Nachdem in dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Vollstreckbarerklärungsverfahren die Ausgangsentscheidung des Appellationsgerichts Mailand in einem vor dem 10.01.2015 eingeleiteten gerichtlichen Verfahren ergangen ist, richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung nach der EuGVVO aF (Art. 66 Abs. 2 der Verordnung [1]. Die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde richtet sich daher nach Art. 44 f EuGVVO aF, §§ 15 ff AVAG. § 1115 ZPO betrifft nur die Anerkennung und Vollstreckung nach der EuGVVO nF.
Abs. 1 EuGVVO aF regelt die Voraussetzungen abschließend, unter denen die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Urteils aufgehoben werden kann. Hinsichtlich der Vollstreckbarerklärung zur Zahlung eines (weiteren) Betrages (hier: von 15.000 €) aufgrund verschärfter Haftung wegen waghalsigen (mutwilligen) Rechtsstreits gemäß Art. 96 Abs. 3 des italiensichen Codice di Procedura Civile (CPC) kommt weder der Versagungsgrund nach Art. 34 Nr. 1 EuGVVO aF noch ein Versagungsgrund nach Art. 35 Abs. 1 EuGVVO aF in Betracht, insbesondere begründet die Verurteilung zu einer Zahlung weiterer 15.000 € auf der Grundlage von Art. 96 Abs. 3 CPC keinen Verstoß gegen den ordre public.
Gemäß Art. 34 Nr. 1 EuGVVO aF wird eine Entscheidung nicht anerkannt, wenn die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Staates, in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich widersprechen würde. Die Anforderungen an den ordre public sind geklärt.
Mit dem materiellen ordre public ist ein ausländisches Urteil nicht schon dann unvereinbar, wenn der deutsche Richter – hätte er den Prozess entschieden – aufgrund zwingenden deutschen Rechts zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre (Verbot der révision au fond). Maßgeblich ist vielmehr, ob das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts im konkreten Fall zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach deutscher Vorstellung untragbar erscheint [2]. Entsprechendes gilt für den verfahrensrechtlichen ordre public. Bei der Prüfung des Verfahrens des Urteilsstaates ist ein Versagungsgrund ebenfalls nur dann gegeben, wenn die Entscheidung des ausländischen Gerichts aufgrund eines Verfahrens ergangen ist, das sich von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße entfernt, dass nach der deutschen Rechtsordnung das Urteil nicht als in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann [3]. Insoweit ist auf die Grundsätze abzustellen, die Art. 103 Abs. 1 GG schützen will [4].
Im vorliegenden Fall hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg [5] diese Grundsätze rechtsfehlerfrei auf die gemäß Art. 96 Abs. 3 CPC erfolgte Verurteilung zur Zahlung weiterer 15.000 € angewandt. Es stellt hierzu fest, es gehe bei der Anwendung von Art. 96 Abs. 3 CPC im Streitfall nicht um den Schutz der Rechtsordnung, sondern um konkrete Nachteile des Prozessgegners. Die Zahlung solle den hohen letztlich nicht bezifferbaren Aufwand der Antragstellerin abgelten, der ihr dadurch entstanden sei, dass sie ungerechtfertigterweise missbräuchlich im Ausland in ein Verfahren hineingezogen worden sei. Das Appellationsgericht Mailand hat seine Entscheidung zu Art. 96 Abs. 3 CPC – worauf die Rechtsbeschwerdeerwiderung zutreffend hinweist – ausdrücklich mit den der Antragstellerin entstandenen Nachteilen begründet.
Darin liegt weder eine Verkennung des ordre public noch verletzt dies Art. 6 Abs. 1 EMRK. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob nach deutschem Recht eine Missbrauchsgebühr für die mutwillige Prozessführung nur in grundsätzlich kostenfreien Verfahren vorgesehen ist. Denn die Zuerkennung eines Betrags im Hinblick auf eine missbräuchliche oder mutwillige Prozessführung steht weder in einem untragbaren Widerspruch zu Gerechtigkeitsvorstellungen des deutschen Rechts noch entfernt sich eine solche Entscheidung von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße, dass nach der deutschen Rechtsordnung das Urteil nicht als in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann. Insbesondere liegt keine mit der deutschen Rechtsordnung unvereinbare Erschwerung des Zugangs zu Gericht vor.
Zum einen ist eine Ersatzpflicht im Falle einer ungerechtfertigten Prozessführung dem deutschen Recht nicht grundsätzlich fremd [6]. Es verstößt weiter nicht gegen die deutsche öffentliche Ordnung, wenn das ausländische Recht bei feststehender Schadensersatzpflicht eine pauschale Schätzung ihrer Höhe gestattet [7]. Ebenso wenig verletzt es den ordre public, sofern mit der Verhängung von Strafschadensersatz nicht besonders abgegoltene oder schlecht nachweisbare wirtschaftliche Nachteile pauschal ausgeglichen oder nicht selbständig ersatzfähige Verzugsschäden abgewälzt werden sollen [8]. Zum anderen erschwert die Verurteilung des Antragsgegners, der Antragstellerin einen über die unmittelbaren Prozesskosten hinausgehenden Betrag zu bezahlen, nicht den Zugang zu Gericht. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts stützt das Appellationsgericht Mailand die Verurteilung insoweit in erster Linie auf die der Antragstellerin entstandenen Nachteile. Es wirft keine klärungsbedürftigen Fragen auf, wenn das Beschwerdegericht insoweit darauf abstellt, dass Art. 96 Abs. 3 CPC nur bei einem mutwilligen, rechtsmissbräuchlichen Verhalten eingreift. Diese Beurteilung des Beschwerdegerichts verstößt weiter nicht gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK. Vielmehr sind Gebühren für eine missbräuchliche Verfahrensführung nicht unvereinbar mit Art. 6 Abs. 1 EMRK [9]. Soweit das Beschwerdegericht den vom Appellationsgericht Mailand festgesetzten Betrag im Streitfall für nicht unverhältnismäßig angesehen hat, beruht dies ebenfalls auf den konkreten Umständen des Streitfalles.
Die weitere Würdigung des Beschwerdegerichts, aus den Bestimmungen der Art. 26, 27 EuGVVO aF könne nichts hergeleitet werden, das der Vollstreckbarerklärung der Verurteilung zur Zahlung (weiterer) 15.000 € entgegenstehe, enthält ebenfalls keinen Zulässigkeitsgrund. Zu Recht nimmt das Beschwerdegericht an, dass Art. 35 Abs. 1 EuGVVO aF nicht einschlägig ist. Die Vorschrift regelt nur, inwieweit bei einer Entscheidung die Zuständigkeit des ausländischen Gerichts überprüft werden darf. Es handelt sich dabei um eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot einer Nachprüfung [10]. Darum geht es nicht.
Soweit der Antragsgegner meint, die Bestimmungen über die Prüfung der Zuständigkeit (Art. 26 EuGVVO aF) und die von Art. 27 EuGVVO geregelten Folgen einer erhobenen Klage stünden einer von Art. 96 Abs. 3 CPC vorgesehene Entscheidung bei missbräuchlichen Klagen entgegen, ist dies unerheblich. Gemäß Art. 36 EuGVVO aF ist es ausgeschlossen, die ausländische Entscheidung in der Sache selbst nachzuprüfen. Unabhängig davon ergibt sich aus Art. 26, 27 EuGVVO aF kein allgemeiner Rechtssatz, der bei einer missbräuchlichen Anrufung eines unzuständigen Gerichts eine Verurteilung zur Zahlung einer bestimmten Summe an den Prozessgegner im Sinne des Art. 96 Abs. 3 CPC verbietet. Die materiellrechtlichen Auswirkungen einer missbräuchlichen Klage unterliegen vielmehr dem nationalen Recht.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22. Juni 2017 – IX ZB 61/16
- EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlamentes und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen; fortan: EuGVVO nF[↩]
- BGH, Beschluss vom 10.12 2014 XII ZB 463/13, BGHZ 203, 350 Rn. 28 mwN; vgl. auch BGH, Beschluss vom 10.09.2015 – IX ZB 39/13, ZIP 2015, 2142 Rn. 11 mwN; Urteil vom 10.09.2015 – IX ZR 304/13, WM 2015, 2248 Rn. 10 mwN zu Art. 26 EuInsVO[↩]
- BGH, Beschluss vom 10.09.2015 – IX ZB 39/13, ZIP 2015, 2142 Rn. 12 mwN; vom 06.04.2017 – IX ZB 19/16, WM 2017, 874 Rn. 8[↩]
- BGH, Beschluss vom 10.09.2015, aaO Rn. 13 mwN; vom 06.04.2017, aaO[↩]
- OLG Hamburg, Beschluss vom 23.06.2016 – 6 W 4/16[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 25.03.2003 – VI ZR 175/02, BGHZ 154, 269, 271 ff[↩]
- BGH, Beschluss vom 26.09.1979 – VIII ZB 10/79, BGHZ 75, 167, 171 f[↩]
- BGH, Urteil vom 04.06.1992 – IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312, 340 unter V.3.b.[↩]
- EGMR, arrêt du 6 décembre 2005 35009/02 Maillard ./. France, Rn. 34 ff; Entscheidung vom 13.10.2009 4041/06 – Matterne ./. Deutschland 57[↩]
- Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 35 EuGVO Rn. 5[↩]
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