Kündigung bei der Wohnungsgenossenschaft

Der Insolvenzverwalter kann die Mitgliedschaft des Schuldners in einer Wohnungsgenossenschaft kündigen. Das insolvenzrechtliche Kündigungsverbot für gemieteten Wohnraum ist nach einem aktuellen Urteil des Bundesgerichtshofs auf diesen Fall nicht entsprechend anwendbar.

Kündigung bei der Wohnungsgenossenschaft

In der Insolvenz des Mitglieds einer Genossenschaft steht das Recht, die Mitgliedschaft zu kündigen mit dem Ziel, den zur Insolvenzmasse gehörigen Anspruch des Schuldners auf Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens (§ 73 GenG) zu realisieren, dem Insolvenzverwalter zu. Dies ergibt sich aus § 80 Abs. 1 InsO, jedenfalls aber in entsprechender Anwendung von § 66 GenG1.

§ 109 Abs. 1 Satz 2 InsO ist auf den Fall einer Kündigung der Mitgliedschaft des Schuldners in einer Wohnungsgenossenschaft durch den Insolvenzverwalter nicht unmittelbar anwendbar. Nach ihrem Wortlaut betrifft diese Vorschrift das Mietverhältnis über die Wohnung des Schuldners. Zwar ist mit der Mitgliedschaft in einer Wohnungsgenossenschaft regelmäßig auch ein Dauernutzungsverhältnis über eine Wohnung verbunden. Beide Rechtsverhältnisse sind aber voneinander zu unterscheiden. Das Kündigungsverbot des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO gilt unmittelbar allenfalls für das Dauernutzungsverhältnis.

Ob § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO, wie das Berufungsgericht meint, auf die Kündigung der Mitgliedschaft in einer Wohnungsgenossenschaft entsprechend angewendet werden kann, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.2 Diese Frage hat nun der BGH im Sinne einer Kündbarkeit auch in der Insolvenz des Genossen entschieden. Die Vorschrift des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO ist auf die Kündigung der Mitgliedschaft des Schuldners in einer Wohnungsgenossenschaft nicht entsprechend anwendbar. Ob eine planwidrige Regelungslücke vorliegt, kann dahinstehen. Der zu beurteilende Sachverhalt ist nach der Entscheidung des BGH jedenfalls mit dem gesetzlich geregelten Sachverhalt nicht hinreichend vergleichbar3. Eine Analogie wäre nur dann zulässig, wenn der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, so ähnlich wäre, dass angenommen werden könnte, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen4. Dies ist jedoch nicht der Fall.

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Die Mitgliedschaft in einer Wohnungsgenossenschaft steht in einem engen Zusammenhang mit der dauerhaften Nutzung einer genossenschaftlichen Wohnung durch das Mitglied. Der Beitritt zur Genossenschaft, verbunden mit dem Erwerb eines oder mehrerer Geschäftsanteile, ist regelmäßig Voraussetzung für die erstrebte Nutzung der von der Genossenschaft angebotenen Leistungen. In diesem Sinne sind die Mitglieder ihrer Genossenschaft in einer Doppelfunktion verbunden, als Kapitalgeber und als Nutzer bzw. Kunde, wobei die Kundenbeziehung in aller Regel die vorrangige ist und die Kapitalbeteiligung nur sekundär als Mittel zum Zweck der Schaffung der Grundlagen für die Kundenbeziehung erfolgt5. Aufgrund dieses Zusammenhangs kann das Ausscheiden eines Mitglieds aus der Wohnungsgenossenschaft auch zur Beendigung des Nutzungsverhältnisses an der genossenschaftlichen Wohnung führen. Denn der Zweck einer Wohnungsgenossenschaft ist es, ihren Mitgliedern Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Scheidet ein Mitglied aus der Genossenschaft aus und haben andere Genossen einen Bedarf an der Wohnung des ausgeschiedenen Genossen, ist die Genossenschaft regelmäßig aufgrund ihres Statuts gehalten, das Nutzungsverhältnis mit dem ausgeschiedenen Genossen aufzulösen und die Wohnung einem Mitglied zu überlassen. Der Bundesgerichtshof6 hat deshalb ein berechtigtes Interesse der Genossenschaft an einer Kündigung des Nutzungsverhältnisses gemäß § 564b Abs. 1 BGB a.F. (§ 573 Abs. 1 BGB n.F.) bejaht, wenn ein Mitglied gemäß § 68 GenG aus der Genossenschaft ausgeschlossen wird oder gemäß § 65 Abs. 1 GenG freiwillig austritt und die von ihm genutzte Wohnung für ein anderes Mitglied benötigt wird. Ob dies auch für den Fall der Kündigung der Mitgliedschaft durch einen Gläubiger des Schuldners nach § 66 GenG gilt, hat der Bundesgerichtshof offen gelassen. Zwingend ist die Annahme eines Kündigungsrechts der Genossenschaft in einem solchen Fall nicht. Erst recht gilt dies, wenn nicht ein Einzelgläubiger, sondern der Treuhänder die Mitgliedschaft des Schuldners in der Genossenschaft analog § 66 GenG kündigt. Die Umstände des Einzelfalles, etwa ein vom Schuldner mit dem Ziel der Restschuldbefreiung selbst gestellter Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens und eine Bereitschaft des Schuldners, sich nach Beendigung des Insolvenzverfahrens nach Kräften um eine Wiedererlangung der Mitgliedschaft zu bemühen, können bei der Prüfung eines berechtigten Interesses der Genossenschaft an der Kündigung, jedenfalls aber im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Interessen im Falle eines Fortsetzungsverlangens des aus-geschiedenen Mitglieds nach § 574 Abs. 1 BGB berücksichtigt werden.

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Der somit nicht zwangsläufige, aber immerhin drohende Verlust der Wohnung kann das Ziel des Verbraucherinsolvenzverfahrens, dem Schuldner durch Erlangung der Restschuldbefreiung einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen, gefährden. Dieser Gefahr ist der Gesetzgeber für Mietwohnungen mit der Neuregelung in § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO im Jahr 2001 entgegen getre-ten7. Zwischen der Situation, in der sich ein Mitglied einer Wohnungsgenossenschaft in einer Zahlungskrise befindet, und der entsprechenden Situation eines „gewöhnlichen“ Wohnungsmieters besteht jedoch ein entscheidender Unterschied. Gegenüber beiden können Gläubiger vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Pfändung und Überweisung des künftigen Anspruchs auf Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens bzw. der Mietkaution nach §§ 829, 835 ZPO erwirken. Während dem Gläubiger eines Genossenschaftsmitglieds aber die Befugnis offen steht, nach § 66 GenG unter den dort genannten Voraussetzungen das Kündigungsrecht des Mitglieds an dessen Stelle auszuüben und so die Voraussetzung für eine Auszahlung des gepfändeten Anspruchs auf Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens herbeizuführen8, hat der Gläubiger eines Mieters diese Möglichkeit nicht. Zugriff auf die Mietkaution hat er erst, wenn das Mietverhältnis ohne sein Zutun endet. Die Vorschrift des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO gewährleistet diesen Schutz des Mieters auch im Insolvenzverfahren, indem er eine Kündigung des Mietverhältnisses durch den Insolvenzverwalter ausschließt. Gewährte man dem Mitglied einer Wohnungsgenossenschaft im Insolvenzverfahren einen entsprechenden Schutz, führte dies zu einer Gleichstellung mit dem Mieter, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht bestand.

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Hinzu kommt, so der BGH, dass Wohnungsgenossenschaften ihren Mitgliedern das Recht einräumen können, mehr Geschäftsanteile zu erwerben, als nötig ist, um eine genossenschaftliche Wohnung nutzen zu dürfen (§ 7a GenG). Als Einzahlungen auf den Geschäftsanteil können auch Sacheinlagen, wie zum Beispiel Grundstücke, zugelassen werden (§ 7a Abs. 3 GenG). Wäre eine Kündigung der Mitgliedschaft durch den Insolvenzverwalter in einem solchen Fall in entsprechender Anwendung des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO ausgeschlossen, wären den Gläubigern auch Vermögenswerte des Schuldners entzogen, die für den Erhalt seiner Wohnung nicht erforderlich sind. Dies wäre vom Schutzzweck dieser Norm nicht mehr gedeckt.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 19. März 2009 – IX ZR 58/08

  1. Fandrich in Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, GenG 3. Aufl. § 65 Rn. 7; Bauer, Genossenschaftshandbuch § 65 GenG Rn. 3; Lang/Weidmüller/Schulte, GenG 36. Aufl. § 65 Rn. 8; Beuthien, GenG 14. Aufl. § 65 Rn. 7; Müller, GenG 2. Aufl. § 65 Rn. 11; BerlinerKomm-GenG/Kessler, § 65 Rn. 3; Emmert ZInsO 2005, 852, 854; Tetzlaff ZInsO 2007, 590, 591 f[]
  2. Für eine analoge Anwendung haben sich ausgesprochen: AG Dortmund InVo 2007, 155 (bestätigt durch LG Dortmund, Beschl. v. 22. Juli 2007 – 1 S 18/07, juris); LG Dresden ZVI 2008, 493; LG Frankfurt/Oder (Urteil vom 3. Juni 2008 – 6a S 175/07, n.v.); Eupen GE 2008, 310, 312. Gegen eine Analogie haben sich gewandt: Emmert aaO S. 855; Tetzlaff aaO S. 591; MünchKomm-Inso/ E-ckert, 2. Aufl. § 109 Rn. 51; derselbe in ZVI 2006, 133, 136; zweifelnd Flatow, jurisPR-Mietrecht 14/2008 Anm. 4; differenzierend Tintelnot in Kübler/ Prütting/Bork, InsO § 109 Rn. 23; unentschieden HmbKomm-InsO/Lüdtke, 2. Aufl. § 35 Rn. 158 und HK-InsO/Marotzke, 5. Aufl. § 109 Rn. 8.[]
  3. vgl. zu diesen Voraussetzungen einer Analogie etwa BGH, Beschl. v. 14. Juni 2007 – V ZB 102/06, NJW 2007, 3124, 3125, Rn. 11 m.w.N.[]
  4. BGH aaO[]
  5. Fandrich aaO § 1 Rn. 4[]
  6. BGH, Urteil vom 10. September 2003 – VIII ZR 22/03, NJW-RR 2004, 12[]
  7. vgl. BT-Drucks. 14/5680, S. 27 zu Nr. 11[]
  8. dagegen – zu Unrecht – AG Halle, Urteil vom 19. Februar 2009 – 93 C 2749/08, zitiert nach juris[]
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