Ein innerhalb der Schonfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB erfolgter Ausgleich des Mietrückstands beziehungsweise eine entsprechende Verpflichtung einer öffentlichen Stelle hat lediglich Folgen für die auf § 543 Abs. 1, 2 Satz 1 Nr. 3 BGB gestützte fristlose, nicht jedoch für eine aufgrund desselben Mietrückstands hilfsweise auf § 573 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB gestützte ordentliche Kündigung1.

Diese (beschränkte) Wirkung des Nachholrechts des Mieters entspricht dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers, sodass der an Gesetz und Recht gebundene Richter (Art.20 Abs. 3 GG) diese Entscheidung nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen darf, die so im Gesetzgebungsverfahren (bisher) nicht erreichbar war2.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts Berlin3 sind die auf die ausgebliebenen Mietzahlungen des Mieters gestützten ordentlichen Kündigungen nicht infolge der Schonfristzahlung (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB) unwirksam geworden. Eine solche Zahlung hat (lediglich) Folgen für die fristlose Kündigung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB); eine auf den zum Kündigungszeitpunkt bestehenden Mietrückstand zugleich gestützte ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, deren Voraussetzungen im Übrigen vorliegend müssen, bleibt von der Schonfristzahlung unberührt. Die entsprechende Regelung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB ist hierauf nicht unmittelbar und (wovon wohl auch das Landgericht Berlin ausgeht) auch nicht analog anwendbar.
Die seitens des Landgerichts Berlin zur Begründung seiner gegenteiligen Ansicht herangezogenen Gesichtspunkte sind identisch mit denjenigen in dessen Urteil vom 30.03.20204. Dieses hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 13.10.20215 nach Erlass des Berufungsurteils aufgehoben, sodass im vorliegenden Fall zur näheren Begründung auf diese Ausführungen umfassend Bezug genommen wird.
Dem dortigen6 sowie dem hiesigen Verfahren liegen jeweils Fallgestaltungen zu Grunde, in denen der Mieter nicht aufgrund einer Zahlungsunfähigkeit, sondern unter Berufung auf Mängel der Mietsache die Miete nicht in der geschuldeten Höhe entrichtet hat, so dass insbesondere die Voraussetzungen für ein (rechtzeitiges) Einschreiten der Sozialbehörden nicht vorliegen7.
Das Landgericht Berlin hat in einer nach Erlass des vorgenannten BGH, Urteils verkündeten Entscheidung8 weiterhin an seiner gegenteiligen Ansicht zur Wirkung einer Schonfristzahlung festgehalten. Die darin enthaltenen, im Wesentlichen wiederholenden Ausführungen des Landgerichts Berlin geben dem Bundesgerichtshof keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung.
Lediglich soweit sich das Landgericht Berlin9 mit der historischen Beurteilung des Normverständnisses des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB, insbesondere mit der jüngeren Gesetzgebungsgeschichte befasst10, sieht der Bundesgerichtshof Anlass zu ergänzenden Ausführungen. Das Landgericht Berlin weist diesbezüglich zwar im rechtlichen Ausgangspunkt noch zutreffend darauf hin, dass anerkanntermaßen ein Schweigen des Gesetzgebers zur bisherigen Rechtsprechung der Zivilgerichte nicht ohne Weiteres als ausreichender objektiver Anhaltspunkt für einen Bestätigungswillen angesehen werden kann11.
Das Landgericht Berlin verkennt jedoch, dass der Bundesgerichtshof zur Beurteilung des Willens des Gesetzgebers nicht auf dessen bloßes Schweigen im Rahmen jüngerer Gesetzgebungsvorhaben abgestellt hat. Denn der Gesetzgeber hat die derzeitige Normanwendungspraxis des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB nach der langjährigen und ständigen Bundesgerichtshofsrechtsprechung, welcher die weit überwiegende Zahl der Instanzgerichte12 sowie die ganz herrschende Meinung in der Literatur folgt13, nicht lediglich (passiv) unbeanstandet gelassen.
Er hat vielmehr Gesetzesvorhaben, welche der Norm einen weitergehenden Anwendungsbereich geben und zu einer Erstreckung der Schonfristzahlung auf die ordentliche Kündigung führen sollten, nicht weiter verfolgt14 sowie mehrfach Gesetzesanträge mit diesem Inhalt ausdrücklich abgelehnt15. Diese Umstände sprechen im Ergebnis eindeutig dafür, dass der Gesetzgeber das aufgezeigte Normverständnis als weiterhin geltende Rechtspraxis ansieht16 und ungeachtet etwaiger Gründe hierfür17 an diesem Rechtszustand (jedenfalls derzeit) noch keine Änderungen vornehmen möchte.
Dieses Verhalten des Gesetzgebers in der jüngeren Vergangenheit entspricht dessen durchgehend gleichbleibendem historischen Verständnis zu einem lediglich eingeschränkten Anwendungsbereich der Regelung zur Schonfristzahlung18, so dass die Rechtsprechung an diese mehrfach zum Ausdruck gebrachte gesetzgeberische Entscheidung gebunden ist (Art.20 Abs. 3 GG)19.
Zugleich weist der Bundesgerichtshof darauf hin, dass die fristgerechte Schonfristzahlung nichts daran ändert, dass nach § 574 Abs. 1 Satz 2 BGB ein Fortsetzungsanspruch bei Vorliegen eines zur fristlosen Kündigung berechtigenden Zahlungsverzugs nicht besteht20.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 5. Oktober 2022 – VIII ZR 307/21
- Bestätigung von BGH, Urteil vom 13.10.2021 – VIII ZR 91/20, NZM 2022, 49 Rn. 29 ff. mwN[↩]
- im Anschluss an BVerfGE 69, 315, 372; 82, 6, 12 f.; Bestätigung von BGH, Urteil vom 13.10.2021 – VIII ZR 91/20, NZM 2022, 49 Rn. 87[↩]
- LG Berlin, Urteil vom 20.08.2021 – 66 S 98/20[↩]
- LG Berlin [Zivilkammer 66], WuM 2020, 281[↩]
- BGH, Urteil vom 13.10.2021 – VIII ZR 91/20, NZM 2022, 49 Rn. 29 ff. mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 13.10.2021 – VIII ZR 91/20, aaO Rn. 82[↩]
- vgl. zur diesbezüglichen Pflicht auch im Falle einer Schonfristzahlung LSG NRW, Beschluss vom 13.01.2021 L 7 AS 1874/20 B ER 18[↩]
- LG Berlin, Urteil vom 01.07.2022 66 S 200/21[↩]
- LG Berlin, Urteil vom 01.07.2022 66 S 200/21, aaO Rn. 57 ff.[↩]
- vgl. hierzu im Einzelnen BGH, Urteil vom 13.10.2021 – VIII ZR 91/20, NZM 2022, 49 Rn. 84 ff.[↩]
- vgl. BVerfGE 78, 20, 25; BVerfG, NJW 1998, 3557, 3558; siehe auch BGH, Beschluss vom 15.07.2016 GSSt 1/16, BGHSt 61, 221 Rn. 48 [zu § 252 StPO][↩]
- vgl. etwa KG, Urteil vom 24.07.2008 8 U 26/0819; LG Berlin, Urteil vom 27.03.2019 65 S 223/18 27 ff.; LG Kassel, WuM 2018, 435, 436; LG Berlin, Urteil vom 23.03.2010 – 63 S 432/09 5[↩]
- vgl. etwa Staudinger/Rolfs, BGB, Neubearb.2021, § 573 Rn. 51; Staudinger/V. Emmerich, BGB, Neubearb.2021, § 569 Rn. 80; BeckOGK-BGB/Geib, Stand: 1.07.2022, § 573 Rn. 47; BeckOGK-BGB/Mehle, Stand: 1.04.2022, § 543 Rn. 231; BeckOK-BGB/Wiederhold, Stand: 1.08.2022, § 543 Rn. 46; BeckOK-BGB/Wöstmann, Stand: 1.08.2022, § 569 Rn. 18; BeckOK-BGB/Hannappel, Stand: 1.08.2022, § 573 Rn. 29; BeckOK-Mietrecht/Siegmund, Stand: 1.08.2022, § 573 BGB Rn. 23; Schmidt-Futterer/Streyl, Mietrecht, 15. Aufl., § 569 BGB Rn. 74, 93; Blank/Börstinghaus in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Aufl., § 573 BGB Rn. 37; Grüneberg/Weidenkaff, BGB, 81. Aufl., § 569 Rn. 16; aA Blank/Börstinghaus in Blank/Börstinghaus, Miete, 6. Aufl., § 569 Rn. 75; MünchKomm-BGB/Häublein, 8. Aufl., § 573 Rn. 70 ff. [jeweils für eine analoge Anwendung von § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB][↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 13.10.2021 – VIII ZR 91/20, aaO Rn. 85 f.[↩]
- vgl. hierzu BGH, Urteil vom 13.10.2021 – VIII ZR 91/20, aaO Rn. 86; vgl. auch BT-Plenarprotokoll 19/236, S. 30739, zur Ablehnung des Gesetzentwurfs BT-Drs.19/20589[↩]
- vgl. auch den Koalitionsvertrag der derzeitigen Bundesregierung [Seite 92], wonach zur Beseitigung der Ursachen drohender Wohnungslosigkeit die Regierung „insbesondere dort wo Schonfristzahlungen dem Weiterführen des Mietverhältnisses entgegenstehen, evaluieren und entgegensteuern“ will[↩]
- vgl. dazu LG Berlin, Urteil vom 01.07.2022 66 S 200/21, aaO Rn. 65[↩]
- vgl. hierzu im Einzelnen BGH, Urteil vom 13.10.2021 – VIII ZR 91/20, aaO Rn. 64 ff.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 13.10.2021 – VIII ZR 91/20, aaO Rn. 87; so auch Blank/Börstinghaus in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Aufl., § 573 Rn. 37; Artz, Wortprotokoll der 118. Sitzung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz am 9.12.2020, Protokoll-Nr.19/118, S. 9[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 01.07.2020 – VIII ZR 323/18, NJW-RR 2020, 956 Rn. 28 ff.[↩]