Lebensversicherung und Prozesskostenhilfe

Die Prozesspartei hat eine Kapital-Lebensversicherung grundsätzlich vor Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe für die Prozesskosten einzusetzen. Hierfür kommt auch eine – teilweise – Verwertung durch Beleihung in Betracht. Der Prozesskostenhilfe-Antragsteller hat die Umstände dafür darzulegen, dass der Einsatz der Lebensversicherung ausnahmsweise unzumutbar ist.

Lebensversicherung und Prozesskostenhilfe

Die Frage, ob, in welcher Form und inwieweit eine Lebensversicherung als Vermögen im Sinne von § 115 Abs. 3 ZPO für die Kosten der Prozessführung einzusetzen ist, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.

Teilweise wird vertreten, dass der Hilfsbedürftige generell nicht auf die Kündigung bzw. den Verkauf einer Lebensversicherung und die Verwendung des Rückkaufswerts für die Prozesskosten verwiesen werden darf1. In Betracht komme in diesen Fällen jedoch gegebenenfalls eine Beleihung der Versicherungspolice.

Nach anderer Auffassung ist eine Lebensversicherung unabhängig davon, ob sie der Altersversorgung dienen soll, zur Deckung der Prozesskosten einzusetzen. Dies könne entweder im Wege der Beleihung oder durch die Realisierung des Rückkaufswerts geschehen2.

Nach einer weiteren Auffassung ist die Frage, ob der Einsatz einer Lebensversicherung unzumutbar ist und eine Härte im Sinne von § 115 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 90 Abs. 3 SGB XII darstellt, jeweils anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls zu beantworten3.

Der Bundesgerichtshof hat sich nun in einer aktuellen Entscheidung der letztgenannten Auffassung angeschlossen:

Die beiden erstgenannten Meinungen widersprechen, so der BGH, sowohl dem Gesetzeswortlaut als auch Sinn und Zweck der Regelungen. Abgesehen von bereits nach § 115 Abs. 3 Satz 2 ZPO i.V.m. § 90 Abs. 2 Nr. 2 SGB XII geschütztem Kapital und seiner Erträge („Riester-Rente“) ist eine Lebensversicherung grundsätzlich für die Prozesskosten zu verwerten, soweit ihr durch Kündigung, Verkauf oder Beleihung erzielbarer Wert das Schonvermögen nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b der Verordnung zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII übersteigt.

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Der generelle Ausschluss der Verwertung von Lebensversicherungen wird schon solchen Fällen nicht gerecht, in denen bereits eine anderweitige angemessene Altersvorsorge vorhanden ist.

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur unterhaltsrechtlichen Berücksichtigung von Beiträgen zur Altersvorsorge4 findet im Prozesskostenhilferecht keine Anwendung5, so dass auch daraus gebildetes Kapital einzusetzen ist. Denn die Verpflichtung zur Unterhaltsleistung und die Pflicht zur Vermögensverwertung im Rahmen der Prozesskostenhilfe sind nicht vergleichbar. Der Unterhalt ist als privatrechtliches Schuldverhältnis wesentlich verschieden von der Prozesskostenhilfe die eine Form der Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege darstellt6. Daher ist bei der Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe entsprechend der gesetzlichen Anordnung in § 115 Abs. 3 ZPO von den – strengeren – sozialrechtlichen Maßstäben des § 90 SGB XII auszugehen. Der Bedürftige hat zunächst alle verfügbaren eigenen Mittel einzusetzen, bevor ihm staatliche Hilfe auf Kosten der Allgemeinheit bewilligt werden kann7.

Überdies entspricht es durchaus der gesetzgeberischen Wertung, dass Lebensversicherungen auch dann als Vermögensbestandteil für die Prozesskosten herangezogen werden können, wenn deren Beiträge nach Maßgabe des § 115 Abs. 1 Satz 3 ZPO i.V.m. § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII vom Einkommen abziehbar sind. Der Gesetzgeber hat diese Fallgruppen gesehen und in engen Grenzen im Rahmen des § 90 Abs. 2 Nr. 2 SGB XII geregelt. Die Aufzählung in § 90 Abs. 2 SGB XII ist abschließend8. Für die Anwendung des § 90 Abs. 3 SGB XII ist die Herkunft des Vermögens grundsätzlich unerheblich9. Zwar kann in Einzelfällen die Herkunft des Vermögens dieses so prägen, dass seine Verwertung eine Härte darstellen würde10. Dabei handelt es sich jedoch um Fälle, in denen anrechnungsfreies Einkommen, das in der Regel aus öffentlichen Leistungen stammt und einem bestimmten Zweck dienen soll, angespart wurde oder entsprechende Nachzahlungen geleistet wurden. Die eigene Vermögensbildung in Form von Lebensversicherungen ist damit nicht vergleichbar.

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Auch wird im Fall der Beleihung die Altersvorsorge nicht aufgelöst, sondern lediglich verringert und ist dies im Übrigen im Rahmen des § 90 Abs. 3 Satz 2 SGB XII zu berücksichtigen. Mit dieser Vorschrift können atypische Fallkonstellationen im Einzelfall aufgefangen werden11.

Ebenso wenig ist eine pauschale Pflicht zur Verwertung von Lebensversicherungen zu bejahen. Diese Auffassung übersieht, dass im Einzelfall eine Härte vorliegen kann, die es erforderlich macht, dem Hilfebedürftigen unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten seine Versicherung zu belassen (§ 90 Abs. 3 SGB XII).

Richtig ist demnach, dass der Einsatz einer Kapitallebensversicherung für die Prozesskosten anhand der gesetzlichen Kriterien nach §§ 115 Abs. 3 ZPO, 90 SGB XII zu beurteilen ist, die vom Grundsatz der Einsetzbarkeit des gesamten Vermögens ausgehen und den Schutz einzelner Vermögensbestandteile als Ausnahme besonders regeln. Wenn der einzelne Vermögensgegenstand nicht ausdrücklich vom Einsatz ausgenommen wird, kann sich eine Unverwertbarkeit ergeben, wenn die Verwertung eine Härte darstellen würde (§ 90 Abs. 3 SGB XII).

Ob der Einsatz des Vermögens für die Prozesskosten nach § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO zumutbar ist, ist gemäß § 115 Abs. 3 Satz 2 ZPO in entsprechender Anwendung von § 90 SGB XII zu beurteilen.

§ 90 Abs. 1 SGB XII geht von dem Grundsatz aus, dass das gesamte Vermögen einzusetzen ist. Da die Lebensversicherung nicht zu den nach § 90 Abs. 2 SGB XII geschützten Vermögenswerten zählt, scheidet eine Verwertbarkeit der Lebensversicherung nur aus, soweit der Vermögenseinsatz für den Antragsteller und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde (§ 90 Abs. 3 SGB XII). Die Verwertung der Lebensversicherung kann eine Härte begründen, wenn diese unwirtschaftlich ist oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschweren würde. Die Umstände, die eine Härte begründen sollen, sind vom Antragsteller darzulegen.

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Die Verwertung der Lebensversicherung stellt nicht deswegen eine Härte dar, weil sie unwirtschaftlich wäre. Auf die Frage des Verhältnisses von Rückkaufswert und eingezahlten Beiträgen12 kommt es hier nicht an, weil die Möglichkeit einer Beleihung durch ein sog. Policendarlehen besteht.

Bei einer Beleihung der Versicherungspolice entstehen anders als bei einem Verkauf oder der Kündigung lediglich durch die Verzinsung Verluste, da auch bei unterbleibender Rückzahlung bis zum Ende der Laufzeit nur die beliehene Summe von der Versicherungsleistung in Abzug gebracht wird. Die Zinslast als solche ist grundsätzlich hinzunehmen13. In der Regel ist davon auszugehen, dass die Konditionen, zu denen eine Versicherungspolice beliehen wird, nicht unwirtschaftlich sind.

Etwas anderes gilt allenfalls dann, wenn die Partei die Zinsen nicht aufbringen kann, weil kein im Rahmen der Prozesskostenhilfe einzusetzendes Einkommen zur Verfügung steht14 und die Beleihung die einzig mögliche Form der Verwertung ist15. Anders als bei zur Finanzierung der Prozesskosten aufzustockenden vorhandenen Krediten13, die ersichtlich laufend bedient werden können oder die anderweitig gesichert sind, wird der Antragsteller bei der Beleihung einer Lebensversicherung erstmalig zu einer Zinszahlung verpflichtet. In diesen Fällen ist er jedoch gehalten, die Kosten für die Beleihung ebenfalls der Police zu entnehmen oder sie damit abzusichern. Dass die Versicherungsgesellschaften diese Möglichkeit etwa nicht anbieten und die Police auch nicht bei einem Drittanbieter beliehen werden kann, ist vom Antragsteller darzulegen und auf Anforderung zu belegen.

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Bundesgerichtshof, Beschlüsse vom 9. Juni 2010 – XII ZB 55/08 und XII ZB 120/08

  1. OLG Naumburg OLGR 2007, 43; Zöller/Geimer ZPO 28. Aufl. § 115 Rdn. 59; Bork in Stein/Jonas ZPO 22. Aufl. § 115 Rdn. 131; Groß in Schoreit/Groß Beratungshilfe Prozesskostenhilfe 9. Aufl. § 115 Rdn. 84; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 5. Aufl. Rdn. 327; für kleine Lebensversicherungen auch Zimmermann Prozesskostenhilfe 3. Aufl. Rdn. 149[]
  2. OLG Brandenburg FamRZ 2006, 1045; KG FamRZ 2003, 1394; OLG Braunschweig FamRZ 2006, 135; LSG Sachsen SAR 2008, 52[]
  3. OLG Karlsruhe FamRZ 2005, 1917; OLG Stuttgart FamRZ 2008, 2290; FamRZ 2009, 1850; OLG Köln FamRZ 2004, 382; OLG Frankfurt FamRZ 2006, 135; OLG Zweibrücken FamRZ 2008, 524; Han-seatisches OLG Hamburg FamRZ 2001, 925; OLG Celle FamRZ 2007, 913; OLG Koblenz OLGR 2005, 887; MünchKomm/Motzer ZPO 3. Aufl. § 115 Rdn. 65; Pukall in Saenger Handkommentar ZPO 3. Aufl. § 115 Rdn. 36 u. 40; Völker/Zempel in Prütting/Gehrlein ZPO 2. Aufl. § 115 Rdn. 41; Baum-bach/Lautermann/Albers/Hartmann ZPO 67. Aufl. § 115 Rdn. 60; so auch BSG VersR 2010, 233 Tz. 20 zum Begriff der Härte in § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 2. Alternative SGB II[]
  4. vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 27.05.2009 – XII ZR 111/07, FamRZ 2009, 1207 m.w.N.[]
  5. entgegen OLG Celle FamRZ 2007, 913; und OLG Stuttgart FamRZ 2006, 1850; siehe aber auch OLG Celle NJW-RR 2009, 1520; und OLG Nürnberg FamRZ 2006, 1284[]
  6. vgl. BGH, Beschluss vom 26.01.2005 – XII ZB 234/03, FamRZ 2005, 605, 606[]
  7. OLG Stuttgart FamRZ 2008, 2290[]
  8. Schellhorn/Schellhorn/Hohm SGB XII 17. Aufl. § 90 Rdn. 27[]
  9. Schellhorn/Schellhorn/Hohm SGB XII 17. Aufl. § 90 Rdn. 77; Zeitler in Mergler/Zink SGB XII Stand: Januar 2005 § 90 Rdn. 76[]
  10. vgl. z.B. BSG FEVS 59, 441 „Blindengeld“; BVerwG NJW 1998, 397 „Erziehungsgeld“; BVerwGE 45, 135 „Grundrentennachzahlung“[]
  11. Grube/Wahrendorf SGB XII 2. Aufl. § 90 Rdn. 41; zur Bedeutung der angemessenen Alterssicherung für die unterschiedlichen Formen der Sozialhilfe vgl. auch BVerwG NJW 2004, 3647, 3648 zu § 88 BSHG[]
  12. vgl. dazu BVerwG NJW 2004, 3647, 3648 zu § 88 BSHG[]
  13. vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 15.11.1989 – IVb ZR 70/89, FamRZ 1990, 389[][]
  14. vgl. OLG Bamberg FamRZ 1998, 247; Völker/Zempel in Prütting/Gehrlein ZPO § 115 Rdn. 41[]
  15. Liceni-Kierstein FPR 2009, 397 m.w.N.[]
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