Leistung an den Insolvenzschuldner

Ist nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Erfüllung einer Verbindlichkeit an den Schuldner geleistet worden, obwohl die Verbindlichkeit zur Insolvenzmasse zu erfüllen war, so wird der Leistende nicht befreit, wenn er zu einer Zeit, als er den Leistungserfolg noch zu verhindern vermochte, von der Verfahrenseröffnung Kenntnis erlangt hat. Dies entschied jetzt der Bundesgerichtshof im Rahmen eines Streits über die Erfüllungswirkung einer Scheckzahlung.

Leistung an den Insolvenzschuldner

Empfangszuständigkeit des Insolvenzverwalters

Mit Eröffnung des Insolvenzverfahren geht nach § 80 Abs. 1 InsO die Empfangszuständigkeit für alle Leistungen, welche auf die zur Insolvenzmasse gehörenden Forderungen erbracht werden, auf den Insolvenzverwalter über1. Die Parteien haben nicht vorgetragen, dass die Scheckzahlung der Beklagten als eine nach dem Versicherungsvertrag zulässige Leistung an Erfüllungs statt gemäß § 364 Abs. 1 BGB erbracht worden ist. Deshalb konnte die Beklagte den Scheck mangels Einigung mit dem Kläger nur erfüllungshalber hingeben und ihre Deckungspflicht erst erfüllen, wenn der Scheck ordnungsgemäß eingelöst wurde2. Entsprechend § 270 Abs. 1 BGB trug die Beklagte Gefahr und Kosten der Scheckübermittlung an den Gläubiger3. Diese Übermittlung an den Kläger ist im Streitfall nur insoweit gescheitert, als der Scheck in die Hände eines Organwalters der nicht mehr empfangszuständigen Insolvenzschuldnerin gelangt und von diesem nicht an den Kläger weitergeleitet, sondern eingelöst worden ist.

§ 82 InsO schützt nur bei Unkenntnis von der Eröffnung

Ob die Beklagte aufgrund der Einlösung durch die Insolvenzschuldnerin von ihrer Verpflichtung aus dem Versicherungsvertrag freigeworden ist oder von dem Kläger auf nochmalige Leistung in Anspruch genommen werden kann, beurteilt sich nach § 82 Satz 1 InsO, nicht nach dem allgemeinen Gefahrtragungsgrundsatz des § 270 Abs. 1 BGB, wie die Revisionserwiderung meint. Nach § 82 Satz 1 InsO wird der Leistende befreit, wenn er zur Zeit der Leistung an den Insolvenzschuldner die Eröffnung des Verfahrens nicht kannte.

Weiterlesen:
Der Streit um die Zugehörigkeit zur Insolvenzmasse

Den Gläubiger trifft, so der BGH, die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sie die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gekannt hat, weil sie ihre Leistungshandlung – Übersendung des Schecks – nach der öffentlichen Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung vorgenommen hat4. Maßgeblich für den Übergang der Beweislast ist der Zeitpunkt, an dem die Bekanntmachung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO als bewirkt gilt5. Die öffentliche Bekanntmachung ist durch die Veröffentlichung im Internet erfolgt. Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat von der durch § 9 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 InsO in der bis zum 30. Juni 2007 geltenden Fassung in Verbindung mit § 1 Satz 1 der Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet vom 12. Februar 20026 eingeräumten Möglichkeit zu einer entsprechenden Veröffentlichung Gebrauch gemacht. Nach Ziffer I. 3. der Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums Mecklenburg-Vorpommern vom 2. September 20037 erfolgten ab dem 1. Januar 2004 die öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren ausschließlich im Internet. Auf die von § 30 Abs. 1 Satz 2 InsO in der bis zum 30. Juni 2007 geltenden Fassung daneben vorgeschriebene und hier erst am 23. Februar 2005 erfolgte Veröffentlichung im Bundesanzeiger kommt es für den Zeitpunkt der öffentlichen Bekanntmachung gemäß § 9 Abs. 3 InsO nicht an8. Die öffentliche Bekanntmachung ist demzufolge durch Internetveröffentlichung mit Ablauf des 14. Februar 2005 (Montag) bewirkt worden (§ 9 Abs. 1 Satz 3, § 4 InsO, § 222 Abs. 2 ZPO).

Der maßgebliche Zeitpunkt

Der Leistende wird in seinem Vertrauen auf die Empfangszuständigkeit eines Gläubigers nach § 82 InsO nur geschützt, wenn ihm die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen solange unbekannt geblieben ist, wie er den Leistungserfolg noch zu verhindern vermag9. Die hiervon abweichende Ansicht, die den Zeitpunkt der Leistungshandlung für maßgeblich hält10 und sich hierfür auf den mit § 407 BGB übereinstimmenden Schutzzweck beruft, berücksichtigt die Unterschiede zwischen § 407 BGB und § 82 Satz 1 InsO nicht hinreichend.

Weiterlesen:
Prozesskostenhilfe für den Insolvenzverwalter trotz Massekostenarmut

Der Vorschrift des § 407 BGB kann nicht das allgemeine Prinzip entnommen werden, dass der Schuldner stets geschützt werden soll, wenn er sich im Zeitpunkt seiner letzten Leistungshandlung in Unkenntnis der wirklichen Rechtslage befunden hat11. Der maßgebliche Zeitpunkt ist vielmehr für jede dem Schuldnerschutz dienende Vorschrift aus ihrem Normzweck abzuleiten. § 407 BGB liegt die Vorstellung zugrunde, dass der Schuldner, ohne dessen Zutun die Abtretung erfolgt ist, in seiner Rechtsstellung möglichst nicht beeinträchtigt werden soll12. Er soll vor den Nachteilen der Abtretung geschützt werden; ihn sollen aber keine zusätzlichen Verpflichtungen treffen13.

Bei § 407 BGB und § 82 Satz 1 InsO sind die Risikolagen und die Schutzzwecke verschieden.

In den Fällen des § 407 BGB gibt die Kenntnis des Schuldners, die seinen Leistungsschutz begrenzt, dem Individualinteresse eines Zessionars Vorrang, der die wirksame Leistung an den Zedenten vorher zwar gemäß § 816 Abs. 2 BGB von diesem herausverlangen kann, dem aber die Gefahr einer anspruchsvereitelnden Verfügung des Zedenten im ordentlichen Geschäftsverkehr, eines Vollstreckungszugriffs von Gläubigern des Zedenten und das Risiko von dessen Insolvenz droht. Vergleichbare Gefahren drohen dem Insolvenzverwalter nicht. Anders als nach der Konkursordnung fällt auch die Leistung des Drittschuldners an den Insolvenzschuldner gemäß § 35 Abs. 1 InsO in die Masse. Trotz seiner Fehlleitung unterliegt der Leistungsgegenstand nicht der Zwangsvollstreckung durch den Neugläubiger des Insolvenzschuldners (§ 89 Abs. 1 InsO). Dritte können daran keine Rechte erwerben (§ 91 Abs. 1 InsO). Die Risikolage, welcher § 82 InsO Rechnung tragen will und der in den Fällen des § 407 BGB nichts Entsprechendes gegenüber steht, liegt darin, dass dem Insolvenzverwalter der nach § 80 Abs. 1 InsO seiner Verfügungsmacht unterstehenden Leistungsgegenstand von einem ungetreuen Insolvenzschuldner vorenthalten wird. So soll es auch im Streitfall gewesen sein.

Weiterlesen:
Insolvenzfreigabe und Vollstreckungsverbot

Der durch § 82 Satz 1 InsO den Drittschuldnern aus Billigkeitsgründen eingeräumte Gutglaubensschutz gewährt deshalb nicht wie § 407 BGB ein Mindestmaß an Sicherheit; er stellt sich vielmehr als eine besondere Vergünstigung dar14 und dient zugleich dem öffentlichen Interesse an einem effektiven Insolvenzverfahren. Diesem Regelungsziel entspricht es, dem Leistenden weitergehende Obliegenheiten als nach § 407 BGB aufzuerlegen und darauf abzustellen, ob der Drittschuldner seine Leistung noch zurückrufen und so dem Risiko eines treuwidrigen Verfahrensschuldners vorbeugen kann15.

Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die gesetzliche Wertung für den Fall, dass ein gutgläubiger Schuldner nicht an den wirklichen Erben, sondern an den Erbscheinserben als Gläubiger geleistet hat. Abweichend von § 407 Abs. 1 BGB ist für die Kenntnis des Schuldners von der Unrichtigkeit des Erbscheins bei Leistung an den Erbscheinserben (§§ 2367, 2366 BGB) der Zeitpunkt entscheidend, an dem sich der Leistungserfolg vollendet16. Dort gelangt der Leistungsgegenstand kraft dinglicher Surrogation in Rechtsanalogie zu § 718 Abs. 2, § 1418 Abs. 2 Nr. 3, § 1473 Abs. 1, § 1638 Abs. 2, §§ 2041, 2111 Abs. 1 BGB unmittelbar in den Nachlass. Der Erbscheinserbe ist dem wirklichen Erben als Erbschaftsbesitzer nach § 2018 BGB zur Herausgabe verpflichtet. Die Zwangsvollstreckung von Gläubigern des Erbschaftsbesitzers in Nachlasssurrogate kann vom wirklichen Erben nach § 771 ZPO abgewehrt werden17. Zusätzlich wird der wirkliche Erbe durch § 2019 Abs. 1 BGB geschützt. Auch hier ist demzufolge die Gefahr im Falle einer Fehlleitung der Leistung wesentlich geringer als das Gläubigerrisiko von Zessionar oder Schuldner, die gegen den Zedenten nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung vorgehen müssen. Das Hauptrisiko liegt ähnlich wie bei § 82 InsO in einem unredlichen Empfänger, dort dem Insolvenzschuldner, hier dem Erbscheinserben. Die Folgerung ist hier wie in den Fällen des § 82 InsO, dass das geringere Regressrisiko des leistenden Schuldners es rechtfertigt, von ihm auch Bemühungen zur Verhinderung des Leistungserfolges zu erwarten und den Schutz der Unkenntnis von der fehlenden Empfangszuständigkeit des Scheingläubigers nur dann zu gewähren, wenn sie bis zur Unabwendbarkeit des Leistungserfolges andauert. Für die abweichende Ansicht spricht entgegen der Auffassung der Revision auch nicht entscheidend die in § 81 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 892 Abs. 2 BGB getroffene Regelung, weil sie darauf beruht, dass der Erwerber auf den Gang des Grundbuchverfahrens kei-nen Einfluss hat11. Diese Regel ist bei § 82 InsO ebenso wenig anwendbar wie bei den §§ 2366, 2367 BGB18.

Weiterlesen:
Prozesskostenhilfe für den Insolvenzverwalter - und die zahlungsunwilligen Gläubiger

Danach konnte die Beklagte nur dann von der Verpflichtung zur erneuten Leistung frei werden, wenn sie zu dem Zeitpunkt, bis zu dem sie die Einlösung des Schecks noch durch dessen Sperrung verhindern konnte, keine Kenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hatte.

Reaktionszeit für den Gläubiger

Jede am Rechtsverkehr teilnehmende Organisation muss im Rahmen des ihr Zumutbaren sicherstellen, dass die ihr ordnungsgemäß zugehenden, rechtserheblichen Informationen unverzüglich an die entscheidenden Personen weitergeleitet und von diesen zur Kenntnis genommen werden19. Dabei beschränkt sich diese Rechtsprechung, so der BGH im vorliegenden Urteil ausdrücklich, nicht auf den Bankenbereich20. Ob sich die Organisation, wenn es an einem darartigen internen Informationssystem fehlt, das Wissen einzelner Mitarbeiter, die nicht zu den Entscheidungsträgern gehören, etwa bei der Posteingangsstelle beschäftigt sind, unmittelbar zurechnen lassen muss21, mag dahinstehen. Jedenfalls müssen sich die Entscheidungsträger so behandeln lassen, als hätten sie das Wissen gehabt, wenn die Zeit verstrichen ist, die bei Bestehen eines effizienten internen Informationssystems benötigt worden wäre, um ihnen die Kenntnis zu verschaffen. Diese Zeitspanne ist angesichts des Standes der modernen Büro- und Kommunikationstechnik als gering zu veranschlagen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 16. Juli 2009 – IX ZR 118/08

  1. Jaeger/Windel, InsO § 82 Rn. 2; MünchKomm-InsO/Ott/Vuia, 2. Aufl. § 82 Rn. 3; HK-InsO/Kayser, 5. Aufl. § 82 Rn. 6[]
  2. vgl. BGHZ 44, 178, 179 f; 131, 66, 74[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2000 – VIII ZR 99/99, ZIP 2000, 1719, 1721 unter II. 2. d[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005 – IX ZR 227/04, ZIP 2006, 138, 140 Rn. 12[]
  5. HK-InsO/Kayser, aaO § 82 Rn. 20[]
  6. BGBl. I, S. 677[]
  7. III 150/1518 – 42 SH/5, AmtsBl. M-V 2003, 931[]
  8. vgl. Keller ZIP 2003, 149, 153[]
  9. Jaeger/Windel, aaO § 82 Rn. 48; HK-InsO/Kayser, aaO § 82 Rn. 16; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 82 Rn. 11; Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 82 Rn. 23; FK-InsO/App, 5. Aufl. § 82 Rn. 9; HmbKomm-InsO/Kuleisa, 2. Aufl. § 82 Rn. 27; Braun/Kroth, InsO 3. Aufl. § 82 Rn. 10; Nerlich/Römermann/Wittkowski, InsO § 82 Rn. 18; Smid, InsO 2. Aufl. § 82 Rn. 9; Graf-Schlicker/Scherer, InsO § 82 Rn. 5; Hess, Insolvenzrecht § 82 InsO Rn. 14; Häsemeyer, Insolvenzrecht 4. Aufl. Rn. 10.15 Fußn. 57; ebenso zum früheren Recht Jaeger/Henckel, KO 9. Aufl. § 8 Rn. 59[]
  10. MünchKomm-InsO/Ott/Vuia, aaO Rn. 13; zum früheren Recht ebenso Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze 17. Aufl. § 8 KO Anm. 2[]
  11. Jaeger/Windel, aaO[][]
  12. BGHZ 105, 358, 360; BGH, Urteil vom 18. März 2004 – IX ZR 177/03, WM 2004, 981, 984 f[]
  13. BGHZ 105, 358, 360 f[]
  14. so schon BGHZ 140, 54, 58 f zu § 8 Abs. 2 und 3 KO[]
  15. vgl. Jaeger/Windel, aaO; HK-InsO/Kayser, aaO[]
  16. Staudinger/ Schilken, BGB Neubearbeitung 2004, § 2366 Rn. 8; MünchKomm-BGB/Mayer, 4. Aufl. § 2366 Rn. 17; Siegmann/Höger in Bamberger/Roth, BGB 2. Aufl. § 2366 Rn. 14; Erman/Schlüter, BGB 12. Aufl. § 2366 Rn. 4; Palandt/Edenhofer, BGB 68. Aufl. § 2366 Rn. 3[]
  17. MünchKomm-BGB/Helms, 4. Aufl. § 2019 Rn. 1 a.E.[]
  18. vgl. hierzu BGH, Urteil vom 12. Oktober 1970 – III ZR 254/68, WM 1971, 54; ferner BGHZ 57, 341, 343[]
  19. BGHZ 140, 54, 62; BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005, – IX ZR 227/04, ZIP 2006, 138, 140 Rn. 13[]
  20. vgl. BGHZ 140, 54[]
  21. vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005, aaO[]
Weiterlesen:
Steuerschulden und der Eintrag in der Insolvenztabelle