Den Führer eines KFZ, welches aufgrund seiner Bauart oder seiner Ladung beim Abbiegen nach links in den rechts daneben befindlichen Fahrstreifen ausschwenkt, trifft gegenüber den diesen Fahrstreifen benutzenden Verkehrsteilnehmern eine erhöhte Sorgfaltspflicht. Er muss sich vergewissern, dass er durch das Abbiegen keinen Verkehrsteilnehmer auf dem benachbarten Fahrstreifen gefährdet oder schädigt.

Gemäß § 9 Abs. 1 S. 4 StVO muss der Abbiegende vor dem Einordnen und nochmals vor dem Abbiegen auf den nachfolgenden Verkehr achten. Die zweite Rückschau muss nach links und rechts erfolgen. Der Beklagte Ziff. 1 hätte mit dem Abbiegevorgang erst beginnen dürfen, nachdem er sich über seinen rechten Außenspiegel die Gewissheit verschafft hatte, dass sich auf dem rechten Fahrstreifen kein Fahrzeug befindet, das gefährdet werden könnte 1.
§ 2 Abs. 2 StVO schützt nur den Verkehr in Längsrichtung, also den überholenden Verkehr und den Gegenverkehr, nicht kreuzende Fahrzeuge und Ein- und Abbieger 2. Der Schutzzweck des Rechtsfahrgebots erstreckt sich nicht auf den Linksabbieger. Stößt dieser mit einem Verkehrsteilnehmer des Gegenverkehrs zusammen, dann hat sich nicht die Gefahr verwirklicht, zu deren Abwehr das Rechtsfahrgebot bestimmt ist 3.
Hier hat das Beklagtenfahrzeug nicht den klägerischen LKW überholt, sondern ist nach links abgebogen. Aufgrund seiner Bauweise ist dieses auf die Fahrbahn des Klägerfahrzeugs geraten und mit diesem kollidiert.
§ 2 Abs. 2 StVO schützt nach Ansicht des Oberlandesgerichts Stuttgart auch nicht den parallel fahrenden und dann links abbiegenden Verkehrsteilnehmer. In der Regel kommt es in solchen Konstellationen nicht zu einem Unfall, da "normale" Fahrzeuge nicht nach rechts ausschwenken. Dem Beklagten Ziff. 1 als Berufskraftfahrer war dieses besondere Risiko des Ausschwenkens des Aufliegers bekannt.
Ein Verstoß gegen § 6 StVO lässt sich nicht feststellen. Bei den erwiesenermaßen beengten Verhältnissen durch jedenfalls für LKW schmale Fahrspuren lässt sich ein großer Seitenabstand gar nicht einhalten. Eine absolute Entfernung, die nicht unterschritten werden darf, ist in § 6 StVO nicht geregelt.
Hätte der Fahrer des links abbiegenden Sattelzugs einen Blick in den rechten Außenspiegel geworfen, hätte der streitgegenständliche Unfall vermieden werden können. Der Fahrer des anderen Fahrzeugs dagegen hätte nach den getroffenen Feststellungen den Unfall nur dann vermeiden können, wenn er als "Idealfahrer" davon abgesehen hätte, überhaupt neben den Sattelschlepper zu fahren aufgrund der theoretischen Möglichkeit, dass dieser ohne entsprechende Rückschau abbiegen würde.
Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 4. Juni 2014 – 3 U 15/14
- vgl. KG Berlin, Beschluss vom 20.07.2009 – 12 U 192/08[↩]
- Hentschel/König/Dauer, a.a.O., Rz 33[↩]
- BGH, Urteil vom 19.05.1981 – VI ZR 8/80[↩]