Bei sogenannten „Schockschäden“ stellt – wie im Falle einer unmittelbaren Beeinträchtigung – eine psychische Störung von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB dar, auch wenn sie beim Geschädigten mittelbar durch die Verletzung eines Rechtsgutes bei einem Dritten verursacht wurde. Ist die psychische Beeinträchtigung pathologisch fassbar, hat sie also Krankheitswert, ist für die Bejahung einer Gesundheitsverletzung nicht erforderlich, dass die Störung über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene bei der Verletzung eines Rechtsgutes eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind1.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nimmt ein klagender Vater den Missbrauchstäter auf immateriellen Schadensersatz wegen Verursachung einer psychischen Erkrankung in Anspruch, dessen Tochter im Alter von fünf und sechs Jahren von dem Missbrauchtstäter sexuell missbraucht wurde. Der Täter wurde durch Urteil des Landgerichts Lüneburg unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs der Tochter in zehn Fällen rechtskräftig verurteilt. Der Vater behauptet, er habe eine tiefgreifende reaktive depressive Verstimmung erlitten und diese bei einer Psychologin mittels einer Hypnosetherapie behandeln lassen, nachdem er von den gegen den Täter gerichteten Vorwürfen Kenntnis erlangt habe. Während der Dauer der Ermittlungen und des gerichtlichen Verfahrens sei er vom 09.06.2015 bis zum 5.08.2016 arbeitsunfähig gewesen. Er sei in dieser Zeit gedanklich nur mit dem Geschehen um seine Tochter beschäftigt und deshalb in seiner Konzentrations- und Antriebsfähigkeit ganz erheblich eingeschränkt gewesen. Eine Stabilisierung seiner psychischen Verfassung habe sich erst mit Abschluss des Verfahrens langsam einstellen können. Die erlittene Beeinträchtigung, die auf der Kenntniserlangung der Taten des Täters zum Nachteil der Tochter des Vaters beruht habe, gehe nach Art und Schwere deutlich über das hinaus, was Angehörige in derartigen Fällen erfahrungsgemäß als Beeinträchtigung erlitten.
Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Lüneburg hat nach Einholung eines schriftlichen psychiatrischen Sachverständigengutachtens und Anhörung des Sachverständigen sowie persönlicher Anhörung des Vaters den Täter zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 4.000 € nebst Zinsen sowie Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen2. Die Berufung des Täters ist vor dem Oberlandesgericht Celle erfolglos geblieben3. Auf die Revision des Missbrauchstäters hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil des Oberlandesgerichts Celle wegen Fehlern bei der Bemessung des Schmerzensgeldes aufgehoben und das Verfahren zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht Celle zurückverwiesen:
Im Ergebnis zutreffend hat das Oberlandesgericht Celle allerdings angenommen, dass ein Schmerzensgeldanspruch des Vaters gegen den Täter nach § 823 Abs. 1, § 253 Abs. 2 BGB dem Grunde nach besteht.
Eine Gesundheitsverletzung des Vaters im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB liegt nach den vom Oberlandesgericht Celle getroffenen Feststellungen in Form einer psychischen Störung vor.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können psychische Störungen von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellen4. Dieser Grundsatz hat nach der bisherigen Bundesgerichtshofsrechtsprechung, die auch das Oberlandesgericht Celle seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, im Bereich der sogenannten „Schockschäden“ allerdings eine gewisse Einschränkung erfahren. Danach begründen seelische Erschütterungen wie Trauer oder seelischer Schmerz, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines Angehörigen erfahrungsgemäß ausgesetzt sind, auch dann nicht ohne weiteres eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB, wenn sie von Störungen der physiologischen Abläufe begleitet werden und für die körperliche Befindlichkeit medizinisch relevant sind. Psychische Beeinträchtigungen sollen in diesen Fällen nur dann als Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB angesehen werden, wenn sie pathologisch fassbar sind und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind5.
An dieser einschränkenden Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Gesundheitsverletzung, die in der Literatur verbreitet auf Kritik gestoßen ist6, hält der Bundesgerichtshof nicht länger fest. Bei sogenannten „Schockschäden“ stellt – wie im Falle einer unmittelbaren Beeinträchtigung – eine psychische Störung von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB dar, auch wenn sie beim Geschädigten mittelbar durch die Verletzung eines Rechtsgutes bei einem Dritten verursacht wurde. Ist die psychische Beeinträchtigung pathologisch fassbar, hat sie also Krankheitswert, ist für die Bejahung einer Gesundheitsverletzung nicht erforderlich, dass die Störung über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene bei der Verletzung eines Rechtsgutes eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind.
Der Bundesgerichtshof hält diese Änderung im Sinne einer konsequenten Gleichstellung von physischen und psychischen Beeinträchtigungen im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB für geboten. Soweit der Bundesgerichtshof zur Begründung seiner bisherigen Rechtsprechung die in den §§ 844, 845 BGB zum Ausdruck kommende Wertung herangezogen hat, wonach Beeinträchtigungen, die allein auf die Verletzung eines Rechtsguts bei einem Dritten zurückzuführen sind, mit Ausnahme der in diesen Vorschriften genannten Fälle ersatzlos bleiben7, steht diese Wertung einer Gleichbehandlung von physischen und psychischen Beeinträchtigungen nicht entgegen. In den Fällen sogenannter „Schockschäden“ ist Grundlage der Haftung nicht die Verletzung eines Rechtsguts bei einem Dritten, sondern eine eigene – psychische – Gesundheitsverletzung des Anspruchstellers.
Zudem sieht der Bundesgerichtshof die Gefahr, dass der nach der bisherigen Bundesgerichtshofsrechtsprechung bei der Prüfung des Vorliegens einer Gesundheitsverletzung in Form eines „Schockschadens“ anzustellende Vergleich zwischen der Beeinträchtigung des Anspruchstellers und der zu erwartenden Reaktion von Angehörigen in vergleichbarer Lage zu unbilligen Ergebnissen führen kann. Dies wird exemplarisch deutlich, wenn als Auslöser des „Schockschadens“ eine vorsätzliche Straftat in Rede steht. Es wäre schon für sich genommen unbillig, etwa im Falle einer besonders schwerwiegenden Straftat, die bei nahen Angehörigen des Opfers mittelbar eindeutig pathologische psychische Beeinträchtigungen (etwa schwere Depressionen) verursacht hat, diese deshalb nicht als tatbestandsmäßige Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anzusehen, weil sie im Regelfall als Reaktion auf vergleichbare Straftaten zu erwarten sind. Darüber hinaus würde es zu Wertungswidersprüchen führen, in derartigen Fällen eine Gesundheitsverletzung zu verneinen, diese aber umgekehrt bei mittelbarer Verursachung einer psychischen Beeinträchtigung von Krankheitswert durch eine geringfügige Straftat deshalb zu bejahen, weil sie bei Angehörigen in vergleichbarer Lage regelmäßig nicht auftritt.
Dem der bisherigen Bundesgerichtshofsrechtsprechung zugrundeliegenden und berechtigten Anliegen, die Haftung für lediglich mittelbar verursachte psychische Beeinträchtigungen – insbesondere bei lediglich fahrlässiger Herbeiführung – nicht ins Uferlose auszuweiten, kann bei sorgfältiger Prüfung der haftungsbegründenden Merkmale des § 823 Abs. 1 BGB in anderer Weise als durch einschränkende Voraussetzungen hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Gesundheitsverletzung Rechnung getragen werden. So ist etwa im Blick zu behalten, dass eine Haftung für psychische Beeinträchtigungen, die als Primärschaden geltend gemacht werden, nur in Betracht kommt, wenn die Beeinträchtigung selbst Krankheitswert besitzt und insoweit das strenge Beweismaß des § 286 ZPO gilt, das die volle Überzeugung des Tatrichters erfordert8. Auch bedarf der Zurechnungszusammenhang gerade in Fällen psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen einer gesonderten Prüfung.
Im Übrigen kann im Einzelfall bei geringfügigen Verletzungen des Körpers oder der Gesundheit ohne wesentliche Beeinträchtigung der Lebensführung und ohne Dauerfolgen ein Schmerzensgeld gegebenenfalls versagt werden, wenn es sich nur um vorübergehende, im Alltagsleben typische und häufig auch aus anderen Gründen als einem besonderen Schadensfall entstehende Beeinträchtigungen des Körpers oder des seelischen Wohlbefindens handelt. Damit sind Beeinträchtigungen gemeint, die sowohl von der Intensität als auch der Art der Verletzung her nur ganz geringfügig sind und üblicherweise den Verletzten nicht nachhaltig beeindrucken, weil er schon aufgrund des Zusammenlebens mit anderen Menschen daran gewöhnt ist, vergleichbaren Störungen seiner Befindlichkeit ausgesetzt zu sein9.
Nach diesen Grundsätzen ist die der Beweiswürdigung des Landgerichts folgende Feststellung des Oberlandesgerichts Celle, wonach der Vater eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB in Form einer Anpassungsstörung nach ICD10 F43.2 erlitten hat, frei von Rechtsfehlern. Entgegen der Ansicht der Revision ist nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht Celle keinen konkreten Anhaltspunkt für Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen des Landgerichts im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hinsichtlich des Vorliegens einer Anpassungsstörung darin gesehen hat, dass das Landgericht seine Beurteilung – sachverständig beraten – auf die subjektiven Angaben des Vaters gestützt hat. Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO) ist das Gericht nicht gehindert, im Rahmen der Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme seine Überzeugungsbildung auf eine Parteierklärung zu stützen, auch wenn sie außerhalb einer förmlichen Parteivernehmung erfolgt ist10. Von Rechts wegen ist auch nichts dagegen zu erinnern, dass das Oberlandesgericht Celle – gestützt auf die medizinische Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen – in der festgestellten Anpassungsstörung mit Ausbildung einer depressiven Symptomatik, Angst und Besorgnis, Einschränkungen bei der Bewältigung der alltäglichen Routinen und verbunden mit einem Rückzug von Sozialkontakten, eine pathologisch fassbare psychische Beeinträchtigung des Vaters von Krankheitswert gesehen hat. Ob, wie das Berufungsgericht mit dem Landgericht weiter angenommen hat, diese Anpassungsstörung einen gegenüber „üblichen“ Fällen verlängerten Zeitverlauf hatte, ist nach den dargelegten Maßstäben für die Feststellung der Primärverletzung unerheblich und lediglich für die nach § 287 ZPO durchzuführende Ermittlung des Umfangs des verursachten Schadens von Bedeutung.
Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts hinsichtlich seiner Feststellung, dass für die psychische Störung des Vaters der Missbrauch seiner Tochter durch den Täter kausal war.
Die Würdigung der Beweise ist grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden ist. Dieses kann lediglich nachprüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt11.
Einen solchen Fehler zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere schließt der Umstand, dass die vom Vater beklagten Beeinträchtigungen nicht bereits unmittelbar nach dem ersten Bericht seiner Tochter im Sommer 2013 zu sexuell übergriffigem Verhalten des Täters, sondern erst während des gegen den Täter eingeleiteten Strafverfahrens zwischen Juni 2015 und August 2016 aufgetreten sein sollen, die Annahme, diese Beeinträchtigungen seien eine Folge der Straftaten des Täters, nicht von vornherein aus.
Die Angriffe der Revision gegen die Beurteilung des haftungsrechtlichen Zurechnungszusammenhangs durch das Oberlandesgericht Celle greifen ebenfalls nicht durch.
Allerdings bedarf der Zurechnungszusammenhang gerade in Fällen psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen einer gesonderten Prüfung12. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der verletzten Norm begrenzt wird. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die Tatfolgen, für die Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist. Hierfür muss die Norm den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart bezwecken; die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. der geltend gemachte Schaden müssen also auch nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen. Daran fehlt es in der Regel, wenn sich eine Gefahr realisiert hat, die dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem Risikobereich des Geschädigten zuzurechnen ist. Der Schädiger kann nicht für solche Verletzungen oder Schäden haftbar gemacht werden, die der Betroffene in seinem Leben auch sonst üblicherweise zu gewärtigen hat. Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten13.
Verneint wurde der Zurechnungszusammenhang bei psychischen Beeinträchtigungen vor diesem Hintergrund etwa dann, wenn der Geschädigte das schadensauslösende Ereignis in neurotischem Streben nach Versorgung und Sicherheit lediglich zum Anlass nimmt, den Schwierigkeiten und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen14, ebenso im Fall der psychischen Gesundheitsverletzung einer Mutter aufgrund der Nachricht über eine schwere Erbkrankheit des Vaters der gemeinsamen Kinder15. Entsprechendes kann gelten, wenn das schädigende Ereignis ganz geringfügig ist (Bagatelle), nicht gerade speziell eine Schadensanlage des Verletzten trifft und die psychische Reaktion deshalb im konkreten Fall schlechterdings nicht mehr verständlich ist, weil sie in grobem Missverhältnis zum Anlass steht16. Grundsätzlich scheitert die Zurechnung psychischer Schäden aber nicht daran, dass der Verletzte infolge körperlicher oder seelischer Dispositionen besonders schadensanfällig ist, weil der Schädiger keinen Anspruch darauf hat, so gestellt zu werden, als habe er einen bis dahin Gesunden verletzt17. Für den auch im Streitfall betroffenen Bereich der sogenannten „Schockschäden“ ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung darüber hinaus anerkannt, dass es an dem für eine Schadensersatzpflicht erforderlichen Schutzzweckzusammenhang fehlt, wenn der Dritte, auf dessen Verletzung die psychischen Beeinträchtigungen des Betroffenen zurückgehen, diesem nicht persönlich nahesteht; auch insoweit verwirklicht sich allein ein – dem Schädiger nicht zurechenbares – allgemeines Lebensrisiko18.
Nach diesen Grundsätzen steht im Streitfall der haftungsrechtlichen Zurechnung der durch die Straftaten des Vaters verursachten psychischen Gesundheitsverletzung des Täters nicht entgegen, dass körperliche oder psychische Verletzungen der Tochter des Vaters als unmittelbar Betroffener aufgrund des sexuellen Missbrauchs bisher nicht festgestellt sind. Ein Ersatz von sogenannten „Schockschäden“ ist nicht von vornherein auf Fälle beschränkt, in denen der Angehörige getötet oder schwer verletzt wurde.
Der Bundesgerichtshof hat allerdings erwogen, ob es aus ähnlichen Erwägungen, die ihn zu Einschränkungen der Ersatzpflicht für „Schockschäden“ unterhalb eines bestimmten Schweregrades veranlasst haben, geboten sein kann, den Anspruch zu versagen, wenn der Geschädigte auf Ereignisse besonders empfindlich und „schockartig“ reagiert, die das objektiv nicht rechtfertigen und die im Allgemeinen ohne nachhaltige und tiefe seelische Erschütterungen toleriert zu werden pflegen19. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.
Zwar wird nicht jede vorsätzliche Straftat zum Nachteil eines nahen Angehörigen ein verständlicher und nachvollziehbarer Anlass für die Entwicklung eines pathologischen psychischen Zustandes sein. Die Konfrontation eines Elternteils mit dem wiederholten sexuellen Missbrauch seines Kindes kann hierzu jedoch auch dann geeignet sein, wenn körperliche oder psychische Verletzungen des Kindes bisher nicht feststellbar sind. Insoweit kann die dem Elternteil vom Täter aufgezwungene psychische Verarbeitung einer erheblichen Gefährdung der ungestörten Entwicklung seines Kindes20 genügen, die entgegen der Ansicht der Revision auch nicht dem allgemeinen Lebensrisiko der Eltern unterfällt. Vielmehr empfinden Eltern typischerweise aufgrund ihrer engen personalen Verbundenheit mit ihren Kindern, zu deren Sorge sie auch von Rechts wegen verpflichtet sind (§ 1626 BGB), einen Integritätsverlust des Kindes als Beeinträchtigung der eigenen Integrität und nicht als „normales“ Lebensrisiko der Teilnahme an den Ereignissen der Umwelt21, zumal dann, wenn die Integritätsverletzung des Kindes auf einer vorsätzlichen Sexualstraftat beruht. Die hier geltend gemachte Gesundheitsverletzung fällt somit auch hinsichtlich ihrer Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht Celle im Streitfall im zehnfachen sexuellen Missbrauch der Tochter des Vaters einen unter Zurechnungsgesichtspunkten hinreichenden Anlass für die vom Vater geltend gemachte Gesundheitsbeeinträchtigung gesehen hat.
Die Ansicht der Revision, Ersatz wegen eines „Schockschadens“ könne nicht verlangt werden, wenn der Anspruchsteller am „Unfallgeschehen“ nicht beteiligt gewesen sei, trifft in dieser Allgemeinheit ebenfalls nicht zu. Auch wenn es der Bundesgerichtshof im Rahmen der Prüfung der Zurechnung psychischer Gesundheitsverletzungen aufgrund eines Unfallereignisses für ein maßgebliches Kriterium gehalten hat, ob der Geschädigte am Unfallgeschehen unmittelbar beteiligt war22, so hat er in Fällen, in denen die unmittelbar verletzte Person ein naher Angehöriger des mittelbar Geschädigten war, auch den Ersatz eines „Fernwirkungsschadens“ – etwa, aber nicht nur aufgrund der Übermittlung der Nachricht des Todes des Angehörigen – für möglich gehalten23. Etwas anderes ergibt sich entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht24 auch nicht aus dem BGH-Urteil vom 27.01.201525. Der Bundesgerichtshof hat in dieser Entscheidung den Umstand, dass der Vater nicht lediglich vom Tod der Ehefrau benachrichtigt worden war, sondern den tödlichen Unfall unmittelbar miterlebt hatte, lediglich als ein Argument gegen die Verneinung eines haftungsbegründenden Gesundheitsschadens angeführt.
Der Gesundheitsschaden ist entgegen der Auffassung der Revision auch nicht deshalb der Sphäre des Vaters und damit nicht dem Täter zuzurechnen, weil beim Vater nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen ein dysfunktionaler Umgang mit Belastungen festzustellen ist. Wie oben ausgeführt, scheitert die Zurechnung psychischer Schäden grundsätzlich nicht daran, dass der Verletzte infolge körperlicher oder seelischer Dispositionen besonders schadensanfällig ist.
Rechtsfehlerhaft sind jedoch die Erwägungen des Oberlandesgerichts Celle zur Höhe des zuerkannten Schmerzensgeldes.
Die Bemessung des Schmerzensgeldes der Höhe nach ist grundsätzlich Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Sie ist vom Revisionsgericht nur darauf zu überprüfen, ob die Festsetzung Rechtsfehler enthält, insbesondere ob das Gericht sich mit allen für die Bemessung des Schmerzensgeldes maßgeblichen Umständen ausreichend auseinandergesetzt und sich um eine angemessene Beziehung der Entschädigung zu Art und Dauer der Verletzung bemüht hat. Die Bemessung des Schmerzensgeldes kann in aller Regel nicht schon deshalb beanstandet werden, weil sie als zu dürftig oder als zu reichlich erscheint; insoweit ist es der Revision verwehrt, ihre Bewertung an die Stelle des Tatrichters zu setzen26.
Auch nach diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab ist die Begründung des Oberlandesgerichts Celle, mit der es den bereits vom Landgericht zugesprochenen Schmerzensgeldbetrag bestätigt hat, zu beanstanden. Denn sie setzt sich – worauf die Revision zu Recht hinweist – nicht mit dem Umstand auseinander, dass der gerichtliche Sachverständige die Gesundheitsbeeinträchtigung des Vaters und gerade deren Verlauf zumindest auch auf dessen psychische Prädisposition zurückgeführt hat. Hierzu bestand aber Veranlassung, da nach der Bundesgerichtshofsrechtsprechung bei der Bemessung des Schmerzensgeldes – anders als bei der haftungsbegründenden Zurechnung – eine bereits vorhandene Schadensanfälligkeit des Geschädigten ein berücksichtigungsfähiger Umstand ist27.
Das Berufungsurteil war daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht Celle zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Rechtsstreit war nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO), weil die Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes dem Tatrichter vorbehalten ist28.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 6. Dezember 2022 – VI ZR 168/21
- insoweit Aufgabe BGH, Urteil vom 21.05.2019 – VI ZR 299/17, BGHZ 222, 125 Rn. 7 mwN[↩]
- LG Lüneburg, Urteil vom 28.07.2020 – 2 O 15719[↩]
- OLG Celle, Urteil vom 12.05.2021 – 5 U 85/20[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 08.12.2020 – VI ZR 19/20, BGHZ 228, 264 Rn. 8; vom 21.05.2019 – VI ZR 299/17, BGHZ 222, 125 Rn. 7; vom 27.01.2015 – VI ZR 548/12, NJW 2015, 1451 Rn. 6; vom 20.05.2014 – VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263 Rn. 8; vom 22.05.2007 – VI ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rn. 12; vom 16.01.2001 – VI ZR 381/99, NJW 2001, 1431, 1432 13; vom 30.04.1996 – VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 344 15; vom 04.04.1989 – VI ZR 97/88, NJW 1989, 2317 f. 9; vom 12.11.1985 – VI ZR 103/84, NJW 1986, 777, 778 9[↩]
- vgl. nur BGH, Urteile vom 21.05.2019 – VI ZR 299/17, BGHZ 222, 125 Rn. 7; vom 10.02.2015 – VI ZR 8/14, NJW 2015, 2246 Rn. 9; vom 27.01.2015 – VI ZR 548/12, NJW 2015, 1451 Rn. 7; ferner BGH, Urteil vom 17.04.2018 – VI ZR 237/17, BGHZ 218, 220 Rn. 10[↩]
- vgl. etwa Wagner in MünchKomm-BGB, 8. Aufl., § 823 Rn. 218; Spickhoff in Soergel, BGB, 13. Aufl., § 823 Rn. 45; Hager in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2017, § 823 Rn. B 33; Bischoff, MDR 2004, 557, 558[↩]
- vgl. etwa BGH, Urteile vom 21.05.2019 – VI ZR 299/17, BGHZ 222, 125 Rn. 7; vom 27.01.2015 – VI ZR 548/12, NJW 2015, 1451 Rn. 7; jeweils mwN[↩]
- vgl. hierzu und zu den weiteren möglichen „Filtern“ der Adäquanz und des Verschuldens: BGH, Urteil vom 08.12.2020 – VI ZR 19/20, BGHZ 228, 264 Rn. 21, 22 und 24 f.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 26.07.2022 – VI ZR 58/21, VersR 2022, 1309 Rn. 27 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 24.06.2003 – VI ZR 327/02, VersR 2003, 1322 9 f. mwN; BGH, Beschluss vom 27.09.2017 – XII ZR 48/17, MDR 2018, 172 Rn. 12 mwN; Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl., § 141 Rn. 1a[↩]
- st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 26.05.2020 – VI ZR 213/19, VersR 2020, 1052 Rn. 27 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 21.05.2019 – VI ZR 299/17, BGHZ 222, 125 Rn. 11; vom 17.04.2018 – VI ZR 237/17, BGHZ 218, 220 Rn. 13; vom 20.05.2014 – VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263 Rn. 9 f.; vom 22.05.2007 – VI ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rn. 13 ff.; Stöhr, NZV 2009, 161, 163[↩]
- vgl. nur BGH, Urteile vom 21.05.2019 – VI ZR 299/17, aaO; vom 17.04.2018 – VI ZR 237/17, aaO; vom 20.05.2014 – VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263 Rn. 10, mwN[↩]
- vgl. nur BGH, Urteile vom 26.07.2022 – VI ZR 58/21, VersR 2022, 1309 Rn. 24; vom 28.05.2019 – VI ZR 27/17, VersR 2019, 1022 Rn. 9; vom 10.02.2015 – VI ZR 8/14, NJW 2015, 2246 Rn. 11; vom 10.07.2012 – VI ZR 127/11, VersR 2012, 1133 Rn. 10; jeweils mwN[↩]
- BGH, Urteil vom 20.05.2014 – VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263 Rn. 9 ff.[↩]
- vgl. etwa BGH, Beschluss vom 10.07.2018 – VI ZR 580/15, aaO; BGH, Urteile vom 10.02.2015 – VI ZR 8/14, aaO; vom 30.04.1996 – VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 346 21; ferner Pauge/Offenloch, Arzthaftungsrecht, 14. Aufl., Rn. 370[↩]
- vgl. nur BGH, Beschluss vom 10.07.2018 – VI ZR 580/15, aaO; BGH, Urteile vom 11.11.1997 – VI ZR 376/96, BGHZ 137, 142, 145 10; vom 30.04.1996 – VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 346 18 f.[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 21.05.2019 – VI ZR 299/17, BGHZ 222, 125 Rn. 12; vom 20.03.2012 – VI ZR 114/11, BGHZ 193, 34 Rn. 8, mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 05.02.1985 – VI ZR 198/83, BGHZ 93, 351, 355 17[↩]
- vgl. zum Schutzgut des § 176 StGB aF: BGH, Urteile vom 16.06.1999 – 2 StR 28/99, BGHSt 45, 131, 132 11; vom 24.09.1991 – 5 StR 364/91, BGHSt 38, 68, 69 10; vom 24.09.1980 – 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336, 340 6; Beschlüsse vom 21.04.2009 – 1 StR 105/09, BGHSt 53, 283, Rn. 6 und 10; vom 21.09.2000 – 3 StR 323/00, NJW 2000, 3726 5; vom 07.10.1997 – 4 StR 389/97, StV 1998, 657 6; jeweils mwN[↩]
- vgl. zu diesem Kriterium: BGH, Urteile vom 20.03.2012 – VI ZR 114/11, BGHZ 193, 34 Rn. 8; vom 14.06.2005 – VI ZR 179/04, BGHZ 163, 209, 220 f. 37[↩]
- vgl. etwa BGH, Urteile vom 08.12.2020 – VI ZR 19/20, BGHZ 228, 264 Rn. 12, 22 mwN; vom 27.01.2015 – VI ZR 548/12, NJW 2015, 1451 Rn. 10 mwN; vom 22.05.2007 – VI ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rn. 14[↩]
- vgl. etwa BGH, Urteile vom 05.02.1985 – VI ZR 198/83, BGHZ 93, 351, 355 17; vom 11.05.1971 – VI ZR 78/70, BGHZ 56, 163 ff. 1 f.; zu dem in diesen Fällen für eine Entschädigung nach dem OEG verzichtbaren Zurechnungskriterium der engen zeitlichen und örtlichen Nähe des Sekundäropfers zum primär schädigenden Ereignis vgl. auch BSG, Urteil vom 12.06.2003 – B 9 VG 1/02R, BSGE 91, 107, 109 f. 15 f.[↩]
- Mäsch, JuS 2015, 747, 749[↩]
- BGH, Urteil vom 27.01.2015 – VI ZR 548/12, NJW 2015, 1451 Rn. 10 f.[↩]
- st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 22.03.2022 – VI ZR 16/21, VersR 2022, 819 Rn. 7; vom 15.02.2022 – VI ZR 937/20, VersR 2022, 712 Rn. 11; jeweils mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 05.11.1996 – VI ZR 275/95, VersR 1997, 122, 123 14 mwN; vom 22.09.1981 – VI ZR 144/79, VersR 1981, 1178, 1180 27; vom 19.12.1969 – VI ZR 111/68, VersR 1970, 281, 284 39[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 15.02.2022 – VI ZR 937/20, VersR 2022, 712 Rn. 29 mwN[↩]
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