Neuerliche Zeugenvernehmung durch das Berufungsgericht

Hegt das Berufungsgericht Zweifel an der Richtigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachenfeststellungen, die sich auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertungen ergeben können, so sind nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erneute Feststellungen geboten.

Neuerliche Zeugenvernehmung durch das Berufungsgericht

Im Zuge dieser erneuten Tatsachenfeststellung muss das Berufungsgericht einen in erster Instanz vernommenen Zeugen gemäß § 398 Abs. 1 ZPO grundsätzlich nochmals vernehmen, wenn es seiner Aussage eine andere Tragweite oder ein anderes Gewicht als das erstinstanzliche Gericht beimessen möchte1.

Unterlässt es dies, so verletzt es den Anspruch der benachteiligten Partei auf rechtliches Gehör2.

Die erneute Vernehmung eines Zeugen darf unterbleiben, wenn sich das Berufungsgericht auf Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen, d. h. seine Glaubwürdigkeit, noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit seiner Aussage, d. h. die Glaubhaftigkeit, betreffen, und es die Zeugenaussage deshalb ohne Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung bewerten kann, weil es keines persönlichen Eindrucks von dem Zeugen bedarf3.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11. Juni 2015 – I ZR 217/14

  1. BGH, Beschluss vom 05.04.2005 – IV ZR 253/05, VersR 2006, 949 Rn. 2; Beschluss vom 14.07.2009 – VIII ZR 3/09, NJW-RR 2009, 1291 Rn. 4[]
  2. vgl. BVerfG, NJW 2005, 1487; BGH, NJW-RR 2009, 1291 Rn. 4; Beschluss vom 21.03.2012 – XII ZR 18/11, NJW-RR 2012, 704 Rn. 6[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 19.06.1991 – VIII ZR 116/90, NJW 1991, 3285, 3286; Urteil vom 10.03.1998 – VI ZR 30/97, NJW 1998, 2222, 2223; NJW-RR 2009, 1291 Rn. 5; NJW-RR 2012, 704 Rn. 7[]
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