Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Berücksichtigung neuen Vorbringens in der Revisionsinstanz in Fällen zulässig, in denen einer der in § 580 Nr. 1 bis 7 Buchst. a ZPO geregelten Restitutionsgründe geltend gemacht wird und, soweit diese auf einer strafbaren Handlung beruhen (§ 580 Nr. 1 bis 5 ZPO), deswegen eine rechtskräftige Verurteilung ergangen ist (§ 581 Abs. 1 ZPO).

Dies beruht auf der Erwägung, dass sich das Revisionsurteil sonst zum Inhalt eines rechtskräftigen Erkenntnisses eines anderen Gerichts in Widerspruch setzen oder doch dieses Erkenntnis unbeachtet lassen würde; diese Folge wäre der Einheitlichkeit und dem Ansehen der Rechtsprechung in hohem Maße abträglich1.
Anderes gilt für den Restitutionsgrund des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO.
Dieser rechtfertigt eine Berücksichtigung neuer Tatsachen im Revisions- beziehungsweise Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nur ausnahmsweise, wenn höhere Belange der Allgemeinheit und der ihr dienenden Rechtspflege dies fordern2. Dies trifft etwa zu, wenn in demselben anhängigen Verfahren ohne Berücksichtigung des neuen Vorbringens noch weitere unrichtige Urteile ergingen, die nur durch eine Restitutionsklage beseitigt werden können3. Wird der Rechtsstreit hingegen durch die Entscheidung des Revisionsgerichts insgesamt beendet, können neue Tatsachen und Beweismittel, die einen Restitutionsgrund nach § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO darstellen, grundsätzlich nicht entgegen § 559 ZPO berücksichtigt werden; der Grund der Prozesswirtschaftlichkeit allein genügt für die Zulassung des neuen Vorbringens nicht4. In diesen Fällen muss die Partei die Restitutionsklage erheben, damit die neuen Tatsachen Berücksichtigung finden können. Somit hängt es von der jeweiligen verfahrensrechtlichen Lage des Rechtsstreits ab, ob das neue Vorbringen zugelassen werden kann5.
An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. § 559 ZPO dient dem Streben nach Rechtssicherheit und Verfahrensbeschleunigung. Die Vorschrift soll vermeiden, dass das Revisionsgericht mit tatsächlichen Würdigungen in der Sache selbst befasst wird, und der Gefahr vorbeugen, dass rechtsmissbräuchlich der Eintritt der Rechtskraft eines Urteils gehemmt oder die Vollstreckung eines Urteils des Berufungsgerichts hinausgezögert wird. Die Prozesswirtschaftlichkeit erfordert im Falle des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO nicht die Berücksichtigung des neuen tatsächlichen Vorbringens im Revisionsverfahren. Gemäß § 584 Abs. 1 ZPO ist die Restitutionsklage, wenn der Rechtsstreit die Revisionsinstanz erreicht hat, nämlich regelmäßig beim Berufungsgericht zu erheben, und dieses wäre im Allgemeinen auch bei einer Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht zur Entscheidung berufen6. Die Verweisung auf den Weg der Restitutionsklage führt deshalb insgesamt nicht zu einer erheblichen Verzögerung. Zudem stünde die Partei, die sich auf den Restitutionsgrund des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO beruft, im Falle einer Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht ungerechtfertigt besser als bei Erhebung einer Restitutionsklage. Denn im Restitutionsverfahren ist die Einführung weiterer neuer, nicht im Zusammenhang mit der nachträglich aufgefundenen Urkunde stehender Tatsachen und Beweismittel regelmäßig ausgeschlossen7. Demgegenüber führte die Zurückverweisung der Sache zur Prüfung der tatsächlichen Voraussetzungen des Restitutionsgrundes an das Berufungsgericht zur erneuten Eröffnung des Berufungsrechtszugs, in dem über den Restitutionsgrund hinaus in den Grenzen des § 531 Abs. 2 ZPO neue Angriffs- und Verteidigungsmittel zulässig sein können.
Demzufolge konnte in dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Rechtsstreit der neue Vortrag der Klägerin in der Revisionsinstanz nicht berücksichtigt werden. Für den Restitutionsgrund nach § 580 Nr. 4 ZPO fehlt es an der hierfür gemäß § 581 Abs. 1 ZPO erforderlichen rechtskräftigen Verurteilung. Der Restitutionsgrund des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO erlaubt nach den vorstehenden Grundsätzen die Berücksichtigung des neuen Vorbringens ebenfalls nicht. Die Gefahr, dass innerhalb desselben Rechtsstreits einander widersprechende Urteile ergehen könnten, wie etwa im Falle von Klage und Widerklage oder im Verhältnis zwischen Grund- und Betragsverfahren, besteht vorliegend nicht. Vielmehr ist der Rechtsstreit mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs insgesamt beendet.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27. August 2020 – III ZR 128/19
- BGH, Urteile vom 09.07.1951 – IV ZR 3/50, BGHZ 3, 65, 67 f; und vom 06.03.1952 – IV ZR 80/51, BGHZ 5, 240, 247; s. auch BGH, Urteil vom 03.04.1952 – III ZR 32/51, BGHZ 5, 299, 301 f; BGH, Urteile vom 23.11.2006 – IX ZR 141/04, NJW-RR 2007, 767 Rn. 14; und vom 10.01.2017 – X ZR 17/13, BGHZ 213, 238 Rn. 15 sowie Beschluss vom 12.05.2016 – V ZB 135/15, NJW 2016, 3789 Rn. 15[↩]
- BGH, Urteil vom 09.03.1959 – III ZR 11/58, VersR 1959, 616, 617; BGH, Urteile vom 29.06.1955 – IV ZR 55/55, BGHZ 18, 59, 60; und vom 18.03.2003 – XI ZR 188/02, NJW 2003, 2088, 2089; Beschlüsse vom 27.04.2010 – XI ZR 154/09, BeckRS 2010, 13123; und vom 13.12.2011 – XI ZR 75/11, BeckRS 2012, 613[↩]
- BGH aaO; BGH, Urteile vom 06.03.1952 aaO S. 249; vom 29.06.1955 aaO; und vom 18.03.2003 aaO; Beschlüsse vom 27.04.2010 aaO; vom 06.10.2011 – IX ZB 148/11, MDR 2011, 1370, 1371; und vom 13.12.2011 aaO[↩]
- BGH, Urteile vom 29.06.1955 aaO; vom 18.03.2003 aaO; und vom 07.05.2007 – VI ZR 233/05, NJW 2007, 3429 Rn. 13; Beschlüsse vom 27.04.2010 aaO; vom 06.10.2011 aaO; und vom 13.12.2011 aaO mwN[↩]
- BGH, Urteil vom 06.03.1952 aaO S. 248; vgl. auch Urteil vom 29.06.1955 aaO[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 29.05.1956 – VI ZR 79/55, ZZP 69 (1956), 438, 439[↩]
- BGH, Urteile vom 12.12.1962 – IV ZR 127/62, BGHZ 38, 333, 335 f, 337; vom 28.10.1971 – IX ZR 79/67, BGHZ 57, 211, 215 f; vom 21.10.2004 – IX ZR 59/04, BGHZ 161, 1, 4 f; und vom 28.02.2007 – XII ZR 95/04, BGHZ 171, 232 Rn. 18 ff[↩]