Nichterscheinen vor Gericht = „Schwanz einziehen“

Es liegt kein objektiver Grund vor, welcher aus Sicht einer verständigen Prozesspartei berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder der Unabhängigkeit eines Richters aufkommen lassen, wenn dieser mit saloppen bis derben Unmutsäußerungen seine Enttäuschung darüber zeigt, dass der Geschäftsführer einer beklagten GmbH trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens nicht zum Verhandlungstermin erschienen ist.

Nichterscheinen vor Gericht = „Schwanz einziehen“

Mit dieser Begründung hat das Oberlandesgericht Stuttgart – wie zuvor bereits das Landgericht Stuttgart1 – ein Ablehnungsgesuch zurückgewiesen: Die Beklagte ist eine GmbH mit Sitz in O, deren Geschäftsanteile je zur Hälfte vom Kläger und dessen Bruder H-M S gehalten werden. Letzterer ist zugleich alleiniger Geschäftsführer der Beklagten. Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass der in der Gesellschafterversammlung vom 19. April 2011 zur Beschlussfassung gestellte Antrag über die Auflösung der Zweigniederlassung P der Beklagten aufgrund des Abstimmungsergebnisses nicht angenommen worden sei. Der abgelehnte Vorsitzende Richter am Landgericht hat das persönliche Erscheinen der Parteien zur Aufklärung des Sachverhalts und für einen Güteversuch zum Termin angeordnet. Nachdem der Geschäftsführer der Beklagten nicht zum Termin erschienen und sein Fernbleiben durch den Beklagtenvertreter mit „dringenden Angelegenheiten“ begründet worden war, äußerte der Vorsitzende Richter im Zusammenhang hiermit, dass H-M S der Ladung des Gerichts hätte Folge leisten und sich der Auseinandersetzung oder Diskussion stellen sollen, statt den „Schwanz einzuziehen“. Während eines zwischen dem Beklagtenvertreter und dem Vorsitzenden Richter am folgenden Tage geführten Telefongesprächs war letzterer nicht bereit, den beanstandeten Ausdruck („Schwanz einziehen“) zu relativieren. Ein Ablehnungsgesuch wies das Landgericht mit Beschluss vom 18. Januar 2011 zurück. Hiergegen hat der Beklagte sofortige Beschwerde eingereicht. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten mit Beschluss vom 27. Februar 2012 dem Oberlandesgericht Stuttgart zur Entscheidung vorgelegt.

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Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist die in dem Ablehnungsgesuch der Beklagten beanstandete Äußerung des abgelehnten Richters nicht geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Hierzu geeignet sind nämlich nur objektive Gründe, welche vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber2. Derartige Gründe liegen hier nicht vor.

Zwar stellt die beanstandete Äußerung („Schwanz einziehen“) eine – wie der abgelehnte Richter in seiner dienstlichen Stellungnahme vom 5. Dezember 2011 selbst einräumt – „saloppe bis derbe Redensart“ dar. Die Äußerung darf jedoch nicht isoliert betrachtet werden; vielmehr kommt es auf den Zusammenhang an, in dem sie gefallen ist3. So ist die Äußerung ersichtlich von der Enttäuschung des abgelehnten Richters darüber geprägt, dass der für eine nach § 278 Abs. 1 ZPO angestrebte wirtschaftliche Gesamtlösung unerlässliche Gesellschafter-Geschäftsführer der Beklagten, dessen persönliches Erscheinen zu dem – immerhin mit dreimonatiger Vorlaufzeit anberaumten – Termin vom 24. November 2011 angeordnet worden war, nicht zum Termin erschienen war.

Dies manifestiert sich nicht zuletzt darin, dass der abgelehnte Richter – ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 24. November 2011 – den Parteien mitgeteilt hat, dass nach seiner Auffassung der hiesige Rechtsstreit nicht die eigentliche Ursache der Auseinandersetzung betreffe. Diese liege vielmehr in dem Streit zwischen den beiden Gesellschaftern über die Trennungsvereinbarung begründet, weswegen es angezeigt sei, eine gütliche Einigung hierüber anzustreben.

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Anders als im Falle der Äußerungen der abgelehnten Richter, welche Gegenstand der von der sofortigen Beschwerde zitierten Entscheidungen waren4, durfte die beklagte Partei des hiesigen Rechtsstreits von ihrem Standpunkt aus nach objektiven Maßstäben die Äußerung des Vorsitzenden Richters am Landgericht nicht dahin verstehen, dass dieser ihr gegenüber negativ eingestellt oder gar zu einer sachlichen Auseinandersetzung mit ihrem Vorbringen nicht gewillt wäre.

Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 29. März 2012 – 14 W 2/12

  1. LG Stuttgart, Beschluss vom 18.01.2012 – 35 O 42/11 KfH[]
  2. vgl. BGH, NJW-RR 2003, 1220, 1221[]
  3. vgl. OLG Hamburg, NJW 1992, 2036[]
  4. BGH, NJW-RR 2007, 776 Rz. 9: „Sie werden sowieso fressen müssen, was ich entscheide. Und dann bleiben sie auf allem sitzen“; OLG Hamburg, NJW 1992, 2036: „Ich habe jetzt keine Zeit, mich mit solchen Kinkerlitzchen aufzuhalten“; Brandenburgisches OLG, MDR 2000, 47: „Jetzt reicht es mir! Halten Sie endlich den Mund! Jetzt rede ich!“; LSG Nordrhein-Westfalen, NJW 2003, 2933: Bezeichnung des Sachvortrags einer Partei als „Unsinn“[]

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