§ 7 Abs. 5 Satz 1 UmwRG findet im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO keine Anwendung.

Nach § 1 Abs. 7 BauGB sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind (Abwägungsmaterial), sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne nach § 2 Abs. 3 BauGB zu ermitteln und zu bewerten. Zu ermitteln, zu bewerten und gegeneinander sowie untereinander gerecht abzuwägen sind alle Belange, die in der konkreten Planungssituation nach Lage der Dinge in die Abwägungsentscheidung eingestellt werden müssen1. Ein Fehler des Abwägungsvorgangs liegt auch vor, wenn der Inhalt des Bebauungsplans nicht von einer darauf gerichteten Abwägungsentscheidung getragen ist2.
So liegt es auch in dem hier vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall der Erweiterung einer Schweinezuchtanlage:
Es besteht eine Divergenz zwischen dem Inhalt des Bebauungsplans und den städtebaulichen Zielen der Gemeinde, wie sie sich aus der Planbegründung ergeben. Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts wollte die Gemeinde nicht lediglich eine Tierhaltungsanlage zulassen, die den immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsanforderungen des § 6 BImSchG genügt. Vielmehr bezog sich der planerische Wille auf bestimmte – teilweise niedrigere – Immissionswerte. Um deren Einhaltung zu gewährleisten, hätten der Tierbestand auf die im Geruchsgutachten zugrunde gelegten Tierplatzzahlen bzw. Großvieheinheiten sowie – kumulativ – die Verwendung der vom Gutachten zugrunde gelegten Abluftreinigungstechnik auf Basis des DLG-Prüfrahmens festgesetzt werden müssen. Daran fehlt es, sodass die Gemeinde einen von dem Plan geschaffenen Immissionskonflikt nicht so gelöst hat, wie sie ihn lösen wollte. Ob sie zu einem Konflikttransfer in das Genehmigungsverfahren berechtigt gewesen wäre, spielt dabei keine Rolle.
Soweit eingewendet wird, bereits die Festlegung der Abluftreinigungsanlagen – deren Standorte im Vorhaben- und Erschließungsplan geregelt seien – stelle sicher, dass sich die Immissionswerte nicht verschlechterten, steht dem die Bindung des Bundesverwaltungsgerichts an die tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts entgegen (§ 137 Abs. 2 VwGO). Danach kommt es nicht nur auf die Abluftreinigung, sondern auch auf die Zahl der Tiere an. Der weitere Einwand, der Bebauungsplan könne so ausgelegt werden, dass er die Tierplatzzahlen und die Abluftreinigungstechnik festsetze, führt ebenfalls nicht zum Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat eine solche Auslegung ausgeschlossen. Das Bundesverwaltungsgericht ist gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 560 ZPO an die Auslegung des nicht revisiblen Ortsrechts durch das Oberverwaltungsgericht gebunden. Gründe, die diese Bindung entfallen ließen, sind nicht vorgetragen oder ersichtlich. Insbesondere hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die Begründung des Bebauungsplans die fehlenden Festsetzungen nicht ersetzen kann3.
Der Mangel im Abwägungsvorgang ist im Sinne von § 214 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB erheblich. Er ist offensichtlich, weil er aus einem Vergleich der Festsetzungen des Plans und dessen Begründung unmittelbar hervorgeht. Es besteht auch die konkrete Möglichkeit, dass die Gemeinde ohne den Mangel Festsetzungen zur Gewährleistung der gewollten Immissionswerte in den Bebauungsplan aufgenommen hätte.
Der Antragsteller hat den Mangel innerhalb eines Jahres seit Bekanntmachung des Beschlusses des Bebauungsplans am 24.05.2017 geltend gemacht, sodass dieser nicht nach § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB unbeachtlich geworden ist. Er hat den Normenkontrollantrag am 24.05.2018 gestellt und ihn am selben Tag der Gemeinde übersandt. In der Antragsbegründung hat er beanstandet, die Begründung des Bebauungsplans sowie die Gutachten legten detaillierte Tierplatzzahlen zugrunde, die der Bebauungsplan nicht festsetze. Darin liegt eine hinreichend substantiierte und konkrete Rüge des Abwägungsmangels4.
Wegen des beachtlichen Abwägungsmangels war der Bebauungsplan für unwirksam zu erklären. Die bloße Feststellung seiner Rechtswidrigkeit scheidet aus.
Nach § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 VwGO erklärt das Oberverwaltungsgericht im Normenkontrollverfahren die (verfahrensgegenständliche) Rechtsvorschrift für unwirksam, wenn es zu der Überzeugung kommt, dass sie unwirksam ist. Das Gesetz in der Fassung des EAG Bau vom 24.06.20045 eröffnet keinen Raum, den Tenor über die Feststellung der Unwirksamkeit hinaus zu ergänzen6. Für die Feststellung genügt die Benennung eines Fehlers, der zur Unwirksamkeit der Rechtsvorschrift führt. Das Normenkontrollgericht muss sich weder dazu verhalten, ob der Fehler in einem ergänzenden Verfahren geheilt werden kann, noch ist es von Rechts wegen verpflichtet, die Rechtsvorschrift auf weitere Rechtsmängel hin zu überprüfen7.
§ 7 Abs. 5 Satz 1 UmwRG lässt diese Grundsätze unberührt. Sie sind auch in Normenkontrollentscheidungen zugrunde zu legen, die Bebauungspläne zum Gegenstand haben, durch welche die Zulässigkeit von bestimmten Vorhaben im Sinne der Anlage 1 zum UVPG begründet werden soll und deren Beschluss daher eine Zulassungsentscheidung im Sinne des § 2 Abs. 6 Nr. 3 UVPG ist (im Folgenden: UVP-pflichtige Bebauungspläne). Denn § 7 Abs. 5 Satz 1 UmwRG findet im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO keine Anwendung. Das sieht das Oberverwaltungsgericht richtig.
Nach § 7 Abs. 5 Satz 1 UmwRG führt eine Verletzung materieller Rechtsvorschriften nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 2b oder 5 UmwRG, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Damit scheint sich der Anwendungsbereich der Norm auf Bebauungspläne zu erstrecken, die – wie der verfahrensgegenständliche8 – UVP-pflichtig sind, sodass auf gegen sie gerichtete Rechtsbehelfe das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG anzuwenden ist. § 7 Abs. 5 Satz 1 UmwRG regelt indes nur solche gerichtliche Verfahren, die zur „Aufhebung“ einer Entscheidung führen können. Diesen Begriff ordnet § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO für den Tenor eines – rechtsgestaltenden – Urteils an, das auf eine Anfechtungsklage ergeht. Eine stattgebende Normenkontrollentscheidung hebt eine Rechtsvorschrift indes nicht auf, sondern stellt deren Unwirksamkeit fest (§ 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Dieser Unterschied ist maßgeblich, weil sich das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz insoweit gefestigter prozessrechtlicher Begriffe bedient9. Hiermit übereinstimmend nennt die Gesetzesbegründung zu § 7 Abs. 5 Satz 1 UmwRG zwar einige von der Norm erfasste Entscheidungen, nicht aber UVP-pflichtige Bebauungspläne10.
Schließlich griffe die Anwendung der Norm erheblich in das System der Normenkontrolle ein. Das Normenkontrollgericht müsste zwischen behebbaren und nicht behebbaren Mängeln unterscheiden und sich bei behebbaren Mängeln darauf beschränken, die Rechtsvorschrift für rechtswidrig und nicht vollziehbar zu erklären. Diese Feststellung setzte voraus, dass die Rechtsfehler auf der Grundlage einer umfassenden rechtlichen Prüfung abschließend benannt werden11. Denn mit Rechtskraft eines feststellenden Urteils oder Beschlusses stände zwischen den Beteiligten zugleich bindend fest, dass die Rechtsvorschrift über die Beanstandung des Gerichts hinaus nicht an weiteren Fehlern leidet12. Eine solche, tiefgreifende Änderung des gerichtlichen Prüfungsmaßstabs setzte einen eindeutigen gesetzgeberischen Willen voraus13. Daran fehlt es.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20. Juni 2023 – 4 CN 11.21
- stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 12.12.1969 – 4 C 105.66, BVerwGE 34, 301 <309> vom 09.04.2008 – 4 CN 1.07, BVerwGE 131, 100 Rn. 18; und vom 05.05.2015 – 4 CN 4.14, Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 136 Rn. 14[↩]
- BVerwG, Urteile vom 05.07.1974 – 4 C 50.72, BVerwGE 45, 309 <315> vom 18.03.2004 – 4 CN 4.03, BVerwGE 120, 239 <245> und vom 22.09.2010 – 4 CN 2.10, BVerwGE 138, 12 Rn. 22[↩]
- BVerwG, Urteil vom 18.03.2004 – 4 CN 4.03, BVerwGE 120, 239 <244>[↩]
- vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.05.2020 – 4 BN 13.20 9 m. w. N.[↩]
- BGBl. I S. 1359[↩]
- BVerwG, Urteile vom 09.06.2010 – 9 CN 1.09, BVerwGE 137, 123 Rn. 29; und vom 16.04.2015 – 4 CN 2.14, BVerwGE 152, 55 Rn. 7[↩]
- BVerwG, Beschluss vom 14.07.2011 – 4 BN 8.11 – BauR 2011, 1790 Rn. 6[↩]
- vgl. Nr. 7.8 und 7.9 der Anlage 1 zum UVPG[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2020 – 4 CN 9.19, Buchholz 406.254 UmwRG Nr. 36 Rn. 12[↩]
- vgl. BT-Drs. 18/9526 S. 44[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 19.12.2019 – 7 C 28.18, BVerwGE 167, 250 Rn. 29 m. w. N.[↩]
- vgl. zu Planfeststellungsbeschlüssen BVerwG, Urteile vom 08.01.2014 – 9 A 4.13, BVerwGE 149, 31 Rn. 8; und vom 24.05.2018 – 4 C 4.17, BVerwGE 162, 114 Rn. 45[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2020 – 4 CN 9.19, Buchholz 406.254 UmwRG Nr. 36 Rn. 14[↩]
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