Notwehr nach Irrtum über Festnahmerecht

Wer sich schuldlos irrtümlich zur vorläufigen Festnahme für berechtigt erachtet, darf sich gegen einen rechtswidrigen Faustschlag des Festgehaltenen mit einem eigenen Faustschlag zur Wehr setzen.

Notwehr nach Irrtum über Festnahmerecht

In der hier vom Oberlandesgericht Hamm entschiedenen Schadensersatzklage hatte der beklagte Mitarbeiter eines Sicherheitsunternehmens im Juni 2013 die Filiale eines Baumarkts in Paderborn zu überwachen. In der Annahme eines Diebstahls von Baumarktmaterialien hielt er den Kläger und einen Begleiter gegen 23.00 Uhr in der Nähe des Baumarkts an, weil diese einen Kanister mit sich führten. In ihrem – was sich nachträglich herausstellte – nicht versicherten; und vom Kläger ohne gültige Fahrerlaubnis geführten Fahrzeug befanden sich mehrere Kunststoffkanister, von denen einer mit Diesel gefüllt war. Weil ihm dies verdächtig erschien, informierte der Beklagte die Polizei, woraufhin der Kläger versuchte, in das Fahrzeug einzusteigen. Dies verhinderte der Beklagte, indem er die Fahrertür zudrückte. Hierauf schlug der Kläger den Beklagten ins Gesicht, worauf der Beklagte mit einem Faustschlag ins Gesicht des Klägers reagierte. Durch diesen Schlag erlitt der Kläger eine Gesichtsschädelfraktur. Vom Beklagten hat der Kläger deswegen Schadensersatz verlangt, u.a. ein Schmerzensgeld von 4.000 €. Der Beklagte hat eine Zahlung abgelehnt, weil er in Notwehr gehandelt habe.

Aufgrund nachträglich gewonnener Erkenntnisse ist der Kläger wegen unerlaubten Führen eines nicht versicherten Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten ohne Bewährung verurteilt worden.

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Die Schadensersatzklage blieb vor dem Oberlandesgericht Hamm ohne Erfolg: Durch den Faustschlag des Beklagten habe der Kläger zwar eine Gesundheitsverletzung erlitten. Dies begründe aber keinen Schadensersatzanspruch des Klägers, weil der Beklagte in Notwehr gehandelt habe.

Dem Beklagten habe zwar kein Recht zur vorläufigen Festnahme gemäß § 127 StPO wegen eines Diebstahls zum Nachteil des Baumarkts zugestanden, weil er noch vor der Auseinandersetzung mit dem Kläger erkannt habe, dass dieser keine Materialien des Baumarkts entwendet hatte. Auch die verkehrsrechtlichen Straftaten des Klägers könnten die Festnahme durch den Beklagten nicht rechtfertigen, weil sie dem Beklagten seinerzeit nicht bekannt gewesen seien.

Ob dem Beklagten demgegenüber bereits ein Festnahmerecht zugestanden habe, weil er nach den äußeren Umständen habe annehmen dürfen, den Kläger beim Diebstahl von Dieselkraftstoff auf frischer Tat betroffen zu haben, müsse nicht entschieden werden. Jedenfalls habe der Beklagte aufgrund der tatsächlichen Umstände schuldlos annehmen dürfen, den Kläger auf frischer Tat bei einem Vermögensdelikt angetroffen zu haben. Dies habe der Kläger auch in dem Moment erfahren, in dem ihm der Beklagte mitgeteilt habe, dass die Polizei informiert sei und gleich eintreffen werde. In dieser Situation habe die Aufklärung eines verdächtig anmutenden Sachverhalts unmittelbar bevorgestanden. Deswegen habe sich der Kläger gegen sein unberechtigtes Festhalten durch den Beklagten nicht mit einem Schlag ins Gesicht des Beklagten verteidigen dürfen. Das sei keine erforderliche Verteidigungshandlung gewesen. Der Kläger habe das Eintreffen der Polizei abwarten können, um Missverständnisse aufzuklären. Dass er sich anders verhalten habe, lasse darauf schließen, dass er das Eintreffen der Polizeibeamten nur deshalb nicht habe abwarten wollen, weil er – zu Recht – befürchtet habe, dass bei der polizeilichen Überprüfung die später zur Verurteilung führenden Straftaten aufgedeckt werden würden. Gegen den damit rechtswidrigen Schlag des Klägers habe sich der Beklagte mit einem Faustschlag ins Gesicht des Klägers verteidigen dürfen und deswegen in Notwehr gehandelt.

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Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 8. Mai 2015 – 9 U 103/14