Der Bundesgerichtshof hatte sich erneut1 mit der Frage der Mutwilligkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung (§ 114 Abs. 2 ZPO) bei Beantragung eines Mahnbescheids zu befassen, wenn der Antragsgegner im Rahmen der Anhörung nach § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO bereits Widerspruch gegen einen etwaigen Mahnbescheid angekündigt hat:

Dabei konnte es der Bundesgerichtshof dahinstehen lassen, ob der beabsichtigten Rechtsverfolgung im Mahnverfahren bereits deshalb die Erfolgsaussicht fehlte, weil mit einem Widerspruch der Antragsgegnerin gegen einen etwaigen Mahnbescheid zu rechnen war. Denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung erwies sich jedenfalls als mutwillig im Sinne des § 114 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO.
Der sachliche Geltungsbereich der §§ 114 ff ZPO erstreckt sich auf alle in der Zivilprozessordnung geregelten Verfahren. Für das Mahnverfahren kann – beschränkt auf dieses Verfahren – Prozesskostenhilfe bewilligt werden2. Dabei gilt die Voraussetzung fehlender Mutwilligkeit auch für den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Mahnverfahren3.
Mutwilligkeit liegt insbesondere vor, wenn eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei bei sachgerechter und vernünftiger Einschätzung der Prozesslage ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde4. Aus der gemäß Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art.20 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsschutzgleichheit folgt, dass die mittellose Partei nur einer solchen „normalen“ Partei gleichgestellt werden muss, die ihre Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt5. Es ist nicht Zweck der Prozesskostenhilfe, auf Kosten der Allgemeinheit bedürftigen Personen Prozesse zu ermöglichen, die eine wirtschaftlich leistungsfähige Partei bei vernünftiger und sachgerechter Einschätzung der Sach- und Rechtslage nicht führen würde6. Das hypothetische Verhalten einer selbstzahlenden Partei, die sich in der Situation des Antragstellers befindet, ist folglich der Maßstab, der bei der Beurteilung der Mutwilligkeit anzulegen ist7.
Danach war die Rechtsverfolgung der Antragstellerin im hier entschiedenen Fall mutwillig. Bei der gegebenen Sach- und Rechtslage würde eine verständige Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, davon absehen, einen Mahnbescheid zu beantragen, auch wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass nach §§ 688 ff ZPO vorliegen sollten. Denn sie kann das mit dem Mahnverfahren verfolgte Ziel, den Erwerb eines schnellen und kostengünstigen Vollstreckungstitels in Gestalt eines Vollstreckungsbescheides, nicht mehr erreichen, nachdem die (Mahn)Antragsgegnerin angekündigt hat, sie werde gegen einen eventuellen Mahnbescheid unverzüglich Widerspruch einlegen. Anhaltspunkte dafür, dass die Stadt Z. als Gegnerin des Mahnantrags von dieser erklärten Absicht noch Abstand nehmen könnte, hat die Beschwerdeführerin nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich. Das Mahnverfahren erscheint damit im Hinblick auf die Erlangung eines Vollstreckungstitels in Gestalt eines Vollstreckungsbescheides aussichtslos. Es ist bereits jetzt absehbar, dass die Beschwerdeführerin, will sie gegen die Antragsgegnerin einen Vollstreckungstitel erwirken, Klage erheben muss.
Die Beschreitung eines prozessualen Weges, hier: des Mahnverfahrens, der erkennbar aussichtslos ist, ist mutwillig i.S.v. § 114 Abs. 2 ZPO8. Eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei, die ihre Prozessaussichten vernünftig abwägt, würde bei sachgerechter und vernünftiger Einschätzung der Verfahrenslage ihre Rechte nicht im Mahn, sondern im Klageverfahren verfolgen. Die Beschwerdeführerin wird daher bei Versagung von Prozesskostenhilfe für das Mahnverfahren im Vergleich zu einer solchen „normalen“ Partei nicht schlechter gestellt.
Die vom Landgericht Coburg9 aufgeworfene Frage, ob Prozesskostenhilfe für ein Mahnverfahren bereits mangels Erfolgsaussicht zu verneinen sei, wenn ein Widerspruch des Antragsgegners absehbar sei, ist nicht entscheidungserheblich, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung im konkreten Fall mutwillig erscheint und Prozesskostenhilfe schon deshalb nicht in Betracht kommt.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 31. August 2017 – III ZB 37/17
- Fortführung von BGH, Beschluss vom 10.08.2017 – III ZA 42/16[↩]
- allg. Meinung; vgl. nur BGH, Beschluss vom 10.08.2017 – III ZA 42/16 [zur Veröffentlichung vorgesehen]; MünchKomm-ZPO/Wache, 5. Aufl.‚ § 114 Rn. 22; Musielak/Voit/Fischer, ZPO, 14. Aufl., § 114 Rn. 8; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 38. Aufl., Vorbem. § 688 Rn. 12; Zöller/Geimer, ZPO, 31. Aufl., § 114 Rn. 2; jew. mwN[↩]
- BGH, Beschluss vom 10.08.2017 – III ZA 42/16 [zur Veröffentlichung vorgesehen]; MünchKomm-ZPO/Wache aaO[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 10.08.2017 – III ZA 42/16 [zur Veröffentlichung vorgesehen]; und vom 21.11.2013 – III ZA 28/13, BeckRS 2013, 22403 Rn. 9; BGH, Beschluss vom 06.07.2010 – VI ZB 31/08, NJW 2010, 3522 Rn. 6; jew. mwN[↩]
- Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts, BT-Drs. 17/11472, S. 29; BVerfG, NJW 1991, 413; NJW 2013, 2013, 2014; BGH, Beschluss vom 10.08.2017 – III ZA 42/16 [zur Veröffentlichung vorgesehen][↩]
- BT-Drs. 17/11472 aaO; Musielak/Voit/Fischer aaO Rn. 30 mwN[↩]
- BT-Drs. 17/11472 aaO[↩]
- zur Mutwilligkeit einer Klage, wenn eine Vollstreckung aus dem erstrebten Titel dauerhaft aussichtslos ist, MünchKomm-ZPO/Wache aaO Rn. 77; BeckOKZPO/Reichling, § 114 Rn. 42 [Stand: 01.03.2017]; jew. mwN[↩]
- LG Coburg, Beschluss vom 19.12.2016 – 33 T 36/16[↩]
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