Gerichtliche Hinweispflichten dienen der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und konkretisieren den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör1. Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Verfahrensbeteiligten, dass sie Gelegenheit erhalten, sich vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zu dem dieser zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern.

Ein Gericht verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG und das Gebot eines fairen Verfahrens, wenn es ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte2.
Die grundrechtliche Gewährleistung des rechtlichen Gehörs vor Gericht schützt auch das Vertrauen der in erster Instanz siegreichen Partei darauf; vom Berufungsgericht rechtzeitig einen Hinweis zu erhalten, wenn dieses in einem entscheidungserheblichen Punkt der Vorinstanz nicht folgen will und aufgrund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Sachvortrags erforderlich sein kann3.
Außer zur Hinweiserteilung ist das Berufungsgericht auch verpflichtet, der betroffenen Partei Gelegenheit zu geben, auf den Hinweis zu reagieren und ihren Tatsachenvortrag zu ergänzen4.
Stellt die durch den Hinweis belastete Partei einen Antrag auf Schriftsatznachlass, hat das Berufungsgericht ihr eine Erklärungsfrist einzuräumen, innerhalb derer sie zu dem Hinweis Stellung nehmen und ihren Vortrag gegebenenfalls ergänzen oder klarstellen kann5.
Das angefochtene Urteil beruht bereits dann auf dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht bei verfahrensfehlerfreiem Vorgehen anders entschieden hätte6.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 5. Februar 2015 – IX ZR 211/13
- BGH, Beschluss vom 23.04.2009 – IX ZR 95/06, ZInsO 2009, 1028 Rn. 5; BVerfGE 84, 188, 189 f[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 15.02.2005 – XI ZR 144/03, BGHReport 2005, 936 mwN; vom 15.03.2006 – IV ZR 32/05, NJW-RR 2006, 937 Rn. 4 mwN; BVerfG, NJW 2003, 2524; BVerfGE 84, 188, 190; 86, 133, 144 f[↩]
- BGH, Beschluss vom 15.03.2006 – IV ZR 32/05, NJW-RR 2006, 937 mwN; vom 26.06.2008 – V ZR 225/07, Rn. 5; vom 23.04.2009 aaO[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 25.05.1993 – XI ZR 141/92, NJW-RR 1994, 566, 567; vom 27.04.1994 – XII ZR 16/93, WM 1994, 1823, 1824; vom 27.11.1996 – VIII ZR 311/95, NJW-RR 1997, 441; Beschluss vom 15.02.2005, aaO; ebenso BVerfG, NJW 2003, 2524[↩]
- Musielak/Stadler, ZPO, 11. Aufl., § 139 Rn.15, 29; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 139 Rn. 14; vgl. BAG, NJW 2006, 2716, 2717 f[↩]
- BGH, Beschluss vom 24.10.2013 – IX ZR 164/11, NJW-RR 2014, 172 Rn. 8 mwN; vom 03.07.2014 – IX ZR 285/13, ZInsO 2014, 1679 Rn. 15[↩]