Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen1. Dies gilt nicht nur für tatsächliches Vorbringen, sondern auch für Rechtsausführungen, denn Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet den Prozessbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern2.

Ein vom Bundesverfassungsgericht festzustellender Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt vor, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen wurde3. Die Gerichte müssen nicht jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich bescheiden. Wenn allerdings ein bestimmter Vortrag der Partei den Kern des Parteivorbringens darstellt und für den Prozessausgang eindeutig von entscheidender Bedeutung ist, besteht für das Gericht eine Pflicht, die vorgebrachten Argumente zu erwägen und zu bescheiden4. Aus Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich dagegen keine Pflicht der Gerichte, der von einer Partei vertretenen Rechtsansicht zu folgen5. Zu einer Aufhebung der angegriffenen Entscheidung führt ein Gehörsverstoß nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schließlich nur, wenn diese auf dem Verstoß beruht6.
Die gerichtliche Entscheidung beruht auf der Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Beachtung des Kernvorbringens der Partei durch das Gericht im Ganzen zu einer anderen, ihr günstigeren Entscheidung geführt hätte7.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 23. März 2023 – 2 BvR 808/21
- vgl. BVerfGE 47, 182 <187>[↩]
- vgl. BVerfGE 60, 175 <210 ff.> 64, 135 <143> 85, 386 <404> 96, 205 <216 f.> Beschluss vom 20.05.2022 – 2 BvR 1982/20, Rn. 39; stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 22, 267 <274> 65, 293 <295> 70, 288 <293> 86, 133 <144 ff.> stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 47, 182 <188 f.> 86, 133 <146> BVerfG, Beschluss vom 17.04.2020 – 1 BvR 2326/19, Rn. 11; Beschluss vom 20.05.2022 – 2 BvR 1982/20, Rn. 41[↩]
- vgl. BVerfGE 64, 1 <12> 80, 269 <286> 87, 1 <33>[↩]
- vgl. BVerfGE 7, 239 <241> 13, 132 <145> 52, 131 <152 f.> 89, 381 <392 f.> stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 7, 239 <241> 18, 147 <150> 28, 17 <19 f.> 62, 392 <396> 89, 381 <392 f.> 112, 185 <206> BVerfGK 15, 116 <119> 19, 377 <383> stRspr[↩]