Rechts blinken – geradeaus weiterfahren I

Das Setzen des rechten Blinkers begründet allein noch kein Vertrauen, dass der Blinkende auch tatsächlich abbiegt. Erforderlich ist darüber hinaus eine erkennbare, deutliche Geschwindigkeitsverringerung des Vorfahrtberechtigten, eine sichtbare Orientierung des Blinkenden nach rechts oder sonstige ausreichende Anzeichen für ein tatsächlich bevorstehendes Abbiegen des Vorfahrtberechtigten.

Rechts blinken – geradeaus weiterfahren I

Regelmäßig überwiegt in solchen Fällen der Haftungsanteil des Wartepflichtigen1, der allein auf das Blinken vertraut (hier 70:30 zu Lasten des Wartepflichtigen).

Das Oberlandesgericht Dresden folgt der in der jüngeren obergerichtlichen Rechtsprechung zum Verkehrsunfallrecht vorherrschenden Auffassung, dass der Wartepflichtige nicht ohne weiteres auf ein Blinken des Vorfahrtberechtigten vertrauen darf. Wie das Oberlandesgericht Saarbrücken in einer jüngeren Entscheidung2 ausgeführt hat, ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen sich der Wartepflichtige auf ein das Abbiegen anzeigendes Blinksignal des Vorfahrberechtigten verlassen kann, nicht einheitlich beantwortet worden.

Während die eine Auffassung darauf abstellt, dass der Wartepflichtige grundsätzlich auf das angekündigte Abbiegen vertrauen darf3, folgt der weit überwiegende Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung der Auffassung, dass der Wartepflichtige nur dann auf ein Abbiegen vertrauen darf, wenn über das bloße Betätigen des Blinkers hinaus in Würdigung der Gesamtumstände, sei es durch eine eindeutige Herabsetzung der Geschwindigkeit oder aber einen zweifelsfreien Beginn des Abbiegemanövers eine zusätzliche tatsächliche Vertrauensgrundlage geschaffen worden ist, die es im Einzelfall rechtfertigt, davon auszugehen, das Vorrecht werde nicht (mehr) ausgeübt4; der Wartepflichtige darf also niemals „blindlings“5 auf das Abbiegen des Blinkenden vertrauen. Auch der Leitsatz der Entscheidung des Berliner Kammergerichts vom 25.09.19896 stellt im Übrigen – einschränkend im Sinne der überwiegenden Auffassung – darauf ab, dass ein Vertrauen des Wartepflichtigen dann begründet ist, wenn der Vorfahrtberechtigte rechts blinkt und sein Fahrzeug am Beginn der Einmündung nach rechts lenkt.

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Das Oberlandesgericht Dresden folgt der Sichtweise der vorherrschenden Auffassung in der Rechtsprechung.

Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 StVO darf der Wartepflichtige nur dann in die Vorfahrtstraße einfahren, wenn er übersehen kann, dass er den, der die Vorfahrt hat, weder gefährdet noch wesentlich behindert. Den Wartepflichtigen trifft insoweit eine gesteigerte Sorgfalt, die bedingt, dass er auch mit einem verkehrswidrigen Verhalten des Vorfahrtberechtigten rechnen muss und somit regelmäßig nur auf das Unterbleiben atypischer, grober Verstöße des Vorfahrtberechtigten vertrauen darf7. Mit dem OLG Saarbrücken7 ist es das Oberlandesgerichtsmitgliedern aus eigener jahrelanger Fahrpraxis wie auch der als Spezialsenat gewonnenen beruflichen Erfahrung mit Verkehrsunfällen bekannt, dass ein Zurückstellen des Blinkers nicht selten aus Unaufmerksamkeit unterbleibt oder fälschlich von einem in Wirklichkeit nicht vorliegenden automatischen Zurücksetzen ausgegangen wird. Das Blinken allein ist zumal angesichts der in solchen Fällen evidenten Gefahrensituation (oftmals hohe Kollisionsgeschwindigkeiten) deshalb allein noch keine ausreichende Grundlage, um auf ein tatsächliches Abbiegen des Vorfahrtberechtigten vertrauen zu können. Ein besonnen und vorausschauend agierender Verkehrsteilnehmer muss sich deshalb anhand weiterer Umstände vergewissern, ob tatsächlich ein Abbiegen bevorsteht.

Die von der Berufung bemängelte „Lebensferne“ einer solchen Sichtweise vermag das Oberlandesgericht nicht nachzuvollziehen. Abgesehen davon, dass ein „dichter Landstraßenverkehr“ regelmäßig einen Widerspruch in sich selbst darstellen dürfte, vermag das Oberlandesgericht auch keine generelle Gefahr zu erkennen, dass Pkw aus Nebenstraßen nicht mehr auf die Hauptstraße gelangen, wenn diese (keineswegs neuen) Rechtsprechungsgrundsätze Anwendung finden. Vielmehr handelt es sich wegen der erheblichen Gefahren bei unzureichender Vergewisserung um eine ausgewogene Verteilung der gegenseitigen Sorgfaltsanforderungen und ein Gebot der Vernunft.

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Für dergestalt ausreichendes Vertrauen begründende weitere Umstände hat der Kläger im vorliegenden Fall nichts Erhebliches vorzutragen vermocht. Dass der Unfallgegner mit einer so geringen Geschwindigkeit gefahren wäre, dass der Schluss auf ein Abbiegemanöver berechtigt gewesen wäre, ist nicht ersichtlich. Die Behauptung einer „langsamen“ oder aber „für Landstraßen geringen“ Geschwindigkeit ist zu pauschal. Dahinstehen kann dabei auch, ob die später konkret genannten „50-60 km/h“ eine prozessual unbeachtliche Behauptung ins Blaue hinein darstellen. Ausreichende Feststellungen zu der gefahrenen Geschwindigkeit sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Jedenfalls offenbaren die in der beigezogenen Strafakte enthaltenen Lichtbilder, dass sich die Kollision nur kurz hinter einem Ortseingang (bzw. -ausgang) ereignet hat. Von daher durfte die Unfallgegnerin hier keinesfalls davon ausgehen, ein – unterstellt – deutlich unter 100 km/h fahrender Pkw werde abbiegen. Angesichts der Nähe zur innerörtlichen Geschwindigkeitsbegrenzung (50 km/h) konnte nämlich nicht schon mit einer erheblich höheren Geschwindigkeit gerechnet werden. Entscheidend ist – wie bereits ausgeführt – regelmäßig nicht die gefahrene Geschwindigkeit, sondern eine für den Wartepflichtigen erkennbare Geschwindigkeitsreduktion, wie etwa ein regelmäßig Abbiegevorgängen vorausgehendes Abbremsen des Vorfahrtberechtigten. Selbst wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, dass angesichts der Straßenführung ein Abbremsen vor dem Abbiegen hier nicht zwingend erforderlich war, folgt daraus nicht – umgekehrt – ein gesteigertes Vertrauen in ein tatsächlich erfolgendes Abbiegen. Es ist auch weder konkret vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass sich der Pkw des doch nicht Abbiegenden deshalb neben dem Blinken sich der Eindruck eines Abbiegens nach rechts hätte verfestigen müssen.

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Der Vorfahrtverstoß wiegt schwerer wiegt als das missverständliche Blinken. Das Oberlandesgericht Dresden verkennt nicht, dass (allerdings stets maßgeblich von den Besonderheiten des Einzelfalls bestimmt) in der obergerichtlichen Rechtsprechung auch andere Haftungsquoten für angemessen erachtet worden sind – so 75:25 zugunsten des Wartepflichtigen8; 50:509; 70:30 zugunsten des Wartepflichtigen10 aber auch Alleinhaftung (!) des Wartepflichtigen11.

Mit dem Oberlandesgericht Hamm12 geht das Oberlandesgericht Dresden für den vorliegenden Einzelfall davon aus, dass der trotz Blinkens nicht Abbiegende durch das missverständliche Blinken in zeitlicher Hinsicht zwar die erste Ursache für die streitgegenständliche Kollision gesetzt hat, der Entschluss, auf die Vorfahrtstraße einzufahren beruhte aber auf der schwerer zu gewichtenden, unzureichenden Vergewisserung des Unfallgegners, ob der Blinkende tatsächlich die bevorrechtigte Straße verlassen würde. Insoweit erscheint dem Oberlandesgericht eine Schadensteilung von 70:30 zu Lasten des wartepflichtigen Fahrers – also nur geringfügig von der Haftungsverteilung des OLG Hamm, 2/3 zu 1/3, abweichend – als sachangemessen13.

Oberlandesgericht Dresden, Beschluss vom 24. April 2014 – 7 U 1501/13

  1. Anschluss an OLG Hamm, Urteil vom 11.03.2003 – 9 U 169/02, NJW-RR 2003, 975 und OLG Saarbrücken, Urteil vom 11.03.2008 – 4 U 228/07, NJW-RR 2008, 1611[]
  2. OLG Saarbrücken, Urteil vom 11.03.2008 – 4 U 228/07, NJW-RR 2008, 1611[]
  3. etwa Hentschel/König/Dauer, StVR, 42. Aufl., § 8 StVO Rn 54 m.w.N.; BGH, Urteil vom 28.05.1974 – 4 StR 37/74, NJW 1974, 1572; OLG Düsseldorf, Urteil vom 16.06.1966 – (1) Ss 150/66 solange nicht konkrete Zweifel an dieser Abbiegeabsicht begründet sind[]
  4. OLG Saarbrücken, a.a.O.; OLG Hamm, Urteil vom 11.03.2003 – 9 U 169/02, NJW-RR 2003, 975; OLG Celle, Urteil vom 22.02.1996 – 5 U 71/95, juris; KG, Urteil vom 13.01.1992 – 12 U 5054/90, juris; OLG Oldenburg, Beschluss vom 25.05.1992 – Ss 130/92, NJW 1993, 149; OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.03.1992 – 1 U 99/91, OLGR 1992, 189; OLG Hamm, Beschl v. 22.03.1991 – 2 Ss OWi 230/91, juris; KG, Urteil vom 29.09.1989 – 12 U 4646/88, juris; OLG Saarbrücken, Urteil vom 02.10.1981 – 3 U 109/80, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 13.11.1980 – 3 Ss OWi 2478/80, juris; ausdrücklich offen gelassen von OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.06.1976 – 12 U 135/75, juris; ebenso jetzt wohl auch: OLG München, Urteil vom 06.09.2013 – 10 U 2336/13, SVR 2014, 10[]
  5. so OLG Koblenz, Urteil vom 03.04.1995 – 12 U 761/94[]
  6. KG, Urteil vom 25.09.1989, a.a.O.[]
  7. OLG Saarbrücken, a.a.O.[][]
  8. OLG Celle, Urteil vom 22.02.1996, a.a.O.[]
  9. OLG Koblenz, Urteil vom 03.04.1995, a.a.O.[]
  10. OLG Saarbrücken, Urteil vom 02.10.1981, a.a.O.[]
  11. KG, Urteil vom 13.01.1992 – 12 U 5054/90[]
  12. OLG Hamm, Urteil vom 11.03.2003, a.a.O.[]
  13. im Ergebnis ebenso: OLG München, Urteil vom 06.09.2013 – 10 U 2336/13, SVR 2014, 105[]
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