Restschuldbefreiung eines Selbständigen

Zur Glaubhaftmachung des fiktiven monatlichen Nettoeinkommens eines abhängig Beschäftigten im Versagungsantrag genügt es, wenn der Gläubiger sich insoweit auf die eigenen Angaben des selbständig tätigen Schuldners stützt. Maßgebend ist ein hypothetisches Einkommen aus einem angemessenen, nicht notwendigerweise der selbständigen Tätigkeit entsprechenden Dienstverhältnis. Der Schuldner ist nicht dadurch entlastet, dass ihn weder das Insolvenzgericht noch der Treuhänder in der Wohlverhaltensphase darauf hingewiesen hat, die an den Treuhänder abgeführten Beträge entsprächen nicht dem Pfändungsbetrag eines vergleichbar abhängig Beschäftigten.

Restschuldbefreiung eines Selbständigen

Einnahmen eines selbständig tätigen Schuldners fallen grundsätzlich nicht unter die Abtretungserklärung des § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO. Daher ist § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO insoweit nicht anzuwenden1. Einnahmen, die der Schuldner aufgrund einer wirtschaftlich selbständigen Tätigkeit erzielt, müssen ihm uneingeschränkt zur Verfügung stehen, damit er seiner Abführungspflicht aus § 295 Abs. 2 InsO gerecht werden kann. Sie können deshalb – ungeachtet der Tatsache, dass auch der selbständig tätige Schuldner seinem Antrag eine Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO beizufügen hat – in aller Regel auch nicht als pfändbares Einkommen im Sinne des § 850 Abs. 2 ZPO angesehen werden2.

Auf die tatsächlichen Einkünfte des Schuldners, der während der gesamten Wohlverhaltensphase selbständig tätig war, kommt es für den nach dem Gläubigervorbringen3 allein einschlägigen Versagungstatbestand des § 295 Abs. 2 InsO auch nicht an. Ob der Schuldner als selbständig Tätiger einen Gewinn erzielt hat oder ob er einen höheren Gewinn hätte erwirtschaften können, ist unerheblich. Nach § 295 Abs. 2 InsO obliegt es dem selbständig tätigen Schuldner, die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an den Treuhänder so zu stellen, wie wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre. Die Vorschrift löst die zu berücksichtigenden Erträge vom tatsächlichen wirtschaftlichen Erfolg der selbständigen Tätigkeit des Schuldners. Das anzunehmende fiktive Nettoeinkommen ist dabei aus einem angemessenen Dienstverhältnis zu berechnen. Angemessen ist nur eine dem Schuldner mögliche abhängige Tätigkeit4.

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Mithin war von Bedeutung, wie viel der Schuldner aus einem angemessenen Dienstverhältnis hätte verdienen können. Hätte er so viel verdienen können, dass der Pfändungsfreibetrag überstiegen wäre, hätte er den Differenzbetrag an den Treuhänder abführen müssen. Lag dieser Betrag höher als der tatsächlich abgeführte Betrag, stellt die Nichtabführung in Höhe der Differenz die Obliegenheitsverletzung dar.

Die Obliegenheiten des § 295 InsO treffen den Schuldner erst von der Aufhebung des Insolvenzverfahrens an5.

Ein Gläubiger genügt im Fall des § 295 Abs. 2 InsO seiner Pflicht zur Glaubhaftmachung der Obliegenheitsverletzung des Schuldners und der Beeinträchtigung der Befriedigung der Insolvenzgläubiger (§ 300 Abs. 2, § 296 Abs. 1 InsO), wenn er darlegt, dass der Schuldner an den Treuhänder nicht den Betrag abgeführt hat, den er bei Ausübung einer vergleichbaren abhängigen Tätigkeit nach dem üblichen Lohnniveau hätte abführen müssen6.

Durch die Bezugnahme auf die Ausschüttungsberichte des Treuhänders hat der Gläubiger ausreichend glaubhaft gemacht, der Schuldner habe in einem fiktiven angemessenen Dienstverhältnis so viel verdienen können, dass er von Juli 2005 bis Juni 2009 monatlich 304,40 €, insgesamt 14.611,20 € hätte abführen müssen. Tatsächlich aber habe der Schuldner bis zur Stellung des Versagungsantrags nur 1.890 € abgeführt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der erforderliche Sachvortrag des Gläubigers und die erforderliche Glaubhaftmachung mittels einer konkreten Bezugnahme auf einen Bericht des Treuhänders erfolgen, wenn der Bericht des Treuhänders seinerseits den Anforderungen genügt7. Dies ist vorliegend der Fall. Aus den Ausschüttungsberichten ergeben sich das fiktive Nettoeinkommen aus einem angemessenen Dienstverhältnis, der daraus zu errechnende pfändbare Betrag und die wegen der Nichtabführung dieses Betrages sich ergebende Gläubigerbeeinträchtigung. Zur Glaubhaftmachung des fiktiven monatlichen Nettoeinkommens genügt es jedenfalls, wenn der Gläubiger sich insoweit auf die eigenen Angaben des Schuldners stützt.

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Allerdings hat der Gläubiger weder dargetan noch glaubhaft gemacht, ab wann er Kenntnis von der Obliegenheitsverletzung des Schuldners hatte (§ 300 Abs. 2, § 296 Abs. 1 Satz 2 und 3 InsO). Dennoch ist sein Versagungsantrag zulässig. Für die Verletzung der den Schuldner aus § 295 Abs. 2 InsO treffenden Obliegenheit beginnt die Frist grundsätzlich erst mit Abschluss der Treuhandperiode8. Zwar hat der Bundesgerichtshof zwischenzeitlich entschieden, dass der selbständig Tätige die Zahlung nicht erst am Ende der Wohlverhaltensphase zu erbringen hat9. Dennoch kann oft erst am Ende dieser Periode sicher festgestellt werden, ob ein Obliegenheitsverstoß vorliegt. Deswegen sind die Gläubiger regelmäßig berechtigt, den Versagungsantrag unabhängig von einer vorherigen Kenntnis von der Nichtabführung einzelner Beträge erst am Ende der Treuhandphase zu stellen10. Der im August 2009 beim Insolvenzgericht eingegangene Versagungsantrag war demnach gemäß § 296 Abs. 1 Satz 2 InsO rechtzeitig.

Das Landgericht wird zu prüfen haben, ob dem Schuldner eine Tätigkeit als angestellter Geschäftsführer im Lebensmitteleinzelhandel aufgrund seiner Ausbildung und seines beruflichen Werdegangs möglich gewesen wäre und er den von ihm ermittelten Tariflohn hätte verdienen können. Unerheblich ist allerdings, ob das selbständig betriebene Geschäft des Schuldners mit den in den Tarifverträgen beschriebenen Geschäften in allen Punkten vergleichbar war. Auf die Vergleichbarkeit kommt es nicht an. Maßgebend ist das hypothetische Einkommen aus einem angemessenen, nicht notwendigerweise der selbständigen Tätigkeit entsprechenden Dienstverhältnis11.

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Stellt das Landgericht fest, dass der Schuldner aus einem angemessenen Dienstverhältnis einen höheren Abführungsbetrag hätte erwirtschaften können, muss sich der Schuldner von dem Vorwurf entlasten, seine Obliegenheiten schuldhaft verletzt zu haben (§ 296 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 InsO). Es entschuldigt ihn nicht, wenn er mit seinem Geschäft nicht so viel erwirtschaftet haben sollte, dass er monatlich den ermittelten zusätzlichen Betrag an den Treuhänder hätte abführen können. Erkennt ein Schuldner in der Wohlverhaltensphase, dass er mit der von ihm ausgeübten selbständigen Tätigkeit nicht genug erwirtschaftet, um seine Gläubiger so zu stellen, als übe er eine entsprechende abhängige Tätigkeit aus, braucht er seine selbständige Tätigkeit zwar zunächst nicht aufzugeben. Er muss sich dann aber – ebenso wie ein beschäftigungsloser Schuldner – gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO nachweisbar um eine angemessene Erwerbstätigkeit bemühen, um den Verschuldensvorwurf zu entkräften6.

Ebenso wenig ist der Schuldner deswegen entlastet, weil ihn weder der Treuhänder noch das Insolvenzgericht darauf hingewiesen haben, dass er höhere Beträge an den Treuhänder abführen müsse, wenn er die Restschuldbefreiung erreichen wolle. Die Aufgabe des Treuhänders beschränkt sich gemäß § 292 InsO im Wesentlichen darauf, die Abführungsbeträge entgegenzunehmen und zu verteilen. Ihn trifft nicht die Pflicht, die Beträge festzusetzen, die der Schuldner abzuführen hat, und den Schuldner oder seine selbständige Tätigkeit zu kontrollieren12. Entsprechendes gilt für das Insolvenzgericht. Die Insolvenzordnung kennt kein eigenständiges Verfahren zur Feststellung der durch den selbständig tätigen Schuldner zu leistenden Zahlungen. Das Insolvenzgericht hat weder die Verpflichtung noch die Möglichkeit, den nach § 295 Abs. 2 InsO zu erbringenden Betrag zu Beginn der Treuhandphase festzustellen, um damit die Höhe des vom Schuldner abzuführenden Betrages dem künftigen Streit über die Versagung der Restschuldbefreiung zu entziehen. Der Gesetzgeber hat den Streit über die Höhe des abzuführenden Betrages in die Hand der Gläubiger gelegt und damit die Bezifferung der abzuführenden Beträge in das Versagungsverfahren nach § 295 Abs. 2, § 296 Abs. 1 InsO verlagert. Für die Abführung der Beträge in der richtigen Höhe war somit allein der Schuldner verantwortlich13.

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Dem Gläubiger ist es auch nicht nach § 242 BGB verwehrt, den Versagungsantrag zu stellen. Der Schuldner ist ausreichend dadurch geschützt, dass ein Gläubiger nach § 296 Abs. 1 Satz 2 InsO innerhalb eines Jahres nach Kenntniserlangung von der Obliegenheitsverletzung des Schuldners den Versagungsantrag stellen muss. Ein Gläubiger handelt nicht treuwidrig, wenn er erst am Ende der Wohlverhaltensphase nach Mitteilung des Insolvenzgerichts, dass dem Schuldner die Restschuldbefreiung erteilt werden soll, prüft, ob der Schuldner den ihn treffenden Obliegenheiten nachgekommen ist.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17. Januar 2013 – IX ZB 98/11

  1. BGH, Beschluss vom 22.09.2011 – IX ZB 133/08, ZInsO 2011, 2101 Rn. 9; Urteil vom 15.10.2009 – IX ZR 234/08, ZInsO 2010, 59[]
  2. BGH, Beschluss vom 22.09.2011, aaO; Urteil vom 15.10.2009, aaO Rn. 8 ff[]
  3. vgl. BGH, Beschluss vom 21.01.2010 – IX ZB 67/09, ZInsO 2010, 391 Rn. 11[]
  4. BGH, Beschluss vom 19.05.2011 – IX ZB 224/09, NZI 2011, 596 Rn. 6; vom 05.04.2006 – IX ZB 50/05, NZI 2006, 413 Rn. 13[]
  5. BGH, Beschluss vom 14.01.2010 – IX ZB 78/09, ZInsO 2010, 345 Rn. 9[]
  6. BGH, Beschluss vom 19.05.2011 – IX ZB 224/09, NZI 2011, 596 Rn. 7[][]
  7. BGH, Beschluss vom 21.01.2010 – IX ZB 67/09, ZInsO 2010, 391 Rn. 10[]
  8. BGH, Beschluss vom 19.05.2011 – IX ZB 224/09, NZI 2011, 596 Rn. 12 f[]
  9. BGH, Beschluss vom 19.07.2012 – IX ZB 188/09, NZI 2012, 718 Rn. 8[]
  10. BGH, Beschluss vom 19.05.2011, aaO Rn. 13[]
  11. MünchKomm-InsO/Ehricke, 2. Aufl., § 295 Rn. 107[]
  12. vgl. Grote, ZInsO 2004, 1105, 1109[]
  13. vgl. Grote, ZInsO 2004, 1105, 1108 f[]
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