Richterliche Überzeugungsbildung – und der Indizienbeweis

Eine Überzeugungsbildung iSd. § 286 Abs. 1 ZPO setzt nicht immer eine mathematisch lückenlose Gewissheit voraus. Selbst nach dem strengen Maßstab des § 286 ZPO bedarf es keines naturwissenschaftlichen Kausalitätsnachweises und auch keiner an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, vielmehr genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der verbleibenden Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen1.

Richterliche Überzeugungsbildung – und der Indizienbeweis

Das Gericht muss ggf. begründen, warum es Restzweifel nicht überwinden konnte. Insbesondere darf es das Nichterreichen eines ausreichenden Grads an Gewissheit nicht allein darauf stützen, es seien andere Erklärungen theoretisch denkbar2.

Soll ein Vortrag mittels Indizien bewiesen werden, hat das Gericht zu prüfen, ob es die vorgetragenen Hilfstatsachen – deren Richtigkeit unterstellt – von der Wahrheit der Haupttatsache überzeugen. Es hat die insoweit maßgebenden Umstände vollständig und verfahrensrechtlich einwandfrei zu ermitteln und alle Beweisanzeichen erschöpfend zu würdigen. Dabei sind die Tatsacheninstanzen grundsätzlich frei darin, welche Beweiskraft sie den behaupteten Indiztatsachen im Einzelnen und in einer Gesamtschau beimessen. Revisionsrechtlich ist ihre Würdigung allein daraufhin zu überprüfen, ob alle Umstände vollständig berücksichtigt und Denk- und Erfahrungsgrundsätze nicht verletzt wurden. Um diese Überprüfung zu ermöglichen, haben sie nach § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO die wesentlichen Grundlagen ihrer Überzeugungsbildung nachvollziehbar darzulegen3.

Dies erfordert zwar keine ausdrückliche Auseinandersetzung mit allen denkbaren Gesichtspunkten. Die Urteilsgründe müssen aber erkennen lassen, dass überhaupt eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat4. Es genügt daher nicht, allein durch formelhafte Wendungen ohne Bezug zu den konkreten Fallumständen zum Ausdruck zu bringen, das Gericht sei von der Wahrheit einer Tatsache überzeugt oder nicht überzeugt5.

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11. Juni 2020 – 2 AZR 442/19

  1. vgl. BGH 1.10.2019 – VI ZR 164/18, Rn. 8[]
  2. vgl. BAG 31.01.2019 – 2 AZR 426/18, Rn. 36, BAGE 165, 255[]
  3. BAG 25.04.2018 – 2 AZR 611/17, Rn. 24; 21.09.2017 – 2 AZR 57/17, Rn. 38, BAGE 160, 221; 16.07.2015 – 2 AZR 85/15, Rn. 35[]
  4. vgl. BAG 27.05.2015 – 7 ABR 26/13, Rn. 29; 21.08.2014 – 8 AZR 655/13, Rn. 40, BAGE 149, 47; BGH 1.12.2009 – VI ZR 221/08, Rn. 18[]
  5. vgl. BGH 13.03.2003 – X ZR 100/00, zu I 4 a der Gründe; 16.12.1999 – III ZR 295/98, zu II 2 b aa der Gründe[]