Der Halter eines Kraftfahrzeuges, der sich der polizeilichen Festnahme durch Flucht unter Verwendung seines Kraftfahrzeuges entzieht, haftet unter dem Gesichtspunkt des Herausforderns sowohl nach § 823 Abs. 1 BGB als auch nach § 7 StVG für einen bei der Verfolgung eintretenden Sachschaden an den ihn verfolgenden Polizeifahrzeugen, wenn dieser Schaden auf der gesteigerten Gefahrenlage beruht und die Risiken der Verfolgung nicht außer Verhältnis zu deren Zweck stehen. Dies gilt auch in Fällen, in denen der Fahrer eines Polizeifahrzeuges zum Zwecke der Gefahrenabwehr vorsätzlich eine Kollision mit dem fliehenden Fahrzeug herbeiführt, um es zum Anhalten zu zwingen. Der Anspruch auf Ersatz des dabei an den beteiligten Polizeifahrzeugen entstandenen Sachschadens kann nach § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG auch als Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer des Fluchtfahrzeuges geltend gemacht werden.

Direktanspruch gegen die Kfz-Haftpflichtversicherung
Das Berufungsgericht hat zunächst übersehen, dass ein Direktanspruch gegen den beklagten Haftpflichtversicherer nach § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG auch wegen einer unerlaubten Handlung ihres Versicherungsnehmers im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB in Betracht kommt, wenn diese „durch den Gebrauch“ des versicherten Kraftfahrzeuges erfolgt.
Nach § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG kann der Dritte seinen Anspruch auf Schadensersatz auch gegen den Versicherer geltend machen, wenn es sich um eine Haftpflichtversicherung zur Erfüllung einer nach dem Pflichtversicherungsgesetz bestehenden Versicherungspflicht handelt. Die Zulässigkeit einer Direktklage des Klägers gegen die Beklagte setzt mithin voraus, dass er einen Schadensersatzanspruch geltend macht, der im Rahmen der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung von der Beklagten gedeckt werden muss. Die Vorschrift des § 1 PflVG verpflichtet den Halter eines Kraftfahrzeuges, eine Haftpflichtversicherung zur Deckung der „durch den Gebrauch des Fahrzeuges“ verursachten Personenschäden, Sachschäden und sonstigen Vermögensschäden abzuschließen und aufrechtzuerhalten. An das Pflichtversicherungsgesetz knüpft § 10 Abs. 1 AKB an, wo es heißt, dass die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung diejenigen Schäden deckt, die „durch den Gebrauch des im Vertrag bezeichneten Fahrzeugs“ verursacht worden sind1.
Der Begriff des Gebrauchs schließt den Betrieb des Kraftfahrzeuges im Sinne des § 7 StVG ein, geht aber auch darüber hinaus. Bei der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung ist das Interesse versichert, das der Versicherte daran hat, „durch den Gebrauch … des Fahrzeugs“ nicht mit Haftpflichtansprüchen belastet zu werden, gleich, ob diese auf § 7 StVG, den §§ 823 ff. BGB oder anderen Haftungsnormen beruhen2. Im Streitfall hat der Versicherungsnehmer der Beklagten das versicherte Kraftfahrzeug als Fluchtfahrzeug „gebraucht“, um sich einer Polizeikontrolle bzw. einer vorläufigen Festnahme zu entziehen. Die bewusst herbeigeführte Kollision mit einem Polizeifahrzeug, um ihn zu stoppen, stand deshalb in unmittelbarem Zusammenhang mit dem konkreten Gebrauch des Fahrzeuges.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann jemand, der durch vorwerfbares Tun einen anderen zu selbstgefährdendem Verhalten herausfordert, diesem anderen dann, wenn dessen Willensentschluss auf einer mindestens im Ansatz billigenswerten Motivation beruht, aus unerlaubter Handlung zum Ersatz des Schadens verpflichtet sein, der infolge des durch die Herausforderung gesteigerten Risikos entstanden ist3. Eine auf solcher Grundlage beruhende deliktische Haftung ist insbesondere in Fällen bejaht worden, in denen sich jemand pflichtwidrig der (vorläufigen) Festnahme oder der Feststellung seiner Personalien durch Polizeibeamte oder andere dazu befugte Personen durch die Flucht zu entziehen versucht und diesen Personen dadurch Anlass gegeben hat, ihn zu verfolgen, wobei sie dann infolge der durch die Verfolgung gesteigerten Gefahrenlage einen Schaden erlitten haben4.
Voraussetzung für eine deliktische Haftung ist in solchen Fällen stets, dass der in Anspruch genommene Fliehende seinen Verfolger in vorwerfbarer Weise zu der selbstgefährdenden Reaktion herausgefordert hat5. Dabei muss sich das Verschulden insbesondere auch auf die Verletzung eines der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter erstrecken, d.h. der Fliehende muss sich bewusst gewesen sein oder zumindest fahrlässig nicht erkannt und bei der Einrichtung seines Verhaltens pflichtwidrig nicht berücksichtigt haben, dass sein Verfolger oder durch diesen ein unbeteiligter Dritter infolge der durch die Verfolgung gesteigerten Gefahr einen Schaden erleiden könnte6.
Im Streitfall sind die Schäden an den Polizeifahrzeugen bei der gebotenen wertenden Betrachtungsweise dem Versicherungsnehmer der beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung haftungsrechtlich sowohl objektiv als auch subjektiv zuzurechnen.
Wesentlicher Gradmesser für eine Herausforderung zur Verfolgung mit der Überbürdung des gesteigerten Verletzungsrisikos auf den Fliehenden ist insbesondere die angemessene MittelZweckRelation, nach der die Risiken der Verfolgung und der Beendigung der Flucht nicht außer Verhältnis zu dem Ziel der Ergreifung des Fliehenden stehen dürfen, weil ansonsten die Schädigung nicht mehr in den Schutzbereich der Haftungsnorm fällt7.
Der Versicherungsnehmer hat sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts einer Verkehrskontrolle entzogen, dabei eine Polizeibeamtin verletzt und sich danach über viele Kilometer hinweg mit den ihn verfolgenden Polizeifahrzeugen mit hoher Geschwindigkeit eine Verfolgungsjagd mit mehrfachem Fahrstreifenwechsel unter Mitbenutzung des Standstreifens geliefert. Da von diesem rücksichtslosen Verhalten eine erhebliche Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer ausging, stand die Entscheidung, die Flucht durch eine Kollision mit dem Fluchtfahrzeug auf die erfolgte Art zu beenden, nicht außer Verhältnis zu dem Ziel der Beendigung der Flucht und der Ergreifung des Fliehenden.
Die Schäden an den Polizeifahrzeugen sind dem Versicherungsnehmer auch subjektiv zuzurechnen.
Die subjektive Seite der Haftung, d.h. der Vorwurf, eine Rechtsgutsverletzung seines Verfolgers schuldhaft herbeigeführt zu haben, setzt voraus, dass der Fliehende damit rechnen musste, verfolgt zu werden, und dass er auch voraussehen konnte, seine Verfolger könnten dabei möglicherweise zu Schaden kommen8.
Nach den Feststellungen wusste der Versicherungsnehmer, dass er verfolgt wird, und musste auch damit rechnen, dass für seine Verfolger und ihre Fahrzeuge bei seiner Fahrweise nicht nur ein gesteigertes Risiko bestand, während der Verfolgungsfahrt einen Schaden zu erleiden, sondern auch bei einer Beendigung der Flucht durch eine bewusst herbeigeführte Kollision mit dem Fluchtfahrzeug. Bei einer Verfolgungsjagd, wie sie im Streitfall stattgefunden hat, ist es nicht fernliegend, dass die Polizeibeamten erforderlichenfalls auch Schäden an den Polizeifahrzeugen in Kauf nehmen, um den Flüchtenden zu stoppen und Schlimmeres zu verhindern.
Haftung des Fahrzeughalters
Auch eine Haftung des Versicherungsnehmers kann nach § 7 Abs. 1 StVG nicht verneint werden.
Voraussetzung des § 7 Abs. 1 StVG ist, dass eines der dort genannten Rechtsgüter „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges“ verletzt worden ist. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, dass dieses Haftungsmerkmal nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen ist. Denn die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeuges erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, d.h. wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit-)geprägt worden ist9. Erforderlich ist aber stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, d.h. die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist10.
Im Streitfall ist ein Polizeifahrzeug auf einer Bundesautobahn auf das Fluchtfahrzeug aufgefahren und hat es zwischen den davor fahrenden Polizeifahrzeugen hindurchgeschoben, wonach ein anderes Polizeifahrzeug das Fluchtfahrzeug gegen die Leitplanke gedrängt und damit die Flucht beendet hat. Dass dies „bei dem Betrieb“ der beteiligten Kraftfahrzeuge im fließenden Verkehr auf einer Bundesautobahn erfolgte, begegnet nach den vorstehenden Grundsätzen ebenso wenig Bedenken wie bei einem „normalen“ Auffahrunfall. Die Tatsache, dass das Auffahren im Streitfall vorsätzlich erfolgte, um das Fluchtfahrzeug zu stoppen, hat lediglich Bedeutung für die Frage, ob der Unfall für einen der Unfallbeteiligten ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG n.F. bzw. § 7 Abs. 2 StVG a.F. war.
Die obergerichtliche Rechtsprechung hat in vergleichbaren Fällen wiederholt entschieden, dass ein Verkehrsunfall in Bezug auf die unfallbeteiligten Polizeifahrzeuge zwar nicht aus tatsächlichen, wohl aber aus Rechtsgründen im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG a.F. unabwendbar sein kann, wenn Polizeibeamte zur Erfüllung ihrer hoheitlichen Aufgaben ein fliehendes Fahrzeug verfolgen und es bei der Verfolgungsfahrt zu einer Kollision zwischen den beteiligten Fahrzeugen kommt. Eine rechtliche Unabwendbarkeit wurde dabei auch in Fällen bejaht, in denen der Fahrer des Polizeifahrzeuges zum Zwecke der Gefahrenabwehr vorsätzlich eine Kollision mit dem fliehenden Fahrzeug herbeiführte, um es zum Anhalten zu zwingen11. Dem schließt sich der Bundesgerichtshof an.
Die Frage der rechtlichen Unabwendbarkeit in Verfolgungsfällen ist unter dem Gesichtspunkt des Herausforderns vergleichbar zu beantworten wie die Frage einer Haftung nach § 823 BGB. Wer sich der polizeilichen Festnahme durch Flucht unter Verwendung eines Kraftfahrzeuges entzieht, haftet für einen bei der Verfolgung eintretenden Sachschaden an den ihn verfolgenden Polizeifahrzeugen, wenn dieser Schaden auf der gesteigerten Gefahrenlage beruht und die Risiken der Verfolgung nicht außer Verhältnis zu deren Zweck standen12. Soweit das Berufungsgericht den Ausführungen im BGH, Urteil vom 03.07.1990 – VI ZR 33/90, aaO etwas Anderes entnehmen will, wird übersehen, dass es in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall gerade nicht zu einer Kollision der beteiligten Fahrzeuge gekommen war.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 31. Januar 2012 – VI ZR 43/11
- vgl. BGH, Urteil vom 26.06.1979 – VI ZR 122/78, BGHZ 75, 45, 47; Beschluss vom 08.04.2008 – VI ZR 229/07, SP 2008, 338; und BGH, Urteil vom 10.07.1980 – IVa ZR 17/80, BGHZ 78, 52, 53 f.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 26.06.1979 – VI ZR 122/78, aaO S. 48; BGH Urteil vom 23.02.1977 – IV ZR 59/76, VersR 1977, 418, 419 mwN; Stiefel/Maier, AKB, 18. Aufl., A.1.1 Rn. 23; s. auch Jacobsen in Feyock/Jacobsen/Lemor, Kraftfahrtversicherung, 3. Aufl., § 10 AKB Rn.19[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 12.03.1996 – VI ZR 12/95, BGHZ 132, 164, 166; vom 03.07.1990 – VI ZR 33/90, VersR 1991, 111, 112; vom 29.11.1977 – VI ZR 51/76, VersR 1978, 183, 184; vom 21.02.1978 – VI ZR 8/77, BGHZ 70, 374, 376 und vom 03.10.1978 – VI ZR 253/77, VersR 1978, 1161, 1162[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 24.03.1964 – VI ZR 33/63, VersR 1964, 684, 685; vom 03.02.1967 – VI ZR 115/65 und VI ZR 117/65, VersR 1967, 580 f.; vom 13.07.1971 – VI ZR 165/69, VersR 1971, 962, 963 f.; vom 13.07.1971 – VI ZR 125/70, BGHZ 57, 25, 28 ff.; vom 29.10.1974 – VI ZR 168/73, BGHZ 63, 189, 191 ff. und vom 13.01.1976 – VI ZR 41/75, VersR 1976, 540, 541[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 29.11.1977, vom 21.02.1978, vom 03.10.1978 und vom 03.07.1990, jeweils aaO[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 03.07.1990 – VI ZR 33/90, aaO[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 13.07.1971 – VI ZR 125/70, BGHZ 57, 25, 31 f.; vom 29.10.1974 – VI ZR 168/73, BGHZ 63, 189, 192 f. und vom 12.03.1996 – VI ZR 12/95, BGHZ 132, 164, 169[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 12.03.1996 – VI ZR 12/95, BGHZ 132, 164, 171 und vom 03.07.1990 – VI ZR 33/90, VersR 1991, 111, 112, jeweils mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 19.04.1988 – VI ZR 96/87, VersR 1988, 641; vom 05.07.1988 – VI ZR 346/87, BGHZ 105, 65, 66 f.; vom 06.06.1989 – VI ZR 241/88, VersR 1989, 923, 924 f. und vom 03.07.1990 – VI ZR 33/90, VersR 1991, 111, 112[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 03.07.1962 – VI ZR 184/61, BGHZ 37, 311, 315 ff.; vom 27.01.1981 – VI ZR 204/79, BGHZ 79, 259, 262 f.; vom 06.06.1989 – VI ZR 241/88, VersR 1989, 923, 924 f. und vom 03.07.1990 – VI ZR 33/90, VersR 1991, 111, 112[↩]
- vgl. OLG Hamm VersR 1998, 1525; NJW 1988, 1096; OLG Koblenz NZV 1997, 180; a.A. OLG München, ZfS 1997, 125 f.[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 12.03.1996 – VI ZR 12/95, BGHZ 132, 164, 166 ff. und vom 29.10.1974 – VI ZR 168/73, BGHZ 63, 189, 191 ff.[↩]