Schadensersatzklage – und die Anforderungen an die Klageschrift zur Schadensersatzhöhe

Im Hinblick auf die dem Tatrichter bei der Bemessung der Schadenshöhe gemäß § 287 Abs. 1 ZPO zustehenden Freiheiten genügt es den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wenn der Hinterbliebenen die Höhe des von ihm geforderten Ersatzes materiellen Schadens in das Ermessen des Gerichts stellt, zugleich aber einen Mindestbetrag sowie die tatsächlichen Grundlagen für die Schadensschätzung angibt.

Schadensersatzklage – und die Anforderungen an die Klageschrift zur Schadensersatzhöhe

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nehmen der Ehemann der im Jahr 1979 geborenen und am 26.02.2018 verstorbenen M sowie deren im Jahr 2004 geborenes gemeinsames Kind den beklagten früheren Arzt auf Ersatz von Unterhaltsschaden (§ 844 Abs. 2 BGB) sowie auf Feststellung, dass diese Verbindlichkeiten solche aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung sind, in Anspruch. Der frühere Arzt wurde mit rechtskräftigem Strafurteil der vorsätzlichen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit leichtfertigem Verursachen des Todes einer Person durch die Verabreichung von Betäubungsmitteln schuldig gesprochen, weil er der M. während des gemeinsam vollzogenen Geschlechtsverkehrs in seiner Wohnung am 20.02.2018 ohne deren Wissen auf nicht geklärtem Weg Kokain und andere Substanzen verabreichte, sodass die M. einige Tage später an den Folgen eines Herzkreislaufstillstandes im Krankenhaus verstarb. Wegen dieser Tat und weiterer Taten zum Nachteil anderer Sexualpartnerinnen wurde der Arzt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Sie begehren Zahlung einer monatlichen Geldrente, deren Höhe sie in das Ermessen des Gerichts gestellt haben, die beim Vater jedoch mindestens 500 €, beim Kind mindestens 400 € betragen soll. Das Oberlandesgericht hat die Zahlungsanträge als unzulässig abgewiesen. Auf die Revision des Hinterbliebenens hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht Naumburg zurückverwiesen; die Auffassung des Oberlandesgerichts Naumburg, die gestellten Leistungsanträge der Hinterbliebenen seien zu unbestimmt und genügten den nach § 253 ZPO an einen Klageantrag zu stellenden Anforderungen nicht, ist nicht frei von Rechtsfehlern.

Zu Unrecht ist das Oberlandesgericht Naumburg davon ausgegangen, dass für einen unbezifferten Zahlungsantrag, der die Höhe des zuzusprechenden Geldbetrags in das Ermessen des Gerichts stelle, bei einer Klage auf materiellen Schadensersatz grundsätzlich kein Raum bleibe. Diese prinzipielle Ablehnung eines unbezifferten Antrags beim materiellen Schadensersatz verkennt, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Hinblick auf die dem Tatrichter bei der Bemessung der Schadenshöhe gemäß § 287 Abs. 1 ZPO zustehenden Freiheiten den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügt, wenn der Hinterbliebenen die Höhe des von ihm geforderten Ersatzes materiellen Schadens in das Ermessen des Gerichts stellt, zugleich aber einen Mindestbetrag sowie die tatsächlichen Grundlagen für die Schadensschätzung angibt1. Nichts anderes kann für die Beantragung einer Geldrente zum Ersatz eines Unterhaltsschadens nach § 844 Abs. 2 BGB gelten, für die ebenfalls der Maßstab des § 287 ZPO greift2.

Soweit das Oberlandesgericht Naumburg ergänzend auch für eine Schätzung nach § 287 ZPO keinen Raum gesehen hat, weil die Hinterbliebenen nur ungenügend zu den tatsächlichen Umständen in der Familie der Hinterbliebenen vor dem Tod der M. vorgetragen hätten, rügt die Revision zu Recht, dass sich das Oberlandesgericht Naumburg verfahrensfehlerhaft nicht hinreichend mit dem gehaltenen Sachvortrag der Hinterbliebenen auseinandergesetzt hat.

Die Hinterbliebenen haben mit ihren zuletzt gestellten Anträgen zwar die Höhe der ihnen zuzusprechenden monatlichen Geldrenten in das Ermessen des Gerichts gestellt, zugleich aber monatliche Mindestbeträge von 500 € (Vater) und 400 € (Sohn) genannt. Mit Schriftsatz vom 21.12.2022 haben die Hinterbliebenen ausgeführt, dass beide Hinterbliebenen gegenüber der M. unterhaltsberechtigt gewesen seien, dass die verstorbene M. vor ihrem Tod nicht krank gewesen sei, den Haushalt alleine geführt und damit ihrer Unterhaltsverpflichtung genügt habe, dass der Vater allein erwerbstätig gewesen sei mit einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden und einem monatlichen Nettoeinkommen in Höhe von 4.600 €, dass die monatlichen Fixkosten der Haushaltsführung 1.660 € betragen hätten; und vom Vater zu 100 % getragen worden seien und dass die Familie in einem gehobenen 3-Personen-Haushalt mit 110 qm Wohnfläche gelebt habe.

Der Sohn, geboren am 3.08.2004, habe sich nicht an der Haushaltsführung beteiligt und seine Schullaufbahn im August 2021 beendet. Vom 1.09.2021 bis 3.08.2022 habe er eine Ausbildung zum Mechatroniker gemacht, während der er 560 € im Monat verdient habe. Diese Ausbildung habe er abgebrochen und arbeite derzeit als Hilfsarbeiter im selben Unternehmen mit einem Verdienst von 1.400 € im Monat. Zum 1.09.2023 werde der Sohn eine neue Ausbildung beginnen für eine Dauer von dreieinhalb Jahren mit einem Verdienst von 540 € im Monat. Der Sohn wohne weiterhin beim Vater und habe dort auch in der Vergangenheit gewohnt.

Diesen Vortrag hat das Oberlandesgericht Naumburg offenbar aus dem Blick verloren, wenn es moniert, dass der Vater nicht präzisiert habe, ob und wie er und die M. sich die Haushaltsführung aufgeteilt hätten, und dass der Sohn nicht vorgetragen habe, ob und in welchem Umfang ihm durch den Tod der Mutter eine unterhaltspflichtige Person genommen worden sei. Soweit das Oberlandesgericht Naumburg darüber hinaus im Rahmen der Zulässigkeit der Leistungsanträge weitere Darlegungen zum Mehraufwand des Vaters nach dem Tod der M. verlangt hat, hat es die Anforderungen an die im Rahmen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO darzulegenden tatsächlichen Grundlagen für die Schadensschätzung schlechterdings überspannt.

Soweit das Oberlandesgericht Naumburg hilfsweise („hypothetisch“) eine Begründetheitsprüfung vorgenommen und ausgeführt hat, dass die Klage auch in der Sache keinen Erfolg gehabt hätte, gelten diese Ausführungen als nicht geschrieben. Denn wenn das Oberlandesgericht Naumburg – wie hier – die Leistungsanträge der klagenden Hinterbliebenen als unzulässig ansieht, darf es sie nicht daneben oder stattdessen als unbegründet abweisen3.

Eine vollständige Klageabweisung dürfte bei gebotener Berücksichtigung des (nach den tatbestandlichen Feststellungen im Berufungsurteil des Oberlandesgerichts Naumburg unstreitig gebliebenen) Vortrags der klagenden Hinterbliebenen aber auch in der Sache nicht berechtigt sein.

Steht nämlich der geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz nach § 844 Abs. 2 i.V.m. § 1360 BGB (Vater) bzw. §§ 1601 ff. BGB (Sohn) dem Grunde nach fest4 und bedarf es lediglich der Ausfüllung zur Höhe, darf die Klage grundsätzlich nicht vollständig abgewiesen werden, sondern muss der Schaden nach § 287 Abs. 1 ZPO geschätzt werden. Zwar ist es Sache des Anspruchstellers, diejenigen Umstände vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, die seine Vorstellungen zur Schadenshöhe rechtfertigen sollen. Versäumt er dies, muss er sich mit einer Mindestschätzung zufriedengeben. Nur wenn nicht einmal eine solche möglich erscheint, weil keinerlei brauchbare Anhaltspunkte auch nur für eine Mindestschätzung dargetan sind, kommt die gänzliche Abweisung der Klage in Betracht5. Bevor das Oberlandesgericht Naumburg annehmen durfte, dass der Fall so liege, hätte es auf der Grundlage des unstreitig gebliebenen Vortrags der klagenden Hinterbliebenen, wie die klagenden Hinterbliebenen unter Bezugnahme auf die Arbeiten etwa von Pardey6 zu Recht rügt, im Rahmen seines Schätzungsermessens die Heranziehung eines anerkannten Tabellenwerkes in Erwägung ziehen müssen7.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 24. Juni 2025 – VI ZR 204/23

  1. vgl. BGH, Urteile vom 06.07.2021 – VI ZR 40/20, BGHZ 230, 224 Rn. 10 zum Minderwert bei unzulässiger Abschalteinrichtung; vom 13.10.1981 – VI ZR 162/80, NJW 1982, 340 6 ff. zum merkantilen Minderwert eines Unfallwagens; vom 04.11.1969 – VI ZR 85/68, NJW 1970, 281 8 ff. zum Nutzungsausfallschaden; BGH, Urteile vom 28.10.1998 – XII ZR 255/96, NJW 1999, 353 11 zur ehebedingten Zuwendung; vom 24.04.1975 – III ZR 7/73, MDR 1975, 599 30 zur Enteignungsentschädigung; vom 13.12.1951 – III ZR 144/50, BGHZ 4, 138, 142 7 zum Verdienstausfallschaden; aA Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl., § 253 Rn. 14a[]
  2. vgl. hierzu BGH, Urteile vom 05.06.2012 – VI ZR 122/11, NJW 2012, 2887 Rn. 4; vom 02.12.1997 – VI ZR 142/96, NJW 1998, 985 23 [in BGHZ 137, 237 nicht abgedruckt]; vom 24.04.1990 – VI ZR 183/89, NZV 1990, 307 11[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 08.12.2021 – VIII ZR 190/19, BGHZ 232, 94 Rn. 34 mwN[]
  4. vgl. hierzu BGH, Urteile vom 24.04.1990 – VI ZR 183/89, NZV 1990, 307 8; vom 29.03.1988 – VI ZR 87/87, BGHZ 104, 113, 115 7; Röthel/Croon-Gestefeld in Staudinger, BGB, Stand: 1.11.2024, § 844 Rn. 132 ff., 165 ff.[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 06.06.1989 – VI ZR 66/88, NJW 1989, 2539 10 zum Haushaltsführungsschaden nach § 843 Abs. 1 BGB[]
  6. Pardey, Haushaltsführungsschaden, 10. Aufl.; Schulz-Borck/Pardey, Haushaltsführungsschaden – Entgelttabellen, Stand: Januar 2024[]
  7. vgl. hierzu im Rahmen des § 844 Abs. 2 BGB BGH, Urteile vom 02.12.1997 – VI ZR 142/96, NJW 1998, 985 23 [in BGHZ 137, 237 nicht abgedruckt]; vom 24.04.1990 – VI ZR 183/89, NZV 1990, 307 9; vom 29.03.1988 – VI ZR 87/87, BGHZ 104, 113, 117 f. 11; im Rahmen des § 843 Abs. 1 BGB BGH, Urteile vom 02.10.2018 – VI ZR 213/17, NJW 2019, 1082 Rn. 9; vom 22.05.2012 – VI ZR 157/11, NJW 2012, 2024 Rn. 21; vom 03.02.2009 – VI ZR 183/08, NJW 2009, 2060 Rn. 5[]

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