Der Bundesgerichtshof hatte sich erneut mit den Folgen des Dieselskandals zu befassen. Diesmal ging es um die Schätzung der Gesamtlaufleistung eines Fahrzeugs im Zusammenhang mit der Berechnung der gezogenen Nutzungsvorteile.

Der der Autokäuferin aus § 826 BGB zustehende Schadensersatzanspruch1 beläuft sich vorliegend auf den von der vorsteuerabzugsberechtigten Autokäuferin aufgewendeten Nettokaufpreis abzüglich der von ihr gezogenen Nutzungsvorteile2. Der Einwand der Autokäuferin, die gezogenen Vorteile beliefen sich auf einen geringeren Betrag, weil nicht von einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 300.000 km, sondern von einer solchen von 350.000 km auszugehen sei, so dass ihr in der Hauptsache weitere 906,10 € zustünden, blieb vor dem Bundesgerichtshof ohne Erfolg:
Bei der gemäß § 287 ZPO vorzunehmenden Bemessung der anzurechnenden Vorteile ist das Oberlandesgericht Oldenburg in der Vorinstanz3 von folgender Berechnungsformel ausgegangen:
Nettokaufpreis x gefahrene Strecke (seit Erwerb)
Nutzungsvorteil = ------------------------------------------------
erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt
Diese Berechnungsmethode ist für den Bundesgerichtshof nicht zu beanstanden4, ebenso wenig der Umstand, dass das Oberlandesgericht Oldenburg dabei die Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs auf 300.000 km geschätzt hat. Denn bei der Schadensschätzung steht ihm gemäß § 287 ZPO ein Ermessen zu, wobei in Kauf genommen wird, dass das Ergebnis unter Umständen mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt5. Insbesondere ist die auf einer Prognose beruhende Schätzung der Gesamtfahrleistung durch das Oberlandesgericht Oldenburg, die um rund 14 Prozent von der Schätzung der Autokäuferin abweicht, entgegen der Ansicht der Revision nicht unzulässig, weil sie mangels greifbarer Anhaltspunkte völlig in der Luft hinge6. Unzutreffend ist in diesem Zusammenhang auch die Behauptung der Revision, das Oberlandesgericht Oldenburg habe „keinerlei Begründung“ für die von ihm angenommene Gesamtlaufleistung gegeben. Denn es hat auf die Entscheidung des OLG Koblenz in BeckRS 2019, 11148 Rn. 88 verwiesen, das für den hier betroffenen Fahrzeugtyp VW Sharan im Hinblick auf Qualität, Haltbarkeit und Nutzungsbestimmung als Großraum-Van ebenfalls die Gesamtlaufleistung auf 300.000 km geschätzt hat. Die Autokäuferin selbst hat ihre Schätzung in der von der Revision in Bezug genommenen Berufungsbegründung lediglich darauf gestützt, dass das Fahrzeug „sehr robust“ sei. Einer ausführlicheren Begründung des Oberlandesgerichts Oldenburg für seine Schätzung bedurfte es bei dieser Sachlage nicht. Der Umstand, dass andere Oberlandesgerichte bei Ausübung ihres tatrichterlichen Ermessens in den von der Revisionsbegründung zitierten Entscheidungen, die allerdings andere Fahrzeugtypen betrafen, von einer höheren Gesamtlaufleistung ausgegangen sind, ist nicht geeignet, die Schätzung des Oberlandesgerichts Oldenburg revisionsrechtlich in Frage zu stellen. Das Oberlandesgericht Oldenburg war nach alledem, anders als die Revision meint, nicht gehalten, auf eine Schätzung zu verzichten und zur Frage der zu prognostizierenden Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs ein Sachverständigengutachten einzuholen.
Annahmeverzug der Autoherstellerin?
Das Oberlandesgericht Oldenburg hätte im hier entschiedenen Fall allerdings nicht feststellen dürfen, dass sich die Autoherstellerin mit der Rücknahme des Fahrzeugs im Annahmeverzug befindet. Im für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt, dem Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz, hat die Autokäuferin ihr Angebot zur Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs an unberechtigte Bedingungen geknüpft, nämlich an die Erstattung des vollen Bruttokaufpreises ohne Abzug gezogener Nutzungen und zuzüglich Deliktszinsen. Ein zur Begründung von Annahmeverzug geeignetes Angebot ist unter diesen Umständen nicht gegeben7. Die Gegenauffassung von Niemeyer/König8, der das Oberlandesgericht Oldenburg und die Autokäuferin folgen, teilt der Bundesgerichtshof nicht. Das dort im Ausgangspunkt angeführte Argument, ein auf die Zahlung eines bestimmten Betrages gerichteter Klageantrag erfasse in der Regel auch die Verurteilung auf ein Weniger, hindert lediglich die vollständige Abweisung der Klage, wenn der Klagepartei ein geringerer Betrag als beantragt zusteht. Die Klage muss dann aber im Hinblick auf den ausdrücklich erklärten Willen im Übrigen abgewiesen werden. Die Fortführung dieser Argumentation, einem auf Zug-um-Zug-Leistung gerichteten Klageantrag sei trotz eines bestimmten, überhöhten Gegenleistungsverlangens der Wille zu entnehmen, die Klagepartei würde sich mit einem Weniger begnügen und die eigene Leistung gegen ein Weniger erbringen, entbehrt aus Sicht des Bundesgerichtshofs einer überzeugenden Grundlage.
Der Bundesgerichtshof hält an seiner Auffassung fest, dass die Forderung eines deutlich höheren als des geschuldeten Betrages als solche ein ordnungsgemäßes und damit wirksames Leistungsangebot ausschließt.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 23. März 2021 – VI ZR 3/20
- vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 13 ff.[↩]
- BGH, Urteile vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 64 ff.; vom 30.07.2020 – VI ZR 354/19, NJW 2020, 2796 Rn. 11[↩]
- OLG Oldenburg, Urteil vom 03.12.2019 – 2 U 176/19[↩]
- BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 354/19, NJW 2020, 2796 Rn. 12 f.[↩]
- BGH, Urteil vom 17.09.2019 – VI ZR 396/18, NJW 2020, 236 Rn. 13[↩]
- vgl. hierzu BGH, Urteile vom 22.05.1984 – III ZR 18/83, BGHZ 91, 243, 257 55; vom 26.11.1986 – VIII ZR 260/85, NJW 1987, 909, 910 10; Beschluss vom 13.11.2013 – IV ZR 224/13, VersR 2014, 104 Rn. 5[↩]
- BGH, Urteile vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 85 mwN; vom 30.07.2020 – VI ZR 397/19, NJW 2020, 2806 Rn. 30[↩]
- NJW 2013, 3213, 3215[↩]
Bildnachweis:
- VW Sharan: Peter Wilhelm | CC0 1.0 Universal