Der Große Senat für Zivilsachen des Bundesgerichtshof hat im Jahr 1955 entschieden, dass sowohl die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten als auch die des Schädigers auf die Bemessung der Entschädigung Einfluss gewinnen können1. Der Bundesgerichtshof hat dies seitdem in ständiger Rechtsprechung so vertreten2. Nun rüttelt der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs an dieser ständigen Rechtsprechung:

Der zweite Strafsenat des Bundesgerichtshofs beabsichtigt in zwei bei ihm anhängigen Revisionsverfahren, in dem es um Adhäsionsansprüche u.a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern geht, diese Rechtsprechung aufzugeben, da es seiner Auffassung nach bei der Bemessung der billigen Entschädigung in Geld (§ 253 Abs. 2 BGB) weder auf die Vermögenslage des Geschädigten noch auf die des Schädigers ankommen darf. Er hat deshalb bei den anderen Strafsenaten sowie dem Großen Senat für Zivilsachen gemäß § 132 GVG angefragt, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.
In beiden Fällen hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die Revision des Angeklagten als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO verworfen, soweit sie sich gegen den Schuldspruch und den Strafausspruch richtet, und die Entscheidung über den Adhäsionsausspruch zurückgestellt3. Insoweit geben die Rechtsmittel der Angeklagten und die Antragsschriften des Generalbundesanwalts dem 2. Strafsenat Anlass, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten bei der Bemessung der
billigen Entschädigung in Geld (§ 253 Abs. 2 BGB), des sogenannten Schmerzensgeldes (vgl. § 406 Abs. 1 Satz 6 StPO), zu überdenken und diese Frage im Wege des Anfrage- und Vorlageverfahrens gemäß § 132 Abs. 2 und 3 GVG zu klären; er hält dies auch für eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 4 GVG.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs ist insoweit der Ansicht, dass es entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Bemessung der Entschädigung nicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten und des Schädigers ankommen darf.
Die bisherige Rechtsprechung
Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts waren bei Bemessung der billigen Entschädigung in Geld gemäß § 847 BGB a.F. die persönlichen und Vermögensverhältnisse beider Teile in Betracht zu ziehen4. Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entschied dagegen mit Urteil vom 29.09.19525 entschied jedoch der Große Senat für Zivilsachen6, dass bei der Festsetzung der Entschädigung grundsätzlich alle in Betracht kommenden Umstände des Falles einschließlich der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten berücksichtigt werden dürften. Dies begründete er im Wesentlichen wie folgt:
Ein Vergleich mit den anderen Vorschriften des BGB, in denen das Ausmaß einer Leistung nach „billigem Ermessen“ bestimmt oder eine „billige Entschädigung“ gewährt werde, zeige, dass das Gesetz in der Regel sämtliche in Betracht kommenden Umstände und insbesondere die Verhältnisse aller Beteiligten berücksichtigt wissen wolle; insbesondere ergebe sich aus § 829 BGB und der Entstehungsgeschichte des „Kranzgeldes“ (§ 1300 BGB, aufgehoben durch das Gesetz zur Neuordnung des Eheschließungsrechts vom 04.05.19987), dass der Richter bei der Bemessung einer billigen Entschädigung in Geld nicht gebunden sein soll, bestimmte Umstände nicht zu berücksichtigen8.
Dasselbe ergebe sich aus der doppelten Zweckbestimmung des Schmerzensgeldes. Dieses solle dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für diejenigen Schäden bieten, die nicht vermögensrechtlicher Art sind. Es solle aber zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schulde. Denn auch wenn dem Schmerzensgeldanspruch kein unmittelbarer Strafcharakter mehr innewohne, so schwinge in dem Ausgleichsgedanken doch etwas vom Charakter der Buße oder Genugtuung mit, da er sich aus dem Strafrecht entwickelt habe.
Im Vordergrund stehe der Ausgleich für die erlittene Beeinträchtigung: der Schädiger, der dem Geschädigten über den Vermögensschaden hinaus das Leben schwer gemacht hat, soll durch seine Leistung dazu helfen, es ihm im Rahmen des Möglichen wieder leichter zu machen. Im Hinblick auf diese Zweckbestimmung hänge die Bemessung der Entschädigung in erster Linie von Größe, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen, Leiden und Entstellungen ab. Der Schmerzensgeldanspruch sei zwar vom Gesetzgeber formal als bürgerlichrechtlicher Schadensersatzanspruch konstruiert worden, die Wiederherstellungsfunktion lasse sich indes nicht wie bei Vermögensschäden verwirklichen. Das alleinige Abstellen auf den Ausgleichsgedanken sei unmöglich, weil immaterielle Schäden sich nie und Ausgleichsmöglichkeiten sich nur beschränkt in Geld ausdrücken ließen. Dies gelte insbesondere in den Fällen, in denen der immaterielle Schaden so groß sei, dass ein Ausgleich überhaupt kaum denkbar sei, etwa bei weitgehender physischer Zerstörung des Körpers, oder in denen der Geschädigte wegen einer erlittenen psychischen Störung subjektiv kein Bewusstsein der Schädigung besitze. Ähnlich sei es, wenn der Verletzte wirtschaftlich so gestellt sei, dass bei ihm durch keinerlei Geldbeträge ein Lustgefühl zum Ausgleich für die erlittenen Schäden hervorgerufen werden könnte. Gerade für diese Gruppen gewinne die Genugtuungsfunktion ihre besondere Bedeutung9.
Danach könnten – neben dem in erster Linie zu beachtenden Umfang der Lebensbeeinträchtigung – bei der Bemessung alle Umstände berücksichtigt werden, die dem einzelnen Schadensfall sein besonderes Gepräge gäben. Dazu gehörten der Grad des Verschuldens des Schädigers sowie – möglicherweise – auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten. So könne bei besonders günstigen Vermögensverhältnissen des Verletzten die Ausgleichsfunktion zurücktreten, wenn diesem durch Geldbeträge ein Ausgleich für die erlittenen Schäden kaum geboten werden könne. In diesen Fällen trete die Genugtuungsfunktion in den Vordergrund. Andererseits könne im Einzelfall der gewohnte höhere Lebensstandard des Verletzten auch zu einer Erhöhung des Schmerzensgeldes führen10.
Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers könnten danach ebenfalls bei der Bemessung berücksichtigt werden. Der Ausgleichsgedanke dürfe im Allgemeinen nicht dazu führen, dass der Schädiger in schwere oder nachhaltige Not gerate. Allerdings stünden auch hier die Notwendigkeit einer Genugtuung und des Ausgleichs im Vordergrund. Die schlechte Wirtschaftslage des Schädigers werde daher, je nach Anlass des Schadensereignisses, insbesondere nach dem Grad des Verschuldens, stärkeres oder schwächeres Gewicht haben; so könne besonders verwerfliches Verhalten des Schädigers den Gedanken, ihn vor wirtschaftlicher Not zu bewahren, weitgehend zurückdrängen. Andererseits könne es bei besonders günstigen wirtschaftlichen Verhältnissen billig erscheinen, die Entschädigung höher festzusetzen. Auch könne, je geringer der zum Ausgleich benötigte Betrag sei, umso eher von der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse vor allem des Schädigers abgesehen werden11. Schließlich könne dabei auch der Umstand, dass der Schädiger haftpflichtversichert sei und in Höhe der Versicherungssumme gegen den Versicherer einen Anspruch auf Freistellung habe, bei der Bemessung berücksichtigt werden, da sein durch Prämienzahlung erworbener Anspruch sich als Vermögenswert darstelle12.
In ähnlicher Weise könnten in diesem Zusammenhang (wiederum) die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten Bedeutung gewinnen. Wenn dieser in guten wirtschaftlichen Verhältnissen sei, so könne es bei wirtschaftlicher Schwäche des Schädigers billig erscheinen, dies innerhalb der gegebenen Ermessensmöglichkeiten zu Gunsten des Schädigers zu berücksichtigen; bei schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen des Geschädigten hingegen in geringerem Maße. Jedoch dürfe die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers nie dazu führen, dass der vermögenslose Schädiger von der Entrichtung eines Schmerzensgeldes befreit werde, denn es handele sich dabei nur um einen Umstand unter zahlreichen13.
Zwar gelte für Vermögensschäden der Grundsatz, dass der Umfang der Verpflichtung regelmäßig von der Leistungsfähigkeit des Schuldners unabhängig sei. Dies gelte jedoch nicht für die Bemessung von Nichtvermögensschäden, bei der § 847 BGB a.F. eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles verlange. Bei der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers handele es sich nicht um eine Kürzung einer „an sich“ angemessenen Entschädigung, sondern es werde durch die Berücksichtigung aller Umstände, zu denen auch die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten gehörten, überhaupt erst die „billige Entschädigung“ ermittelt. Diese bildeten daher einen Teil des zu beurteilenden Sachverhalts. Damit liege auch kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz vor, soweit zwischen Schädigern, die in unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen lebten, differenziert werde13.
Vor diesem Hintergrund erachten die Zivilsenate des Bundesgerichtshofs die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten als bei Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigende Umstände14. Dementsprechend werden die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten in der obergerichtlichen Rechtsprechung regelmäßig, wenn auch nicht immer, im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung erörtert15.
Dem folgend erachten auch die Strafsenate des Bundesgerichtshofs die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten als für die Bemessung des Schmerzensgeldes regelmäßig bedeutsame Umstände, mit der Folge, dass eine fehlende Erörterung in den Urteilsgründen einen durchgreifenden Rechtsfehler darstellen kann, der auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils führt16. Begründet wird dies hinsichtlich des Schädigers regelmäßig damit, dass die Verpflichtung zur Schmerzensgeldzahlung für diesen nicht zu einer unbilligen Härte werden dürfe17. Eine Erörterungspflicht wurde verneint, wenn nach Auffassung des jeweiligen Senats die Feststellungen nicht dazu drängten18, ohne dass hier eine klare Linie erkennbar wäre.
Durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19.07.200219 wurde der Anspruch auf Ersatz von Nichtvermögensschäden (Schmerzensgeld) unter Aufhebung des § 847 BGB a.F. und unter Erweiterung auf die Vertrags- und Gefährdungshaftung in § 253 Abs. 2 BGB geregelt. Eine Änderung der Auslegung des Begriffs der „billigen Entschädigung“ war damit nicht verbunden20.
Die Auffassung des 2. Strafsenats
Der 2. Strafsenat beabsichtigt, die Rechtsprechung, wonach bei der Bemessung der billigen Entschädigung in Geld die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten berücksichtigt werden dürfen, aufzugeben.
Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten
Nach seiner Auffassung darf es auf die Vermögenslage des Geschädigten nicht ankommen.
Zwar verlangt der Begriff der „Billigkeit“ im Sinne des § 253 Abs. 2 BGB die Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände des Falles. Was danach „in Betracht kommt“, bedarf jedoch der Konkretisierung am Maßstab von Wertvorstellungen, die in erster Linie von den Grundsatzentscheidungen der Verfassung bestimmt werden. Bei der Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Generalklauseln haben daher die Gerichte die Grundrechte als „Richtlinien“ zu beachten21; auch der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ist zu berücksichtigen22.
Vor diesem Hintergrund lässt sich eine unterschiedliche Bewertung von körperlichen oder seelischen Leiden danach, ob der Betroffene finanziell besser oder schlechter gestellt ist, nicht rechtfertigen.
Eine solche Anknüpfung an die Vermögensverhältnisse ist mit dem sich aus Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG ergebenden, jeden Menschen in gleichem Maße, ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seine Leistungen und seinen sozialen Status zukommenden sozialen Wert- und Achtungsanspruch23 und dem jedem Menschen in gleichem Maße zustehenden Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG) nicht vereinbar24.
Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass nicht die erlittene körperliche oder seelische Beeinträchtigung selbst, sondern nur der Ausgleich hierfür unterschiedlich bemessen wird25. Denn nach den dargestellten verfassungsrechtlichen Grundsatzentscheidungen hat weder der Wohlhabende ein rechtlich anerkennenswertes größeres finanzielles Interesse an einem Ausgleich einer erlittenen Beeinträchtigung, noch der Arme ein geringeres. Danach geht es umgekehrt aber auch fehl, bei im Wesentlichen gleichen körperlichen oder seelischen Leiden die schlechte Vermögenslage des Armen als anspruchserhöhend oder den Reichtum des Wohlhabenden als anspruchsmindernd anzusetzen. Denn die in § 253 Abs. 2 BGB genannten Rechte und Rechtsgüter stehen dem Betroffenen nicht nach Maßgabe seiner Vermögensverhältnisse zu, sondern unabhängig davon26.
Wollte man demgegenüber den wirtschaftlichen Verhältnissen einen Einfluss auf das Maß der auszugleichenden Beeinträchtigung zugestehen, müsste man dies konsequenterweise im Einzelfall durch eine Beweisaufnahme zum Lebensstil des Verletzten verifizieren. Denn auch der wirtschaftliche gut Situierte kann bescheiden leben, während ein anderer trotz schlechter wirtschaftlicher Verhältnisse einen aufwendigen Lebensstil pflegen mag; zudem wäre eine ungerechtfertigte Benachteiligung des sparsamen gegenüber dem verschwenderischen Verletzten zu vermeiden27. Eine solche Beweisaufnahme ließe sich indes mit dem – verfassungsrechtlich verbürgten28 – Schutz des persönlichen Lebensbereiches des (Opfer)Zeugen (vgl. § 68a Abs. 1 StPO für den Strafprozess) nur schwerlich vereinbaren29. Im Zivilprozess gilt zwar die Erleichterung des § 287 ZPO; dies ändert aber nichts daran, dass der Tatrichter sich im Urteil mit allen für die Bemessung des Schmerzensgelds maßgeblichen Umständen hinreichend auseinandersetzen muss und nicht jedes diesbezügliche Beweisangebot zurückweisen darf30.
Hinzu kommt, dass auch nach der Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen unklar bleibt, in welchen konkreten „Einzelfällen“ die Vermögensverhältnisse des Geschädigten überhaupt zu einer Erhöhung oder Verminderung des Schmerzensgeldes führen könnten31; denn auch wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt werden dürften, bedürfte es eines Maßstabs, inwieweit diese Umstände anspruchsmindernd, anspruchserhöhend oder wertneutral wirken sollten. Ein solcher Maßstab ist weder der Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen zu entnehmen noch sonst erkennbar.
Schließlich ist zu besorgen, dass die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse jedenfalls im Endeffekt zu einer Taxierung des Schmerzensgeldes nach sozialen Klassen führen kann32, gegen die sich schon das Reichsgericht aussprach33.
Danach scheiden die Vermögensverhältnisse des Geschädigten als legitime Rechtfertigungsgründe für eine Ungleichbehandlung bei der Bemessung des Schmerzensgeldes aus. Nichts anderes gilt, wenn wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten nicht eine „an sich“ angemessene Entschädigung gekürzt oder erhöht wird, sondern diese von vornherein in die Abwägung eingestellt werden34. Denn auch durch diesen dogmatischen „Kunstgriff“ verlieren sie nicht ihren Charakter als das Schmerzensgeld erhöhende oder mindernde Umstände, der ihnen aber nach den dargestellten Maßstäben nicht zukommen darf.
Soweit der Große Senat für Zivilsachen im Wege der systematischen Auslegung die Vorschriften der §§ 829, 1300 BGB als Beleg dafür herangezogen hat, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse als in Betracht zu ziehende Umstände des Einzelfalls anzusehen sind35, steht dies im Widerspruch zu dem der Verfassung zu Grunde liegenden; und vom Bundesverfassungsgericht zwischenzeitlich weiter konkretisierten Menschenbild, das wesentlich von dem jedem Menschen in gleichem Maße zustehenden sozialen Wert- und Achtungsanspruch geprägt wird; auch wurde § 1300 BGB durch den Gesetzgeber inzwischen als rechtspolitisch überholt aufgehoben36.
Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers
Nach Ansicht des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs sind auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers nicht zu berücksichtigen.
Der Schmerzensgeldanspruch ist vom Gesetzgeber gerade nicht als Strafe, sondern als Schadensersatzanspruch ausgestaltet worden37. Schon dies spricht dafür, dass die wirtschaftliche Lage des Schädigers entsprechend dem allgemeinen Prinzip der unbeschränkten Vermögenshaftung38 bei der Bemessung der Entschädigung, auch und gerade im Rahmen der Ausgleichsfunktion, keine Rolle spielen darf39.
Zu einer anderen Betrachtung zwingt auch nicht die Genugtuungsfunktion der Entschädigung. Denn der Gedanke der Genugtuung kann, ungeachtet seiner im Schrifttum umstrittenen Funktion40, innerhalb eines zivilrechtlichen Schadensersatzanspruches nicht bezwecken, dem Schädiger ein zu bemessendes Übel zuzufügen41. Vielmehr soll der Geschädigte durch die – ihm selbst und nicht etwa dem Staat oder einer gemeinnützigen Einrichtung zufließende – „billige Entschädigung“ Genugtuung für den ihm zugefügten immateriellen Schaden erfahren, wozu auch die Verletzung des Rechtsgefühls zählt42. Im Blick haben daher auch hier der Geschädigte und dessen Beeinträchtigung zu stehen43. Art und Ausmaß des vom Schädiger wiedergutzumachenden Unrechts sind aber von seinen Vermögensverhältnissen gänzlich unabhängig44.
Das dagegen vorgebrachte Argument, bei Nichtvermögensschäden seien nach dem gesetzgeberischen Willen alle Umstände des Falles zu berücksichtigen45, vermag gleichfalls nicht mehr zu überzeugen. Vor dem Hintergrund der unter III. 1.b dargestellten verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen ist es nicht zu rechtfertigen, dass die Höhe einer Entschädigung für ein- und dasselbe körperliche oder seelische Leiden – wenn auch nur als einem unter mehreren Gesichtspunkten – möglicherweise davon abhängig ist, ob der Schädiger Hilfsarbeiter oder Millionär ist. Insbesondere ist es für die Frage, ob eine solche Differenzierung mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG sachlich gerechtfertigt ist, ohne Bedeutung, ob die wirtschaftlichen Verhältnisse von vornherein in die Abwägung eingestellt werden oder eine „an sich“ angemessene Entschädigung gekürzt oder erhöht wird.
Etwaige unbillige Härten für den Schädiger können zudem sachgerecht im Zwangsvollstreckungs- oder Insolvenzverfahren berücksichtigt werden46. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass durch das Abstellen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt des Urteils dem Geschädigten die ihm bei allen anderen Schadensersatzansprüchen zustehende Möglichkeit genommen wird, bei nachträglicher Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers zur Befriedigung seines Schadensersatzes zu kommen47.
Vor diesem Hintergrund kann es auch keine Rolle spielen, ob der Schädiger haftpflichtversichert ist, zumal dann die Höhe der Entschädigung von einem für die geschädigte Person zufälligen Umstand abhängen würde48.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshof fragt deshalb bei dem Großen Senat für Zivilsachen und den anderen Strafsenaten des Bundesgerichtshofs an, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 8. Oktober 2014 – 2 StR 137/14 und 337/14
- grundlegend BGH, Beschluss vom 06.07.1955 – GZ 1/55, BGHZ 18, 149, 159 f.[↩]
- vgl. zuletzt BGH, Beschlüsse vom 02.09.2014 – 3 StR 325/14; und vom 18.06.2014 – 4 StR 217/14; BGH, Urteil vom 05.03.2014 – 2 StR 503/13, insoweit in NStZ-RR 2014, 185 nicht abgedruckt[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 08.10.2014 – 2 StR 137/14 und 2 StR 337/14[↩]
- vgl. etwa RGZ 63, 104, 105; 76, 174, 175; vgl. auch RGZ 136, 60, 61[↩]
- BGH, Urteil vom 29.09.2952 – III ZR 340/51, BGHZ 7, 223), dass es jedenfalls auf die Vermögensverhältnisse des Schädigers nicht ankommen dürfe. Auf Vorlage des VI. Zivilsenats ((vgl. hierzu Knöpfel, AcP 155, 135 f. mwN[↩]
- BGH, Beschluss vom 06.07.1955 – GZ 1/55, BGHZ 18, 149 ff.[↩]
- BGBl. I S. 833[↩]
- BGHZ 18, 149, 153 f.[↩]
- BGHZ 18, 149, 154 ff.[↩]
- BGHZ 18, 149, 157 ff.[↩]
- BGHZ 18, 149, 159 f.[↩]
- BGHZ 18, 149, 165 ff.[↩]
- BGHZ 18, 149, 160 ff.[↩][↩]
- vgl. etwa Urteil vom 16.05.1961 – VI ZR 112/60, VersR 1961, 727, 728; BGH, Urteil vom 13.01.1964 – III ZR 48/63, VersR 1964, 389, 390; Urteile vom 25.09.1964 – VI ZR 137/63 und – VI ZR 139/63, VersR 1964, 1299, 1302; Urteil vom 16.02.1993 – VI ZR 29/92, NJW 1993, 1531, 1532; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 10.01.2006 – VI ZB 26/05, NJW 2006, 1068, 1069, sowie die Parallelbeschlüsse vom selben Tag – VI ZB 27/05 und – VI ZB 28/05[↩]
- vgl. aus neuerer Zeit etwa OLG Celle, Urteil vom 28.05.2014 – 14 U 165/13 24; OLG München, Urteil vom 11.04.2014 – 10 U 4757/13 42 ff.; OLG Zweibrücken, NJW-RR 2014, 33[↩]
- vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 09.06.1993 – 2 StR 232/93, BGHR StPO § 403 Anspruch 4; vom 21.08.1996 – 2 StR 263/96, BGHR StPO § 404 Abs. 1 Entscheidung 5; und vom 26.08.1998 – 2 StR 151/98, BGHR StPO § 403 Anspruch 6; Urteil vom 05.03.2014 – 2 StR 503/13, insoweit in NStZ-RR 2014, 185 nicht abgedruckt; BGH, Beschlüsse vom 30.10.1992 – 3 StR 478/92, BGHR StPO § 403 Anspruch 3; vom 05.01.1999 – 3 StR 602/98, NJW 1999, 1123, 1124; vom 02.09.2014 – 3 StR 325/14 3; und vom 18.06.2014 – 4 StR 217/14 3[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 30.10.1992 – 3 StR 478/92, BGHR StPO § 403 Anspruch 3; BGH, Beschluss vom 09.06.1993 – 2 StR 232/93, BGHR StPO § 403 Anspruch 4[↩]
- vgl. nur BGH, Urteil vom 07.02.1995 – 1 StR 668/94, BGHR StPO § 404 Abs. 1 Entscheidung 3 und Urteil vom 27.09.1995 – 3 StR 338/95, BGHR StPO § 404 Abs. 1 Entscheidung 4; vgl. auch Beschluss vom 02.09.2014 – 3 StR 346/14[↩]
- BGBl. I S. 2674[↩]
- vgl. BT-Drs. 14/7752 S. 14 ff., und BT-Drs. 14/8780, S. 21[↩]
- vgl. BVerfGE 89, 214, 229 f. mwN; speziell zum Schmerzensgeld auch BGH, Urteil vom 13.10.1992 – VI ZR 201/91, BGHZ 120, 1, 5 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 84, 197, 199 mwN[↩]
- vgl. BVerfGE 87, 209, 228[↩]
- so auch OLG Schleswig, NJW-RR 1990, 470, 471; Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearb.2005, § 253 Rn. 43; Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, 7. Aufl., Rn. 1375 ff., Slizyk, Systematische Kommentierung des Schmerzensgeldrechts, 10. Aufl. [2014], Rn. 129; Vieweg/Lorz in jurisPK-BGB, 7. Aufl.2014, § 253 Rn. 75; vgl. auch Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge 2014, 32. Aufl., S. 18[↩]
- vgl. Schneider, ZAP 2004 [Beilage 2], S. 7; Jaeger/Luckey aaO Rn. 1377[↩]
- so im Ergebnis auch die überwiegende Ansicht im Schrifttum, vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Aufl., § 253 Rn. 16; Staudinger/Schiemann aaO; NK-BGB/Huber, 2. Aufl., § 253 Rn. 96; Münch-KommBGB/Oetker, 6. Aufl., § 253 Rn. 38; Spindler in Bamberger/Roth, BGB, § 253 Rn. 42; Vieweg/Lorz aaO; Jaeger/Luckey, aaO Rn. 1375 ff., 1386; Pardey in Geigel, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., S. 220 f.; Lorenz, Immaterieller Schaden und „billige Entschädigung in Geld“, 1981, S. 126 f., 146 ff.; Pecher, AcP 171, 44, 69; aA etwa Soergel/Zeuner, BGB, 12. Aufl., § 847 Rn. 30; RGRK-BGB/Kreft, 12. Aufl., § 847 Rn. 43[↩]
- vgl. OLG Schleswig, NJW-RR 1990, 470, 471; Knöpfel, AcP 155, 145 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 38, 105, 114[↩]
- vgl. auch Lorenz, Immaterieller Schaden und „billige Entschädigung in Geld“, 1981, S. 52 f.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 12.05.1998 – VI ZR 182/97, BGHZ 138, 388, 391; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 287 Rn. 6, 8 mwN[↩]
- vgl. auch Vieweg/Lorz in jurisPK-BGB, 7. Aufl.2014, § 253 Rn. 75[↩]
- vgl. OLG Schleswig NJW-RR 1990, 470, 471; Slizyk, Systematische Kommentierung des Schmerzensgeldrechts, 10. Aufl. [2014], Rn. 12[↩]
- vgl. RGZ 76, 174, 176[↩]
- vgl. BGHZ 18, 149, 160 f.[↩]
- vgl. auch Lorenz aaO S. 157[↩]
- vgl. BT-Drs. 13/4898 S. 14[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 29.09.1952 – III ZR 340/51, BGHZ 7, 223, 224 ff.; BGH, Beschluss vom 06.07.1955 – GZ 1/55, BGHZ 18, 149, 151, 156; vgl. auch Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearb.2005, § 253 Rn. 28, 43; NK-BGB/Huber, 2. Aufl., § 253 Rn. 119; Müller, VersR 1993, 909 f.; Knöpfel, AcP 155, 139 ff.; Pecher AcP 171, 44, 70[↩]
- vgl. nur Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Aufl., § 276 Rn. 28 mwN[↩]
- so auch Palandt/Grüneberg aaO § 253 Rn. 17[↩]
- vgl. statt aller Staudinger/Schiemann aaO Rn. 30 ff. mwN[↩]
- mit der Folge, dass unbillige Härten zu vermeiden wären[↩]
- vgl. Knöpfel, aaO, 150, 154 f.[↩]
- vgl. Pecher, aaO, 70[↩]
- vgl. Knöpfel aaO[↩]
- BGHZ 18, 149, 160 f.[↩]
- vgl. schon BGH, Urteil vom 29.09.1952 – III ZR 340/51, BGHZ 7, 223, 228; Ermann/Ebert, BGB, 14. Aufl., § 253 Rn. 27; NK-BGB/Huber, 2. Aufl., § 253 Rn. 119; Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, 7. Aufl., Rn. 1371 ff.[↩]
- vgl. schon BGH, Urteil vom 29.09.1952 – III ZR 340/51, BGHZ 7, 223, 228; Lorenz, Immaterieller Schaden und „billige Entschädigung in Geld“, 1981, S. 154 f.[↩]
- vgl. Spindler in Bamberger/Roth, BGB, § 253 Rn. 43; NK-BGB/Huber aaO[↩]
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