Auch bei einer Beschlussanfechtungsklage darf die Auslegung des Klageantrags – wie allgemein im Prozessrecht – nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen; nur wenn sich das Rechtsschutzziel des Klägers auch durch die gebotene Auslegung unter Einbeziehung der gesamten Klageschrift nicht eindeutig ermitteln lässt, gehen die verbleibenden Unklarheiten zu seinen Lasten.

Zwar ist die Einhaltung der Klage- und der Begründungsfrist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG keine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Beschlussanfechtungsklage; ihre Versäumung führt vielmehr zu einem materiellrechtlichen Ausschluss von Anfechtungsgründen1. Das ändert aber nichts daran, dass die Klage und ihre Begründung Prozesshandlungen darstellen, deren Auslegung das Revisionsgericht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs uneingeschränkt nachprüfen kann2.
Der klagende Wohnungseigentümer muss zwecks Wahrung der Klagefrist mitteilen, gegen welchen Beschluss aus welcher Eigentümerversammlung er sich wenden will3, und dass die Auslegung eine Beschränkung auf einzelne Beschlüsse oder abtrennbare Punkte ergeben kann. Aber auch bei einer Beschlussanfechtungsklage darf die Auslegung – wie allgemein im Prozessrecht – nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen. Dabei ist der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht4. Nur wenn sich das Rechtsschutzziel des Klägers auch durch die gebotene Auslegung nicht eindeutig ermitteln lässt, gehen die verbleibenden Unklarheiten zu seinen Lasten5.
Im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hat der Kläger in der Klageschrift mitgeteilt, an der Versammlung persönlich nicht teilgenommen und eine Niederschrift noch nicht erhalten zu haben. Da er keine näheren Kenntnisse von den gefassten Beschlüssen hatte und sie folglich nicht genau bezeichnen konnte, ist sein Antrag im Zweifel so zu verstehen, dass er die zu TOP 4 gefassten Beschlüsse (jedenfalls zunächst) umfassend anfechten wollte. Dagegen lässt sich der Klageschrift nicht eindeutig entnehmen, dass seine Anfechtung der „zu TOP 4 und TOP 6 gefassten Beschlüsse betreffend Gesamt- und Einzelabrechnung 2011 und Einzel- und Gesamtwirtschaftsplan 2012“ nur TOP 4 Antrag 1 betreffen sollte. Eine solche Beschränkung ergibt sich insbesondere nicht aus dem Zusatz „betreffend Gesamt- und Einzelabrechnung 2011“, der zwar der Konkretisierung dienen soll, aber lediglich den Wortlaut der vor der Versammlung mitgeteilten und der Klageschrift als Anlage beigefügten Tagesordnung wiedergibt.
Dies gilt umso mehr, als der Kläger sein Rechtsschutzziel durch die Mitteilung verdeutlicht hat, ihm sei berichtet worden, dass „insbesondere bei der Aufteilung der Wohngelder zu seinem Nachteil von den Vorgaben der Teilungserklärung abgewichen worden“ sei. Diese Begründung konnte zwar auch den zu TOP 4 Antrag 1 gefassten Beschluss betreffen, sofern die Gesamt- und Einzelabrechnung 2011 mit den Vorgaben der Teilungserklärung nicht im Einklang stand; vornehmlich und offenkundig bezog sie sich jedoch – wie die Revision zu Recht hervorhebt – auf die dauerhafte Änderung des in der Teilungserklärung vorgesehenen Kostenverteilungsschlüssels, die Gegenstand des Beschlusses zu TOP 4 Antrag 2 war und über die der Kläger erklärtermaßen nur vom Hörensagen berichten konnte.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. Dezember 2014 – V ZR 53/14
- BGH, Urteil vom 16.01.2009 – V ZR 74/08, BGHZ 179, 230 Rn. 7 ff.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 27.03.2009 – V ZR 196/08, NJW 2009, 2132 Rn. 8 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 06.11.2009 – V ZR 73/09, NJW 2010, 446 Rn. 15[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 19.10.2012 – V ZR 233/11, ZWE 2013, 47 Rn. 11 f. mwN[↩]
- Niedenführ in Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, 11. Aufl., § 46 Rn. 63; missverständlich insoweit Suilmann in Jennißen, WEG, 4. Aufl., § 46 Rn. 85; zum früheren Verfahren nach dem FGG OLG Celle, OLGZ 1989, 183 ff.; OLGR 1994, 195; OLG Frankfurt, OLGR 2005, 80, 81; OLG Zweibrücken, NJW-RR 1995, 397 f.[↩]