Die Erben eines Verstorbenen, der auf Bahngleisen Suizid begangen hat, haben dem Lokführer gegenüber keinen Schadensersatz zu leisten, wenn der Verstorbene im Zeitpunkt der Schadenszufügung nicht schuldhaft gehandelt hat.

Mit dieser Begründung hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die klageabweisenden Entscheidung des Landgerichts Wiesbaden [1] bestätigt und der Klägerin keinen Schadensersatz in Höhe von gut 90.000,00 € für die an den Lokführer geleisteten Zahlungen zugesprochen. Das Bahnunglück ereignete sich im Januar 2013. Kurz nach Mitternacht kollidierte ein Güterzug zwischen Geisenheim und Rüdesheim mit einer im Gleisbett stehenden bzw. sich dort bewegenden Person. Der Lokführer bemerkte die Person, als sie ca. 20 m vor dem Triebfahrzeug auftauchte. Obwohl er eine Schnellbremsung einleitete, konnte er nicht verhindern, dass er die Person tödlich erfasste. Der Lokführer war daraufhin knapp zwei Jahre arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Klägerin begehrt von den Erben der verunglückten Person Schadensersatz in Höhe von gut 90.000 € für die an den Lokführer geleisteten Zahlungen (Fortzahlung der Dienstbezüge, Heilbehandlungskosten). Nachdem die Klage vom Landgericht [1] abgewiesen worden war, hat die Klägerin ihr Ziel mit der Berufung weiter verfolgt.
In seiner Entscheidungsbegründung hat das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. ausgeführt, dass die Erben des Verstorbenen der Klägerin nicht für den geltend gemachten wirtschaftlichen Schaden des Lokführers haften. Der Verstorbene habe im Zeitpunkt der Schadenszufügung nicht schuldhaft gehandelt. Er habe dem Lokführer den Schaden vielmehr gemäß den Feststellungen des Sachverständigen „in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit“ zugefügt (§ 827 BGB).
Nach Meinung des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. sei der Sachverständige überzeugend von einem planvollen Suizid ausgegangen. Er habe auch ausgeführt, „dass der Verstorbene nicht mehr in der Lage gewesen sei, seine Gedanken auf die Auswirkungen seines Tuns, insbesondere für den Lokführer zu richten und seine Entscheidung zu verändern.“ Dabei habe der Sachverständige entgegen den Einwänden der Klägerin auch nicht angenommen, „dass automatisch jeder Suizid in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit“ begangen werde. Er habe aber für die vorliegende Konstellation konkret ausgeführt, aufgrund welcher Überlegungen hier bei dem Verstorbenen von einem „Maß der gedanklichen Einengung und Fixierung auf die Selbsttötung als alternativlos und einzig gangbaren Weg in einer unerträglichen von Krisensituation unter Ausblendung aller entgegenstehenden Erwägungen“ auszugehen sei.
Die Tatsache, dass der Verstorbene seine Suizidhandlung bewusst und akribisch geplant habe, spreche nicht für seine Schuldfähigkeit. Der Sachverständige habe insoweit überzeugend dargelegt, dass der Verstorbene zu diesem Zeitpunkt nur noch ein Ziel – seinen Freitod – gekannt habe. Er habe weder zwischen richtig und falsch unterscheiden noch Alternativen wahrnehmen können.
Darüber hinaus bestehe nach Meinung des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. auch keine Ersatzpflicht der Beklagten aus Billigkeitsgründen (§ 829 BGB). Die Vermögensverhältnisse des Verstorbenen stellen sich nicht besser als die des Geschädigten dar. Die freiwillige Haftpflichtversicherung des Verstorbenen sei nicht in sein Vermögen einzubeziehen. Das Risiko, dass der Versicherungsnehmer einen Schaden herbeiführe, für den er nicht verantwortlich sei, sei grundsätzlich nicht versichert. Bestehe damit kein Versicherungsschutz, könne dieser auch keinen in den Vergleich der Vermögenslagen einzubeziehende Vermögenswert darstellen.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Hinweisbeschluss vom 20. April 2020 und Beschluss vom 24. Juni 2020 – 16 U 265/19
- LG Wiesbaden, Urteil vom 06.09.2019 – 3 O 182/16[↩][↩]
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