Hat der Käufer marktgängiger Ware über seine Zahlungswilligkeit oder ‑fähigkeit getäuscht, wird zu Gunsten des Verkäufers vermutet, dass der Kaufpreis ohne die Täuschung dem Verkäufer über ein Geschäft mit einem Dritten zugeflossen wäre.

Dies entschied jetzt der Bundesgerichtshof in einem Rechtsstreit, in dem der Vekäufer die Feststellung begehrte, dass seine Forderung gegen den Käufer eine solche aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung ist.
Rechtliches Interesse an der Feststellung
Zunächst bejaht der Bundesgerichtshof ein rechtliches Interesse der Klägerin an den begehrten Feststellungen durch richterliche Entscheidung (§ 256 Abs. 1 ZPO). Aufgrund der bisherigen Zahlungsverweigerung durch die Beklagten liegt es nahe, dass die Klägerin Zahlungen von den Beklagten nur im Wege der Zwangsvollstreckung erhalten wird. Nach § 850f Abs. 2 Halbsatz 1 ZPO kann das Vollstreckungsgericht, wenn die Vollstreckung „wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung betrieben“ wird, auf Antrag des Gläubigers den pfändbaren Teil des Arbeitseinkommens ohne Rücksicht auf die in § 850c ZPO vorgesehenen Beschränkungen bestimmen. Ist in dem zu vollstreckenden Titel keine auf eine vorsätzliche unerlaubte Handlung lautende Anspruchsgrundlage genannt, kann der Gläubiger im Vollstreckungsverfahren ohne Zustimmung des Schuldners nicht mehr nachweisen, dass der titulierte Anspruch auch auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruht [1]. Der Schuldner hat nämlich ein schützenswertes Interesse daran, sich bereits im Erkenntnisverfahren und nicht erst im Vollstreckungsverfahren darauf einstellen zu können, dass auch über den durch § 850f Abs. 2 ZPO erweiterten Umfang des Pfändungszugriffs gestritten wird. Umgekehrt kann der Gläubiger, wenn er auf die durch diese Norm erweiterte Pfändungsmöglichkeit Wert legt, den Anspruch aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung bereits im Erkenntnisverfahren geltend machen. Eine Entscheidung des Prozessgerichts kann er dadurch erzwingen, dass er neben dem Leistungsantrag die Feststellung eines derartigen Anspruchs begehrt [2].
Kaufpreis als deliktische Forderung
Im Streit steht sodann nur noch die Frage, ob der Klägerin der geltend gemachte Vermögensschaden der Höhe nach aufgrund eines deliktischen Schadensersatzanspruches zusteht. Dies ist zu bejahen.
Ob ein zu ersetzender Vermögensschaden vorliegt, ist bei Forderungen aus unerlaubter Handlung grundsätzlich nach der sog. Differenzhypothese zu ermitteln. Die Vermögenslage, die infolge des die Haftung begründenden Ereignisses eingetreten ist, ist mit derjenigen zu vergleichen, die ohne dieses Ereignis bestünde. Mithin hat der nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB zum Schadensersatz Verpflichtete den Differenzschaden zu ersetzen [3]. Davon zu unterscheiden ist der Anspruch auf Ersatz des Erfüllungsinteresses. Dieses ist zu ersetzen, wenn der Anspruchsinhaber verlangen kann, so gestellt zu werden, als ob eine Verbindlichkeit ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. Da die deliktische Haftung nicht an das Bestehen einer Verbindlichkeit und deren Nicht- oder Schlechterfüllung anknüpft, stellt sich im Deliktsrecht die Frage nach dem Erfüllungsinteresse als solche nicht [4]. Der deliktische Schadensersatzanspruch richtet sich allein auf das „Erhaltungsinteresse“ [5]. Das gilt für die deliktische Haftung grundsätzlich auch dann, wenn sie neben einer vertraglichen Schadensersatzpflicht besteht. Der durch eine unerlaubte Handlung Geschädigte hat grundsätzlich keinen Anspruch darauf, besser zu stehen als er stünde, wenn der Schädiger die unerlaubte Handlung nicht begangen hätte [6].
Allerdings muss der Differenzschaden nicht notwendigerweise geringer sein als das positive Interesse des Geschädigten an der Vertragserfüllung. So ist anerkannt, dass die Anwendung der Differenzhypothese in dem Fall, in dem der Geschädigte nachweist, dass er ohne die für den Abschluss des Vertrages ursächliche Täuschungshandlung einen anderen günstigeren oder gleichgünstigen Vertrag – mit seinem Vertragspartner oder einem Dritten – abgeschlossen hätte, im Ergebnis das Erfüllungsinteresse verlangen kann und zwar deswegen, weil der Schaden in diesem Ausnahmefall dem Erfüllungsinteresse entspricht [7].
Hätte nach den tatsächlichen Gegebenheiten der Verkauf der Ware in jedem Fall stattgefunden, ist dieser Umstand in die Betrachtung des hypothetischen Geschehensablaufes einzubeziehen. Dem Geschädigten wäre dann bei Wegfall der Täuschung der Vorteil in jedem Fall über ein hypothetisches Geschäft zugeflossen [8]. Dabei gelten für den deliktischen Anspruch die allgemeinen Regeln des Schadensrechts in den §§ 249 ff. BGB und mithin auch die Beweiserleichterung in § 252 Satz 2 BGB. Ist der Geschädigte Kaufmann, so entspricht es dem gewöhnlichen Lauf der Dinge, dass marktgängige Waren jederzeit zum Marktpreis abgesetzt werden können [9]. Diese Vermutung kann der Schädiger durch den Beweis entkräften, dass der Gewinn im tatsächlichen Verlauf doch nicht gemacht worden wäre [10], im Streitfall die Klägerin also das Heizöl nicht oder nicht zu dem mit den Beklagten vereinbarten Preis hätte verkaufen können.
Im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Streitfall zog das Berufungsgericht zwar nicht in Zweifel, dass die Klägerin das Heizöl jederzeit an einen Dritten zu den gleichen Bedingungen hätte verkaufen können, meint jedoch, dass der Klägerin ein über die Anschaffungs- und Lieferkosten hinausgehender Schaden nicht entstanden sei, weil ein Deckungskauf für das an die Beklagten gelieferte Heizöl ohne weiteres möglich gewesen und die Klägerin deshalb eines Geschäftes mit einem Dritten nicht verlustig gegangen sei. Diese Auffassung vermag der erkennende Bundesgerichtshof nicht zu teilen. Das Berufungsgericht lässt unberücksichtigt, dass der Verlust des Kaufpreises für die streitgegenständliche Lieferung nicht dadurch ausgeglichen wird, dass eine gleiche Menge Heizöl eingekauft werden kann. Die Klägerin hätte jedenfalls ohne den täuschungsbedingten Irrtum das Heizöl an Dritte verkauft und den der Höhe nach nicht im Streit stehenden Preis erzielt. Sie hat mithin in dieser Höhe einen Schaden erlitten und kann verlangen, wirtschaftlich so gestellt zu werden, als hätte sie den Kaufpreis erlangt.
Dem steht auch nicht der Schutzzweck des Betrugstatbestandes gemäß § 263 StGB entgegen. Zwar kann den Umfang des nach § 823 Abs. 2, §§ 249 ff. BGB geschuldeten Schadensersatzes auch der Normzweck des verletzten Schutzgesetzes, hier also des § 263 StGB, bestimmen [11]. Der Schaden der Klägerin, dem der mittels des täuschungsbedingten Irrtums erstrebte stoffgleiche Vermögensvorteil der Beklagten entspricht, besteht jedoch in dem Verlust des Eigentums an dem Heizöl, ohne dass in Höhe des Kaufpreises eine werthaltige Forderung im Vermögen der Klägerin begründet worden ist.
Inkassokosten und Verzugszinsen als deliktische Forderung
Dass es sich bei den Inkassokosten um Aufwendungen zur Rechtsverfolgung [12] handelt, die nach § 823 Abs. 2 BGB, § 263 StGB, § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB der Klägerin zustehen [13], zieht auch das Berufungsgericht grundsätzlich nicht in Zweifel. Auch die geltend gemachten Zinsen, die Folge der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung sind, werden vom Vollstreckungsprivileg des § 850f Abs. 2 ZPO erfasst [14].
Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 15. November 2011 – VI ZR 4/11
- BGH, Beschluss vom 26.09.2002 – IX ZB 180/02, BGHZ 152, 166, 168 ff.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 30.11.1989 – III ZR 215/88, BGHZ 109, 275, 276 ff.[↩]
- BGH, Urteil vom 18.01.2011 – VI ZR 325/09, BGHZ 188, 78 Rn. 8 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 18.01.2011 – VI ZR 325/09, aaO[↩]
- Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl., S. 67[↩]
- vgl. Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 8. Aufl., Rn. 867[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 18.01.2011 – VI ZR 325/09, aaO Rn. 10 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 29.06.1994 – VIII ZR 317/93, BGHZ 126, 305, 308 und vom 02.03.1988 – VIII ZR 380/86, NJW 1988, 2234, 2236[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 29.06.1994 – VIII ZR 317/93, aaO und vom 19.10.2005 – VIII ZR 392/03, NJW-RR 2006, 243 Rn. 9[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 02.03.1988 – VIII ZR 380/86 aaO[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 18.11.2003 – VI ZR 385/02, VersR 2004, 255; Palandt/Sprau, BGB 70. Aufl. § 823 Rn. 58 mwN[↩]
- BGH, Urteil vom 08.11.1994 – VI ZR 3/94, BGHZ 127, 348, 350 f.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 16.11.2010 – VI ZR 17/10, NZI 2011, 64 Rn. 8[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 10.03.2011 – VII ZB 70/08, WM 2011, 944 Rn. 12 ff.[↩]
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