Mit dem Vorliegen eines Gehörsverstoßes wegen überspannter Anforderungen an die hinreichende Substantiierung des Klägervortrags und deshalb unterbliebener Vernehmung des Beklagten als Partei hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen:

Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, den entscheidungserheblichen Sachvortrag der Partei in der nach Art. 103 GG gebotenen Weise zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise zu erheben1. Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten2.
Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht hiergegen verstoßen, indem es den Sachvortrag des Klägers als nicht hinreichend konkret angesehen und deshalb eine Beweisaufnahme abgelehnt hat. Jedenfalls dem Antrag auf Parteivernehmung des Geschäftsführers der Beklagten wäre nachzukommen gewesen.
Entgegen der Einschätzung des Berufungsgerichts ist der Vortrag des Klägers nicht schon wegen nicht hinreichender Substantiierung unschlüssig. Der Kläger hat vielmehr nach den oben angeführten Maßstäben eine im Fall ihrer Erweislichkeit die Tatbestandsmerkmale des § 823 Abs. 1 BGB erfüllende Indizienkette vorgetragen. Dabei durfte er sich auch auf nur vermutete Tatsachen stützen, denn er kann mangels Sachkunde und Einblick in die Produktionsabläufe der Beklagten keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben, weswegen er diese als Vermutungen in den Rechtsstreit einführen können muss3. Ein Vortrag „ins Blaue hinein“ oder „aufs Geratewohl“ auf der Basis von Vermutungen liegt angesichts der vom Kläger angeführten Anhaltspunkte, insbesondere der Erkrankung seiner Person sowie weiterer Kollegen und der Nähe deren Beschäftigungsortes zum Werk der Beklagten, nicht vor4. Soweit das Berufungsgericht aufgrund des Klägervortrags eine Verpflichtung der Beklagten angenommen hat, im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast näher zu ihren Produktionsabläufen vorzutragen, geht es in einem ersten Schritt zu Recht von der Schlüssigkeit des Klägervortrags aus. Das Berufungsgericht durfte aber nach dem daraufhin erfolgten, bestreitenden Vortrag der Beklagten den Eintritt in die Beweisaufnahme nicht von einer weiteren Präzisierung des Klägervortrags abhängig machen. Ob der bestreitende Vortrag der Beklagten insoweit wie das Berufungsgericht meint den Anforderungen der sekundären Darlegungslast genügt, kann dabei offenbleiben, denn das Berufungsgericht hat mit seiner Forderung nach präziserem Vortrag die Anforderungen an die Substantiierung des klägerischen Vorbringens überspannt.
Ein hinreichendes Bestreiten der Beklagten vorausgesetzt, hätte das Berufungsgericht jedenfalls die vom Kläger beantragte Vernehmung des Geschäftsführers der Beklagten als Partei durchführen müssen. In dieser Parteivernehmung liegt keine unzulässige Ausforschung. Vielmehr ist dem Kläger Gelegenheit zu geben, für seine Behauptung, im Betrieb der Beklagten werde Beryllium verwendet, den Wahrheitsbeweis zu führen. Die Vernehmung des Geschäftsführers der Beklagten als Partei nach § 445 ZPO ist dabei kein von vornherein ungeeignetes Beweismittel.
Für das weitere Verfahren weist der Bundesgerichtshof desweiteren darauf hin, dass das Berufungsgericht den Antrag des Klägers auf Vorlage der Einkaufslisten nach § 142 ZPO nicht mit der gegebenen Begründung hätte ablehnen dürfen. Anders als das Berufungsgericht meint, ist für eine Vorlageanordnung kein materiellrechtlicher Auskunftsoder Herausgabeanspruch Voraussetzung5. Die Vorlagepflicht des Gegners nach § 422 ZPO steht neben der Befugnis des Gerichts, eine Vorlage anzuordnen6. Den erforderlichen schlüssigen Vortrag zur Relevanz7 der Einkaufslisten hat der Kläger gehalten, denn aus diesen kann ersehen werden, ob die Beklagte berylliumhaltige Materialien eingekauft hat. Das Berufungsgericht war also verpflichtet, darzustellen, aufgrund welcher Ermessenserwägungen es von einer Vorlageanordnung abgesehen hat8.
Zur Einholung eines Sachverständigengutachtens entsprechend dem klägerischen Antrag war das Berufungsgericht nach der bisherigen Prozesslage nicht verpflichtet, denn hierfür fehlt es bislang an hinreichenden Anknüpfungstatsachen, so dass sich das beantragte Sachverständigengutachten derzeit nicht als geeignetes Beweismittel darstellt9. Nach der durchzuführenden Parteivernehmung des Geschäftsführers könnte sich dies abhängig von den dort erzielten Ergebnissen aber anders darstellen.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26. März 2019 – VI ZR 163/17
- BGH, Beschluss vom 14.03.2017 – VI ZR 225/16, VersR 2017, 966 Rn. 7; BGH, Urteil vom 29.02.2012 – VIII ZR 155/11, NJW 2012, 1647 Rn. 14 mwN[↩]
- BGH, Beschluss vom 25.09.2018 – VI ZR 234/17, MDR 2019, 119 8 mwN und zust. Anm. Schwenker in MDR 2019, 212; BGH, Beschluss vom 21.05.2007 – II ZR 266/04, WM 2007, 1569 Rn. 8; BGH, Urteil vom 29.02.2012 – VIII ZR 155/11, NJW 2012, 1647 Rn. 16; BVerfG, WM 2012, 492 16; jeweils mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 10.01.1995 – VI ZR 31/94, VersR 1995, 433 15 ff.[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 17.06.1997 – VI ZR 372/95, NJW 1997, 2748, 2749; und vom 25.04.1995 – VI ZR 178/94, VersR 1995, 852 13; BGH, Urteile vom 04.03.1991 – II ZR 90/90, MDR 1991, 688 18; vom 19.09.1985 – IX ZR 138/84, VersR 1986, 160 27; und vom 23.10.1986 – VII ZR 195/85, NJW-RR 1987, 335 9 sowie Zöller/Greger, 32. Aufl.2018, vor § 284 ZPO Rn. 8 d[↩]
- BGH, Urteil vom 26.06.2007 – XI ZR 277/05, BGHZ 173, 23 Rn.20; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl.2018, § 142 Rn. 2[↩]
- BT-Drs. 14/4722 S. 78; Zöller/Geimer, aaO, § 422 Rn. 2[↩]
- vgl. Zöller/Greger, aaO, § 142 Rn. 7[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2007 – XI ZR 277/05, BGHZ 173, 23 16 ff.[↩]
- Stein/Jonas/Ch. Berger, ZPO, 23. Aufl.2015, § 403 Rn. 3[↩]
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