Unter dem Schriftsatz: Unterschrift oder Gekritzel?

Mit den Anforderungen an eine Unterschrift im Sinne des § 130 Nr. 6 ZPO1 hat sich aktuell der Bundesgerichtshof befasst:

Unter dem Schriftsatz: Unterschrift oder Gekritzel?

Die Berufungsschrift muss als bestimmender Schriftsatz im Anwaltsprozess grundsätzlich von einem Rechtsanwalt eigenhändig unterschrieben sein (§ 130 Nr. 6, § 519 Abs. 4 ZPO). Eine den Anforderungen des § 130 Nr. 6 ZPO genügende Unterschrift setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen die Identität des Unterzeichnenden ausreichend kennzeichnenden Schriftzug voraus, der individuelle und entsprechend charakteristische Merkmale aufweist, die die Nachahmung erschweren, der sich als Wiedergabe eines Namens darstellt und der die Absicht einer vollen Unterschrift erkennen lässt, selbst wenn er nur flüchtig niedergelegt und von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichnet ist. Unter diesen Voraussetzungen kann selbst ein vereinfachter und nicht lesbarer Namenszug – anders als eine dem äußeren Erscheinungsbild nach bewusste und gewollte Namensabkürzung2 – als Unterschrift anzuerkennen sein, wobei insbesondere von Bedeutung ist, ob der Unterzeichner auch sonst in gleicher oder ähnlicher Weise unterschreibt3.

In Anbetracht der Variationsbreite, die selbst Unterschriften ein und derselben Person aufweisen, ist jedenfalls bei gesicherter Urheberschaft bei den an eine Unterschrift zu stellenden Anforderungen ein großzügiger Maßstab anzulegen4. Denn die Unterschrift soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen. Zugleich soll sichergestellt werden, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist5. Beides ist gewährleistet, wenn feststeht, dass die Unterschrift von dem Anwalt stammt6.

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Gemessen an diesen Grundsätzen handelte es sich für den Bundesgerichtshof im hier entschiedenen Fall bei dem Schriftzug auf der Berufungsschrift um eine Unterschrift im Sinne des § 130 Nr. 6 ZPO. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main ist im vorliegenden Fall in seinem Verwerfungsbeschluss7 zwar von zutreffenden rechtlichen Maßstäben ausgegangen; es hat jedoch die Anforderungen an die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten des Klägers auf der Berufungsschrift überspannt.

Ob die Berufungsschrift der Prozessordnung gemäß unterzeichnet ist, hat der Bundesgerichtshof von Amts wegen zu prüfen. Die Zulässigkeit der Berufung ist eine Prozessvoraussetzung, von der das gesamte weitere Verfahren nach Einlegung der Berufung in seiner Gültigkeit und Rechtswirksamkeit abhängt8. Die hierfür erforderlichen Feststellungen trifft der Bundesgerichtshof selbständig ohne Bindung an die Ausführungen des Berufungsgerichts9.

Bei dem vom Prozessbevollmächtigten des Klägers bei der Unterzeichnung der Berufungsschrift verwendeten Schriftzug handelt es sich um eine formgültige, einfach strukturierte, gleichwohl aber vollständige Namensunterschrift.

Dem Oberlandesgericht Frankfurt (OLG Frankfurt a.M., aaO.)) ist zwar darin zu folgen, dass diese Unterschrift – anders als jene Unterschrift, mit der der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Klageschrift und auch weitere gegenüber dem Landgericht abgegebene Schriftsätze unterzeichnet hat – keinen lesbaren Namenszug erkennen lässt. Es hat aber nicht hinreichend beachtet, dass für die Frage, ob eine formgültige Unterschrift vorliegt, nicht die Lesbarkeit oder die Ähnlichkeit des handschriftlichen Gebildes mit den Namensbuchstaben entscheidend ist, sondern es darauf ankommt, ob der Name vollständig, wenn auch nicht unbedingt lesbar, wiedergegeben wird10.

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Das ist der Fall. Der Schriftzug auf der Berufungsschrift, der vor allem aus einem in die Länge gezogenen, nach oben offenen Halbkreis mit jeweils nach innen weisenden kurzen Schnörkeln besteht, lässt die Absicht erkennen, eine volle Unterschrift zu leisten und den Schriftsatz nicht lediglich mit einer Paraphe oder Abkürzung abzuzeichnen. Die die Länge und Grundform betreffende Grundstruktur dieses Schriftzuges hat unverkennbar erhebliche Ähnlichkeiten mit jenem Schriftzug, den der Prozessbevollmächtigte des Klägers zu Beginn des Verfahrens verwendet hat. Er ist zwar einfach strukturiert und einem starken Abschleifungsprozess unterlegen, aber dennoch hinreichend individuell ausgeführt, so dass ihm insgesamt der Charakter einer Unterschrift nicht abgesprochen werden kann11.

Entscheidend tritt hinzu, dass Zweifel an der Urheberschaft des Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht bestehen12, so dass – wie dargelegt – eine großzügige Betrachtungsweise geboten ist. Für seine Urheberschaft spricht nicht nur die maschinenschriftliche Namenswiedergabe nebst Berufsbezeichnung13. Vor allem hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers bereits im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens seine Unterschrift umgestellt und mehrfach wie später in der Berufungs- und in der Berufungsbegründungsschrift unterschrieben. Der auf der Berufungsschrift verwendete Schriftzug findet sich – vor der Rüge der Ordnungsgemäßheit des Schriftzuges durch die Beklagte vom 27.11.2015 – erstmals im Schriftsatz vom 08.06.2015, danach im Schriftsatz vom 06.07.2015, im Empfangsbekenntnis vom 27.07.2015, mit dem der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Zugang des erstinstanzlichen Urteils bestätigt hat, im Antrag auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung vom 27.08.2015 sowie im Schriftsatz vom 09.09.2015. Für eine Unterzeichnung durch eine andere Person als den als Einzelanwalt tätigen Prozessbevollmächtigten des Klägers oder eine Fälschung der Unterschrift fehlt damit jeder Anhaltspunkt14. Dem Sinn und Zweck des Unterschriftenerfordernisses aus § 519 Abs. 4, § 130 Nr. 6 ZPO, die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung zu ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck zu bringen, die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen, ist mit dieser Unterzeichnung der Berufungsschrift durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers Genüge getan.

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Die auf der unzutreffenden Annahme einer nicht ordnungsgemäß unterzeichneten Berufungsschrift beruhende Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren15.

Die Berufung des Klägers ist daher rechtzeitig und formgerecht eingelegt worden. Zwar hat das Oberlandesgericht Frankfurt (OLG Frankfurt a.M., aaO.)) in seinem Verwerfungsbeschluss offen gelassen, ob die Berufungsbegründungsschrift ordnungsgemäß unterzeichnet ist. Jedoch bestehen nach den dargelegten Grundsätzen auch insoweit keine berechtigten Bedenken. Das Berufungsgericht hätte demnach die Berufung nicht als unzulässig verwerfen dürfen. Der Beschluss war daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29. November 2016 – VI ZB 16/16

  1. im Anschluss an BGH, Beschluss vom 03.03.2015 – VI ZB 71/14, VersR 2015, 1045[]
  2. vgl. BGH, Beschluss vom 11.04.2013 – VII ZB 43/12, NJW 2013, 1966 Rn. 8; Urteil vom 10.07.1997 – IX ZR 24/97, VersR 1998, 340, jeweils mwN[]
  3. BGH, Beschluss vom 03.03.2015 – VI ZB 71/14, VersR 2015, 1045 Rn. 8 mwN; BGH, Beschlüsse vom 09.07.2015 – V ZB 203/14, NJW 2015, 3104 Rn. 7; vom 16.07.2013 – VIII ZB 62/12, NJW-RR 2013, 1395 Rn. 11, jeweils mwN[]
  4. BGH, Beschluss vom 03.03.2015 – VI ZB 71/14, VersR 2015, 1045 Rn. 8 mwN; BGH, Beschlüsse vom 09.07.2015 – V ZB 203/14, NJW 2015, 3104 Rn. 7; vom 16.07.2013 – VIII ZB 62/12, NJW-RR 2013, 1395 Rn. 12[]
  5. BGH, Beschluss vom 03.03.2015 – VI ZB 71/14, VersR 2015, 1045 Rn. 7; BGH, Beschlüsse vom 26.04.2012 – VII ZB 36/10, NJW-RR 2012, 1140 Rn. 7 mwN; vom 26.10.2011 – IV ZB 9/11 6 mwN[]
  6. BGH, Beschlüsse vom 16.07.2013 – VIII ZB 62/12, NJW-RR 2013, 1395 Rn. 12; vom 27.09.2005 – VIII ZB 105/04, VersR 2006, 1661 Rn. 8; vgl. auch BGH, Beschluss vom 22.11.2005 – VI ZB 75/04, VersR 2006, 387 Rn. 5 mwN[]
  7. OLG Franfkurt a.M., Beschluss vom 01.02.2016 – 14 U 124/15[]
  8. vgl. BGH, Urteil vom 26.06.1952 – IV ZR 36/52, BGHZ 6, 369, 370[]
  9. BGH, Beschluss vom 03.03.2015 – VI ZB 71/14, VersR 2015, 1045 Rn. 10 mwN; BGH, Beschlüsse vom 09.07.2015 – V ZB 203/14, NJW 2015, 3104 Rn. 8; vom 26.04.2012 – VII ZB 36/10, NJW-RR 2012, 1140 Rn. 9[]
  10. vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 03.03.2015 – VI ZB 71/14, VersR 2015, 1045 Rn. 11; BGH, Beschluss vom 09.02.2010 – VIII ZB 67/09 11, jeweils mwN[]
  11. vgl. BGH, Beschlüsse vom 27.09.2005 – VIII ZB 105/04, VersR 2006, 1661 Rn. 9; vom 09.07.2015 – V ZB 203/14, NJW 2015, 3104 Rn. 10 f.[]
  12. vgl. BGH, Beschlüsse vom 16.07.2013 – VIII ZB 62/12, NJW-RR 2013, 1395 Rn. 13; vom 26.04.2012 – VII ZB 36/10, NJW-RR 2012, 1140 Rn. 13[]
  13. vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 03.03.2015 – VI ZB 71/14, VersR 2015, 1045 Rn. 13; BGH, Beschlüsse vom 09.07.2015 – V ZB 203/14, NJW 2015, 3104 Rn. 8; vom 27.09.2005 – VIII ZB 105/04, VersR 2006, 1661 Rn. 9[]
  14. vgl. BGH, Beschluss vom 17.11.2009 – XI ZB 6/09, NJW-RR 2010, 358 Rn. 15[]
  15. vgl. BGH, Beschluss vom 08.04.2014 – VI ZB 1/13, VersR 2015, 384 Rn. 5; BVerfGE 69, 381, 385; BVerfG, NJW-RR 2002, 1004, jeweils mwN[]
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