Wird eine Verfassungsbeschwerde gegen eine einstweilige Verfügung dadurch erledigt, dass die einstweilige Verfügung auf – am selben Tag wie die Verfassungsbeschwerde eingelegten – Antrag der Beschwerdeführerin durch Urteil des Landgerichts aufgehoben wird, besteht kein Anspruch der Beschwerdeführerin auf Erstattung ihrer notwendigen Auslagen.

Über die Verfassungsbeschwerde ist infolge der Erledigungserklärung der Beschwerdeführerin nicht mehr zu entscheiden1. Gegenstand des Verfahrens ist nur noch der Antrag bezüglich der Auslagen. Darüber zu entscheiden, obliegt der Kammer2. Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach Erledigung der Verfassungsbeschwerde ist über die Erstattung der dem Beschwerdeführer entstandenen Auslagen nach Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden, § 34a Abs. 3 BVerfGG. Die Erstattung der Auslagen nach dieser Vorschrift stellt im Hinblick auf die Kostenfreiheit des Verfahrens (§ 34 Abs. 1 BVerfGG), den fehlenden Anwaltszwang und das Fehlen eines bei Unterliegen des Beschwerdeführers erstattungsberechtigten Gegners die Ausnahme von dem Grundsatz des Selbstbehalts der eigenen Auslagen dar3. Bei der Entscheidung ist eine Gesamtwürdigung aller bekannten Umstände vorzunehmen4. Mit Blick auf die Funktion und Tragweite verfassungsgerichtlicher Entscheidungen kommt eine summarische Prüfung der Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde jedoch regelmäßig nicht in Betracht5.
Hingegen kann insbesondere dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, wesentliche Bedeutung zukommen6. Vor allem dann, wenn die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt beseitigt oder der Beschwer auf andere Weise abhilft und davon ausgegangen werden kann, dass sie das Begehren des Beschwerdeführers selbst für berechtigt gehalten hat, kann es billig sein, dem Beschwerdeführer seine Auslagen zu erstatten7. So lag es hier jedoch nicht. Denn das Landgericht hat die einstweilige Verfügung nicht aus geänderter Auffassung über ihr korrektes Zustandekommen aufgehoben, sondern auf Antrag der Beschwerdeführerin wegen nachträglich veränderter Umstände (§ 927 ZPO) und im Wege des Versäumnisurteils allein auf Vortrag der Beschwerdeführerin über die nicht binnen der Vollziehungsfrist erfolgte Sicherheitsleistung; die Verfassungsmäßigkeit des vorangehenden Erlasses der einstweiligen Verfügung war dabei nicht zu überprüfen.
Die Auslagenerstattung entspricht auch regelmäßig nicht der Billigkeit, wenn die Verfassungsbeschwerde vom Zeitpunkt ihrer Einlegung an unzulässig war8 und dies bis zur Erledigung durch die Abhilfe im fachgerichtlichen Verfahren geblieben ist9. Das war hier der Fall.
Die vorliegend für erledigt erklärte Verfassungsbeschwerde wahrte nicht den in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG angelegten Grundsatz der Subsidiarität. Zwar war mit der Entscheidung über die Anhörungsrüge gegen das Urteil des Oberlandesgerichts der Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG erschöpft. Aus dem subsidiären Charakter der Verfassungsbeschwerde als außerordentlicher Rechtsbehelf sowie der Kompetenzverteilung zwischen den Fachgerichten und dem Bundesverfassungsgericht folgt aber, dass der Beschwerdeführer über das Erfordernis einer Rechtswegerschöpfung im engeren Sinn hinaus vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde grundsätzlich alle ihm zumutbaren, nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen muss, um den geltend gemachten Verstoß gegen Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte zu verhindern oder dessen Korrektur zu erwirken10.
Die Beschwerdeführerin hat im vorliegenden Fall am selben Tag wie die Verfassungsbeschwerde den Antrag an das Landgericht Frankenthal auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung wegen veränderter Umstände eingereicht. Ihrer eigenen Auffassung nach konnte die angegriffene einstweilige Verfügung also bereits zum Zeitpunkt der Einlegung der Verfassungsbeschwerde durch fachgerichtliche Aufhebung aus der Welt geschafft werden, womit sie schließlich auch Erfolg hatte.
Dem steht auch nicht entgegen, dass mit der Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Anhörungsrüge der Rechtsweg innerhalb des Verfügungsverfahrens erschöpft war und die Monatsfrist für die Verfassungsbeschwerde gegen die angegriffenen Entscheidungen des Oberlandesgerichts in Gang gesetzt wurde. Denn die Beschwerdeführerin hätte vorsorglich fristwahrend Verfassungsbeschwerde einlegen können11. Dann hätte sie jedoch zur Vermeidung der Unzulässigkeit darlegen müssen, dass sie parallel fachgerichtlichen Rechtsschutz sucht; die Verfassungsbeschwerde hätte in dieser Konstellation bis zur Entscheidung gemäß § 927 ZPO zunächst im Allgemeinen Register geführt werden können12. Die Beschwerdeführerin hat das parallel angestrengte fachgerichtliche Rechtsschutzersuchen in ihrer Verfassungsbeschwerde jedoch nicht erwähnt.
Die allein auf die angebliche Verletzung rechtlichen Gehörs gestützte Verfassungsbeschwerde war zudem deshalb offensichtlich unzulässig, weil ihre Begründung nicht den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprach. Diese verlangen bei einer Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs die Vorlage der angegriffenen Entscheidungen, aber auch derjenigen Schriftstücke, ohne deren Kenntnis sich die Berechtigung der geltend gemachten Rügen nicht beurteilen lässt, zumindest aber deren Wiedergabe ihrem wesentlichen Inhalt nach13. Dem genügte die Verfassungsbeschwerde nicht. Denn sie legt das Protokoll der mündlichen Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht nicht vor, auf welches das Oberlandesgericht in seiner Entscheidung über die Anhörungsrüge ausdrücklich Bezug nimmt.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 5. Oktober 2022 – 1 BvR 856/22
- vgl. BVerfGE 85, 109 <113>[↩]
- vgl. BVerfGE 72, 34 <38 f.> BVerfG, Beschlüsse vom 30.09.2020 – 1 BvR 2869/18, Rn. 1; und vom 10.03.2021 – 1 BvR 2583/20, Rn. 11[↩]
- vgl. BVerfGE 66, 152 <154> BVerfG, Beschlüsse vom 30.09.2020 – 1 BvR 2869/18, Rn. 2; und vom 10.03.2021 – 1 BvR 2583/20, Rn. 12[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss der Ersten Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2017 – 1 BvR 309/11, Rn. 2; Beschlüsse vom 23.01.2019 – 1 BvR 2066/18, Rn. 2; und vom 30.09.2020 – 1 BvR 2869/18, Rn. 2 sowie vom 09.07.2020 – 1 BvR 1054/20, Rn. 2; und vom 10.03.2021 – 1 BvR 2583/20, Rn. 12[↩]
- vgl. BVerfGE 85, 109 <115> 87, 394 <398> 133, 37 <38 Rn. 2>[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.10.2021 – 1 BvR 609/21, Rn. 9; Beschluss vom 18.05.2022 – 1 BvR 911/22, Rn. 2[↩]
- vgl. BVerfGE 85, 109 <114 f.> 87, 394 <397> 133, 37 <38 Rn. 2>[↩]
- vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 23.01.2019 – 1 BvR 2066/18, Rn. 2; und vom 09.07.2020 – 1 BvR 1054/20, Rn. 2; Beschluss vom 16.09.2020 – 1 BvR 1977/20, Rn. 3; Beschluss vom 07.10.2021 – 1 BvR 609/21, Rn. 9[↩]
- BVerfG, Beschlüsse vom 23.01.2019 – 1 BvR 2066/18, Rn. 2; und vom 09.07.2020 – 1 BvR 1054/20, Rn. 2[↩]
- vgl. BVerfGE 81, 22 <27> 84, 203 <208> 95, 163 <171> BVerfG, Beschluss vom 12.11.2021 – 1 BvR 576/19, Rn. 8; Beschluss vom 07.04.2022 – 2 BvR 2194/21, Rn. 51; stRspr[↩]
- zur vorsorglichen Einlegung der Verfassungsbeschwerde BVerfGE 19, 323 <330> 28, 1 <7> 48, 341 <346>[↩]
- vgl. Henke, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf (Hrsg.), BVerfGG, 2. Aufl.2022, § 90 Rn.201[↩]
- vgl. BVerfGE 93, 266 <288> 129, 269 <278> BVerfG, Beschluss vom 07.04.2022 – 2 BvR 2194/21, Rn. 17; Beschluss vom 26.04.2022 – 1 BvR 674/22, Rn. 17[↩]
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