Verjährung des Schadensersatzanspruchs in Dieselfällen

Mit der Verjährung des Schadensersatzanspruchs nach § 826 BGB in einem sogenannten Dieselfall (hier: EA 189) hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen – und dabei eine Verjährung der Schadensersatzansprüche mit dem Jahresende 2019 im Grundsatz bestätigt:

Verjährung des Schadensersatzanspruchs in Dieselfällen

Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist für den Schadensersatzanspruch nach §§ 826, 31 BGB drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).

Darauf, ob die Autokäuferin im hier entschiedenen Fall bereits im Jahr 2015 positive Kenntnis von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs hatte und ob das Olberlandesgericht Stuttgart1 einen diesbezüglichen Beweisantritt der Autoherstellerinn fehlerhaft übergangen hat, kommt es nicht entscheidungserheblich an. Denn jedenfalls hat das Olberlandesgericht Stuttgart zu Unrecht angenommen, die Autokäuferin habe die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis ohne grobe Fahrlässigkeit im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB erst im Jahr 2017 erlangt. Grob fahrlässige Unkenntnis der Autokäuferin von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs lag vielmehr schon bis Ende 2016 vor. Ausgehend hiervon ist die Klageforderung verjährt.

Wie der Bundesgerichtshof bereits wiederholt entschieden hat, genügt es in Fällen der vorliegenden Art für den Beginn der Verjährung gemäß § 199 Abs. 1 BGB, dass der geschädigte Fahrzeugkäufer Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal im Allgemeinen, von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs und von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung hat, wobei letztere Kenntnis nicht gesondert festgestellt werden muss, sondern naturgemäß beim Geschädigten vorhanden ist2.

Dass die Autokäuferin – spätestens im Jahr 2016 – allgemeine Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal hatte, steht nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Oberlandesgerichts Stuttgart, die durch entsprechende Bezugnahme auch den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils und das dort wiederum in Bezug genommene Protokoll der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung umfassen, außer Streit. Die Autokäuferin hat im Rahmen ihrer informatischen Anhörung durch das Landgericht erklärt, bereits vor dem Jahr 2017 vom „Abgasskandal“ gehört zu haben, wobei ihr lediglich nicht klar gewesen sei, dass ihr Auto davon betroffen sei.

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Das Olberlandesgericht Stuttgart ist indes zu Unrecht nicht von einer – gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB der positiven Kenntnis gleichstehenden – grob fahrlässigen Unkenntnis der Autokäuferin von der konkreten Betroffenheit ihres Fahrzeugs im Jahr 2016 ausgegangen.

Die tatrichterliche Beurteilung, ob einer Partei der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis zu machen ist, unterliegt der Nachprüfung durch das Revisionsgericht nur dahin, ob der Streitstoff umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denk- und Erfahrungssätze gewürdigt worden ist und ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat3. Unter Berücksichtigung dieses Prüfungsmaßstabs ist die Würdigung des Oberlandesgerichts Stuttgart, der Lauf der Verjährungsfrist sei erst durch positive Kenntnis der Autokäuferin im Jahr 2017 in Gang gesetzt worden, rechtsfehlerhaft.

Das Olberlandesgericht Stuttgart hat nicht in Bedacht genommen, dass die Autokäuferin der den Verjährungsbeginn auslösende Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB bereits im Jahr 2016 trifft.

Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB liegt dann vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder dasjenige nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können4.

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Dabei bezieht sich die grob fahrlässige Unkenntnis ebenso wie die Kenntnis auf Tatsachen, auf alle Merkmale der Anspruchsgrundlage und bei der Verschuldenshaftung auf das Vertretenmüssen des Schuldners. Dagegen ist grundsätzlich nicht vorausgesetzt, dass der Gläubiger hieraus die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht. Ausreichend ist, wenn dem Gläubiger aufgrund der ihm grob fahrlässig unbekannt gebliebenen Tatsachen hätte zugemutet werden können, zur Durchsetzung seiner Ansprüche gegen eine bestimmte Person aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos Klage – sei es auch nur in Form einer Feststellungsklage – zu erheben5.

Den Geschädigten trifft dabei im Allgemeinen weder eine Informationspflicht noch besteht für ihn eine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Initiative zur Klärung von Schadenshergang oder Person des Schädigers zu entfalten. Inwieweit der Gläubiger zur Vermeidung der groben Fahrlässigkeit zu einer aktiven Ermittlung gehalten ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Das Unterlassen einer solchen Ermittlung ist nur dann als grob fahrlässig einzustufen, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Unterlassen aus der Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Gläubigers als unverständlich erscheinen lassen. Für den Gläubiger müssen konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein, so dass er aus verständiger Sicht gehalten ist, die Voraussetzungen des Anspruchs aufzuklären, soweit sie ihm nicht ohnehin bekannt sind6.

Nach diesen Grundsätzen ist von einer grob fahrlässigen Unkenntnis der Autokäuferin von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB jedenfalls bis Ende 2016 auszugehen. Ausgehend von ihrer allgemeinen Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal hatte sie spätestens bis Ende 2016 Veranlassung, die Betroffenheit ihres eigenen Fahrzeugs zu ermitteln. Nach den unangegriffenen Feststellungen des Oberlandesgerichts Stuttgart wurde über die Betroffenheit anderer Konzernmarken wie Audi, Skoda und Seat vom sogenannten Dieselskandal von Anfang an berichtet. Über die freigeschaltete Online-Plattform bestand seit Oktober 2015 ohne Weiteres die Möglichkeit, die tatsächliche Betroffenheit eines Fahrzeugs leicht in Erfahrung zu bringen. Daneben bestand die Möglichkeit, sich in direktem (schriftlichem oder telefonischem) Kontakt mit der Autoherstellerinn zu informieren, ob in einem konkreten Pkw die Software verbaut ist. Weitergehender Feststellungen des Oberlandesgerichts Stuttgart – etwa zu der Frage, ob die Autokäuferin von der Möglichkeit, auf der Internetplattform die Betroffenheit ihres Fahrzeugs vom sogenannten Dieselskandal festzustellen, in den Jahren 2015 und 2016 Kenntnis hatte – bedurfte es nicht. Sie wäre bei den gebotenen Nachforschungen ohne Weiteres auf die Internetseite gestoßen. Darüber hinaus hätte sie sich ohne Weiteres telefonisch oder schriftlich mit der Autoherstellerinn in Verbindung setzen können. Sie hätte sich dadurch Gewissheit über die Betroffenheit ihres Fahrzeugs durch Inanspruchnahme öffentlich verfügbarer Informationsquellen verschaffen können. Die Autokäuferin hat damit auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeiten, die weder besondere Kosten noch nennenswerte Mühe verursacht hätten, nicht ausgenutzt7.

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Auch der Umstand, dass die Autokäuferin nach einer allgemeinen Ankündigung der Autoherstellerinn, die Kunden zu informieren, kein Anschreiben im Jahr 2016 bekommen haben will, und Kunden Ende 2015 noch gebeten wurden, weitere schriftliche Informationen abzuwarten, bevor sie aktiv Kontakt zu einem Volkswagen-Partnerbetrieb aufnehmen, begründete kein zeitlich unbegrenztes berechtigtes Vertrauen der Autokäuferin darauf, dass ihr Fahrzeug nicht betroffen sei8. Angesichts der Länge des seit Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals verstrichenen Zeitraums bestand für die Autokäuferin spätestens bis Ende 2016 Anlass, diese Betroffenheit selbst zu recherchieren9. Dies nicht getan zu haben, war grob fahrlässig.

Der Autokäuferin, die Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal im Allgemeinen hatte und der hinsichtlich der konkreten Betroffenheit ihres Fahrzeugs grob fahrlässige Unkenntnis anzulasten ist, war es im Jahr 2016 auch zumutbar, Klage zu erheben und ihren Anspruch gegen die Autoherstellerin aus §§ 826, 31 BGB gerichtlich geltend zu machen10.

Die Zumutbarkeit der Klageerhebung als übergreifender Voraussetzung für den Verjährungsbeginn ist gegeben, wenn die Klage bei verständiger Würdigung hinreichende Erfolgsaussichten hat; es ist nicht erforderlich, dass die Rechtsverfolgung risikolos möglich ist11. Die Frage, wann eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die zur Unzumutbarkeit der Klageerhebung führt, unterliegt der uneingeschränkten Beurteilung durch das Revisionsgericht12.

Die Rechtslage für die Haftung wegen manipulierter Dieselfahrzeuge war auf der Grundlage der vom Olberlandesgericht Stuttgart getroffenen Feststellungen im Jahre 2016 nicht mehr in einem die Unzumutbarkeit der Klageerhebung begründenden Maße zweifelhaft. Namentlich bedurfte es keiner näheren Kenntnis darüber, welche im Sinne des § 31 BGB maßgeblichen Personen im Einzelnen für den Abgasskandal verantwortlich sind13. Auch darauf, ob die Autokäuferin bereits im Jahr 2016 aus den ihr bekannten sowie grob fahrlässig unbekannt gebliebenen Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse hätte ziehen, insbesondere aus ihnen einen Anspruch aus § 826 BGB hätte herleiten müssen, kommt es nicht an14. Dass noch nicht alle Fragen aus dem sogenannten Dieselskandal durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt waren, kann die Unzumutbarkeit der Klageerhebung bei gesicherter Tatsachengrundlage ebenfalls nicht begründen15

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Die dreijährige Verjährungsfrist für den mit der Klage geltend gemachten Schadensersatzanspruch begann folglich mit dem Schluss des Jahres 2016 zu laufen und endete mit Ablauf des Jahres 2019. Bei Klageerhebung im Jahre 2020 war daher bereits Verjährung eingetreten.

Soweit die Autokäuferin geltend gemacht hat, die Erhebung der Verjährungseinrede durch die Autoherstellerin sei treuwidrig beziehungsweise rechtsmissbräuchlich, kann sie hiermit nicht gehört werden.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Erhebung der Verjährungseinrede gemäß § 242 BGB treuwidrig und unwirksam, wenn der Gläubiger aus dem gesamten Verhalten des Schuldners für diesen erkennbar das Vertrauen schöpfte und auch schöpfen durfte, dass der Schuldner die Verjährungseinrede nicht erheben, sondern sich auf sachliche Einwände beschränken werde. Dieser Vertrauensschutz reicht aber nur so weit und gilt nur so lange, wie die den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung begründenden Umstände fortdauern und den Gläubiger von der rechtzeitigen Klageerhebung abhalten16.

Gemessen daran vermag die Autokäuferin den Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens nicht mit Erfolg auf eine ihres Erachtens zum Abwarten auffordernde Mitteilungspraxis der Autoherstellerinn im Zeitraum seit 2015 zu stützen. Damit zeigt die Autokäuferin keinen konkreten Umstand auf, an den sich die berechtigte Erwartung der Autokäuferin knüpfen ließe, die Autoherstellerin werde die Verjährungseinrede dauerhaft nicht erheben17.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. Juli 2022 – VII ZR 422/21

  1. OLG Stuttgart, Urteil vom 13.04.2021 – 12 U 327/20[]
  2. vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2022 – VII ZR 365/21 Rn. 17 m.w.N., NJW 2022, 1311[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2022 – VII ZR 396/21 Rn. 22 m.w.N., MDR 2022, 558[]
  4. BGH, Urteil vom 10.02.2022 – VII ZR 396/21 Rn. 23 m.w.N., MDR 2022, 558[]
  5. BGH, Urteil vom 10.02.2022 – VII ZR 396/21 Rn. 24 m.w.N., MDR 2022, 558[]
  6. BGH, Urteil vom 10.02.2022 – VII ZR 396/21 Rn. 25 m.w.N., MDR 2022, 558[]
  7. vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2022 – VII ZR 679/21 Rn. 31 m.w.N.[]
  8. vgl. auch BGH, Urteil vom 09.05.2022 – VIa ZR 441/21 Rn. 14, NJW 2022, 2028[]
  9. vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2022 – VII ZR 679/21 Rn. 32[]
  10. vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2022 – VII ZR 679/21 Rn. 33 ff.[]
  11. vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2022 – VII ZR 679/21 Rn. 34, juris; Urteil vom 17.12.2020 – VI ZR 739/20 Rn. 11, NJW 2021, 918[]
  12. vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2022 – VII ZR 679/21 Rn. 34, juris; Urteil vom 17.12.2020 – VI ZR 739/20 Rn. 16, NJW 2021, 918[]
  13. vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2022 – VII ZR 679/21 Rn. 35, juris; Urteil vom 17.12.2020 – VI ZR 739/20 Rn. 23, NJW 2021, 918[]
  14. vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2022 – VII ZR 679/21 Rn. 35, juris; Urteil vom 17.12.2020 – VI ZR 739/20 Rn. 26 ff., NJW 2021, 918[]
  15. vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2022 – VII ZR 679/21 Rn. 35, juris; Urteil vom 17.12.2020 – VI ZR 739/20 Rn. 11 ff., NJW 2021, 918[]
  16. vgl. BGH, Urteil vom 27.01.1999 – XII ZR 113/97, NJW 1999, 1101 30; Urteil vom 06.12.1990 – VII ZR 126/90, BauR 1991, 215 11; Urteil vom 12.12.1978 – VI ZR 159/77, VersR 1979, 284 11[]
  17. vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2022 – VII ZR 692/21 Rn. 37 ff., MDR 2022, 559; Urteil vom 10.02.2022 – VII ZR 717/21 Rn. 31 ff.[]
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