Der Begriff der Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist von einer absoluten Gewissheit abzugrenzen [1]. Wenn eine Person eine inhaltlich zutreffende Information aus einer verlässlichen Quelle erhält, hat sie Kenntnis hiervon.

Die Überprüfung der Information, sowie die hierfür erforderliche Zeit bleiben außer Betracht, da sie allenfalls der Beschaffung von Beweismitteln dienen. Darauf kommt es für die Frage der Zumutbarkeit der Klageerhebung und somit für den Fristbeginn nicht an [2].
Grobe Fahrlässigkeit im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB setzt einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis liegt demnach nur vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung („Verschulden gegen sich selbst“) vorgeworfen werden können, weil sich ihm die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben, er davor aber letztlich die Augen verschlossen hat. Hierbei trifft den Gläubiger generell keine Obliegenheit, im Interesse des Schuldners an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Nachforschungen zu betreiben; vielmehr muss das Unterlassen von Ermittlungen nach Lage des Falles als geradezu unverständlich erscheinen, um ein grob fahrlässiges Verschulden des Gläubigers bejahen zu können [3].
Die Obliegenheit des Gläubigers, sich über die anspruchsbegründenden Umstände Kenntnis zu verschaffen, beinhaltet eine Organisations, Prüfungs- und Nachforschungskomponente. Im Rahmen seiner Organisationsobliegenheit hat der Gläubiger einen geeigneten Rahmen zu schaffen, um seine Forderungen zu verwalten [4].
Maßgeblich für die Frage des Verjährungsbeginns ist, ob dem Gläubiger aufgrund der ihm bekannten – oder der grob fahrlässig unbekannt gebliebenen – Tatsachen zugemutet werden kann, zur Durchsetzung seines Anspruchs gegen eine bestimmte Person aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos, Klage – und sei es nur in Form einer Feststellungsklage – zu erheben [5]. Hierbei ist weder notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Auch kommt es – abgesehen von Ausnahmefällen – nicht auf eine zutreffende rechtliche Würdigung an. Vielmehr genügt aus Gründen der Rechtssicherheit und Billigkeit im Grundsatz die Kenntnis der den Ersatzanspruch begründenden tatsächlichen Umstände [6]. Nur im Einzelfall kann Rechtsunkenntnis bei unsicherer und zweifelhafter Rechtslage den Verjährungsbeginn hinausschieben, wenn es sich um eine so unübersichtliche oder zweifelhafte Rechtslage handelt, dass sie selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag [7].
Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 8. Mai 2013 – 9 U 166/12
- Staudinger-Peters/Jacoby, BGB, Bearbeitung 2009, § 199, Rn. 71; Münchener Kommentar-Grothe, BGB, 6. Auflage, § 199, Rn. 27[↩]
- BGH, Urteil vom 03.06.2008 – XI ZR 319/06[↩]
- BGH, Urteil vom 28.02.2012, Az. VI ZR 9/11, Rz. 17 nach juris[↩]
- Münchener Kommentar-Grothe, BGB, 6. Aufl., § 199, Rn. 28[↩]
- BGH, Urteil vom 10.11.2009, Az. VI ZR 247/08, NJW-RR 2010, 681, Rz. 14 nach juris[↩]
- BGH, Urteil vom 03.06.2008, XI ZR 319/06, NJW 2008, 2576 Rn. 27, zitiert nach juris[↩]
- BGH, Urteil vom 23.09.2008, Az. XI ZR 263/07, Rz. 14 nach juris m.w.N.; Urteil vom 18.12 2008, Az. III ZR 132/08, NJW 2009, 984, Rz. 14 nach juris[↩]
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