Die Berufung auf eine durch Erlass eines Mahnbescheids eingetretene Verjährungshemmung kann im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Mahnbescheidsantrag die bewusst wahrheitswidrige Erklärung enthält, dass die Gegenleistung bereits erbracht sei.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hat die Klägerin die von ihr im Mahnantrag gemäß § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO geforderte Erklärung, dass der Anspruch nicht von einer Gegenleistung abhänge oder die Gegenleistung erbracht sei, bewusst falsch abgegeben. Die Klägerin ist daher wegen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) gehindert, sich auf die durch Einreichung des Mahnantrages vor Ablauf der Verjährungsfrist (§ 195, § 199 Abs. 1 BGB) gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB, § 167 ZPO eingetretene Hemmung der von der Beklagten geltend gemachten Verjährung des erhobenen Kaufpreisanspruchs (§ 433 Abs. 2, § 214 Abs. 1 BGB) zu berufen.
Allerdings kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für den Eintritt der Hemmungswirkung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB nicht auf die Zulässigkeit, sondern allein auf die Wirksamkeit des auf den Mahnantrag erlassenen und zugestellten Mahnbescheides an, so dass bei hinreichender Individualisierung des geltend gemachten Anspruchs dessen Verjährung auch dann gehemmt wird, wenn der Mahnantrag an Mängeln leidet oder sogar unzulässig ist oder wenn für die darin erhobene Forderung – von der Sachbefugnis abgesehen – noch nicht sämtliche Anspruchsvoraussetzungen vorliegen [1]. Davon geht auch das Berufungsgericht aus.
Dies schließt es jedoch nicht aus, dass sich bei Erschleichen eines Mahnbescheides durch bewusst falsche Angaben, die seinem Erlass entgegengestanden hätten, das Berufen auf eine derart verjährungshemmende Wirkung im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich darstellen kann.
Von dieser grundsätzlich bestehenden Möglichkeit ist bereits der Gesetzgeber bei Schaffung des § 204 BGB ausgegangen. Denn er hat sich in der Gesetzesbegründung zu dem Hinweis veranlasst gesehen, dass die zur Verhinderung der missbräuchlichen Erlangung einer Verjährungshemmung getroffenen Regelungen nicht als abschließend zu verstehen seien, und seiner Erwartung Ausdruck gegeben, dass die Gerichte rechtsmissbräuchlichen Rechtsverfolgungsmaßnahmen keine Hemmungswirkung zubilligen würden [2]. Dementsprechend geht auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dahin, dass Fallgestaltungen, in denen ein Gläubiger im Einzelfall mit Hilfe unzulässiger oder unbegründeter Anträge in missbräuchlicher Weise versuchen sollte, die Hemmung der Verjährung herbeizuführen, durch Anwendung von § 242 BGB begegnet werden kann [3].
Soweit in der Instanzrechtsprechung und im Schrifttum neben der Frage, ob ein aufgrund objektiv falscher Angaben des Antragstellers erlassener Mahnbescheid zur Herbeiführung einer Verjährungshemmung geeignet ist [4], auch die Frage erörtert wird, wie es sich etwa bei einer vorsätzlich falschen Erklärung des Antragstellers zu den von § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO geforderten Umständen verhält, wird die Auffassung vertreten, dass eine Berufung des Antragstellers auf die verjährungshemmende Wirkung eines zugestellten Mahnbescheids rechtsmissbräuchlich sei. Denn bei wahrheitsgemäßen Angaben im Mahnantrag hätte das Mahngericht den Antrag gemäß § 691 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO als unzulässig zurückweisen müssen, so dass dem Antragsteller lediglich die Möglichkeit der verjährungshemmenden Klageerhebung geblieben wäre. Beschreite ein Kläger in einem derartigen Fall gleichwohl den Weg des Mahnverfahrens in der nahe liegenden Absicht, die Klage nicht sofort begründen zu müssen, nutzte er treuwidrig eine formale Rechtsposition aus, wenn er sich auf die verjährungshemmende Wirkung des zugestellten Mahnbescheids berufe [5].
Bundesgerichtshof, Urteil vom 21. Dezember 2011 – VIII ZR 157/11
- BGH, Urteile vom 24.01.1983 – VIII ZR 178/81, BGHZ 86, 313, 322 ff.; vom 05.05.1988 – VII ZR 119/87, BGHZ 104, 268, 273; vom 08.05.1996 – XII ZR 8/95, NJW 1996, 2152 unter 2 b aa; vom 12.04.2007 – VII ZR 236/05, BGHZ 172, 42 Rn. 43; ähnlich zur verjährungshemmenden Wirkung der Zustellung eines Antrages im selbstständigen Beweisverfahren BGH, Urteil vom 22.01.1998 – VII ZR 204/96, NJW 1998, 1305 unter II 1[↩]
- BT-Drucks. 14/6857, S. 44[↩]
- BGH, Urteile vom 28.09.2004 – IX ZR 155/03, BGHZ 160, 259, 264 ff. mwN; vom 06.07.1993 – VI ZR 306/92, BGHZ 123, 337, 345[↩]
- vgl. OLG Koblenz, NJOZ 2005, 1997, 1999; Musielak/Voit, ZPO, 8. Aufl., § 693 Rn. 4; MünchKomm-ZPO/Schüler, 3. Aufl., § 688 Rn. 12[↩]
- OLG München, Urteil vom 04.12.2007 – 5 U 3479/07; ähnlich Wagner, ZfIR 2005, 856, 858 f.; vgl. ferner OLG Oldenburg, FamRZ 2010, 1098 für den unter Verschleierung der Vermögensverhältnisse bewusst falschen Prozesskostenhilfeantrag[↩]
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